Amazonfail

Amazon.com hat gerade ein kleines PR-Problem, weil man wohl zahlreiche „Bücher mit Schwulen-, Lesben- und Transgender-Inhalten als „Erwachsenenliteratur“ eingestuft und somit vom Sales-Ranking entfernt“ hat. Das berichtet die Futurezone: „Kritik an Amazons Zensurpolitik – Homosexuelle Literatur aus Verkaufsranking entfernt“. Ein betroffener Autor hat wohl nachgefragt und die Antwort bekommen, dass Amazon „auf Rücksicht der gesamten Kundschaft ‚Erwachsenen‘-Material aus einigen Suchmaschinen und den Bestseller-Listen genommen hat“.

Nachdem der Aufschrei im Netz begonnen hatte, wählte die Amazon-Unternehmskommunikation dann wohl eine etwas merkwürdige Krisenstrategie. Plötzlich gab es keine Erwachsenen-Regeln mehr und alles sei nur eine technische Störung gewesen. Diese hat dann wohl rein zufällig nur Bücher mit Schwulen-, Lesben- und Transgender-Inhalten getroffen. Kann ja mal zufällig passieren.

Update: Anscheinend betrifft es alles, was irgendwie mit Sex zu tun hat, wie DailyKos schreibt: Amazon’s New „Morality“ – for your protection.

Basically, any title that Amazon consider „adult“ will no longer be included in the „Best Sellers“ lists – or ranked at all. These titles will not show up on all searches, even when the exact title of the book is entered. Who decides what books are „adult“? That’s not at all clear. But whoever’s making the choices is casting the net far and wide, and hauling in an awful lot of GLBT books.

Mit einer solchen Unternehmens-Politik würde dann wohl auch der Bestseller „Feuchtgebiete“ aus der Bestsellerliste entfernt werden.

Jens Ohlig hat viele Links in seiner Suppe gesammelt:

iheartdigitallife: Amazon.com FAIL.
Church of the customer – Blog: Anatomy of the #AmazonFAIL customer revolt.
Templestark: Amazon Tries To “Clean” Itself Up: Result – AmazonFail.
net.effect: #Amazonfail and the politics of anti-corporate cyberactivism.

Update: Jens Ohlig verweist auf einen weiteren Artikel, der das Problem aus einer anderen Sicht analysiert: tehdely: On Amazon Failure, Meta-Trolls, and Bantown. Bei Amazon gibt es die Möglichkeit, sich bei Artikeln zu beschweren (diese zu flaggen), wenn man das Gefühl hat, dass ein Artikel z.B. nicht „anständig“ ist. Gut möglich, dass die Algorithmen dann oftmals geflaggte Artikel automatisch als „Adult“ einstufen. Und dann wäre Amazon eher unschuldig, wenn ein Haufen prüder Amis alles geflaggt hat, was man im Bibel-Gürtel nicht als Teil der Realität anerkennen will.

24 Ergänzungen

  1. Ja, okay, die Sache ist ein schrecklich. Aber wieso bitte „Zensur“?? Ist es Zensur, wenn eine Buchhandlung bestimmte Bücher aus ihrer Werbung, oder ihren Regalen räumt weil sie nicht zu ihrer unternehmerischen Philosophie passen? Die inflationäre Benutzung des „Zensur“-Begriffs verwässert diesen und gibt ihm ein unschärfe, die die Gefahr in sich birgt, dass demnächst niemand mehr hinhört wenn WIRKLICH zensiert wird.

    Bitte etwas pflegsamer und vorsichtiger mit solchen Begriffen umgehen, sonst unterscheidet sich die Boglandschaft bald auch nicht mehr von der Bildzeitung….

    1. Wenn der größte Internetversand mit einer bei Büchern wahrscheinlich ungeschlagenen Reichweite Bücher aufgrund von gesellschaftspolitisch motivierten Einschränkungen versteckt, ist das natürlich Zensur.

    2. @Jonathan: Wer behauptet denn, dass „Zensur“ nur staatliche Akteure kennt? Jedenfalls nicht die Zensurforschung, die sich in den letzten Jahrzehnten etwas besser aufgestellt hat als zuvor. Im Gegenteil wäre das hier demnach ein Präzendenzfall für Zensur – die sich nicht gegen ein bestimmtes Werk, eine bestimmte Idee richtet, sondern gesellschaftliche (Rest-)Tabus dispositiv wirksam werden lässt. Wie man sieht, braucht es dadurch nicht einmal die bewusste Entscheidung eines „Zensors“ – die Zensoren des Web 2.0 sind dessen eigene Nutzer – die Kehrseite des Potenzials zur eDemocracy.

      johas

  2. Zensur deshalb, weil scheinbar unerwünschte Inhalte schwerer zugänglich gemacht werden sollen, ich finde die Begriffswahl nicht vollkommen daneben. Und ein technischer Fehler? Vielleicht, wenn allerdings bei amazon Änderungen dieser Größenordnung ohne vorhergehende Tests derartige Kollateralschäden verursachen wie in diesem Fall hat man noch ganz andere Probleme als eine Horde aufgebrachter Internetnutzer.

    Ich hatte das Vergnügen die Enstehung dieser Krise gestern Nacht live auf Twitter und in diversen Blogs mit zuverfolgen, als Unternehmen kann einem dabei Angst und Bange werden, Möglichkeiten richtig zu reagieren hat man da ohnehin kaum mehr, weil alles erstmal nach einer fadenscheinigen Ausrede aussieht.

  3. eine solche strategie macht bei amazon einfach keinen sinn, weder sind sie wirklich erpreßbar durch die religiöse rechte, noch haben sie finanziell etwas davon. jeff bezos ist meines wissens auch anders als die walmart waltons nicht extrem rechts gestrickt.

    als weltweit aktive firma hätten sie sich doch denken können das sie mindestens in europa ein pr-desaster sondersgleichen ernten und auch auf ihrem heimatmarkt würde es bei einem großen teil nicht gut ankommen.

    ist denn bekannt ob da irgend eine bestimmte gruppe druck gemacht haben könnte in letzter zeit?

    ich kann mir höchstens vorstellen das ein teil des managements sein eigenes weltanschauliches süppchen kocht, entweder das oder dummheit ist ansteckend und sie hatten besuch von der bahn.

    sollte sich das tatsächlich als von ganz oben abgesegnet erweisen
    bräuchte ich einen neuen buch&elektrokleinkramhändler.

  4. Ich finde die Entscheidung, Schwulen-Bücher in die Adult-Kategorie zu tun, richtig. Bei den Schwulen geht es sowieso immer nur um das eine. Ich fühle mich belästigt wenn ich beim Stöbern auf Schwulen-Bücher stosse.

    Sorry, aber diesen Schwulen-Hype halte ich für Schwachsinn. Die sollen ficken wie sie wollen, aber bitte nicht die ganzen Zeitungen und Blogs füllen.

  5. Bekannte Titel, die häufig genannt werden, und die man selbst leicht nachprüfen kann, sind beispielsweise Brokeback Mountain von Annie Proulx oder Sexualität und Wahrheit 1 von Michel Foucault.

    Ein betroffener Autor klagte bereits im Februar darüber, dass seine Titel nicht mehr von amazon gelistet würden (vgl. die Links oben im Artikel); derartige Filter (Sexualität und Wahrheit drin, Überwachen und Strafen nicht) scheinen also schon länger in Planung zu sein.

    Bestes Beispiel: Wie vielfach zitiert sind die prominenten Suchergebnisse zu ‚Homosexuality‘ auf amazon.com Titel wie „A Parent’s Guide to Preventing Homosexuality“, „You Don’t Have to Be Gay: Hope and Freedom for Males Struggling With Homosexuality or for Those Who Know of Someone Who Is“ oder „For The Bible Tells Me So“ (Plätze eins, zwei und drei).
    Ist auch ziemlich simpel, dass derartige Selbsthilfeliteratur vorne auftaucht, wenn als ‚adult material‘ getaggte Bücher nicht mehr im Sales Ranking sind und damit auch nicht mehr in der Suche.
    Und amazon selbst äußerte sich zunächst in einer nicht-öffentlich intendierten email dahingehend, dass die Nutzer besser berücksichtigt werden sollten, dass vulgo diese ganz schön komische Zensiergeschichte ziemlich genau so absichtlich geschehen sei.

    Anbei: Playboy et al sind als Repräsentanten gesellschaftskonformer Sexualität selbstredend nicht ‚adult material‘.

  6. @sam: Das ist eine inkorrekte Verallgemeinerung. Das Buch „Die Mitte der Welt“ [1] behandelt den Sex der Figuren wesentlich weniger ausführlich als die meisten Romane, die sich mit heterosexuellen Beziehungen beschäftigen. Die Beziehung an sich bleibt jedoch im genannten Buch keineswegs zurück.
    Der Widerspruch richtet sich gegen die fehlende Transparenz und stellt die Unverhältnismäßigkeit in den Vordergrund.
    Das genannte Buch ist eines der besten, die ich je gelesen habe. Wie müsste man es jetzt aber einstufen? Darf es „unsichtbar gemacht“ werden, nur weil es ein bestimmtes Thema behandelt?

    Was den Schwulen-Hype angeht: Da hast du durchaus Recht. Die verbreitete Umsetzung der Christopher Street Day’s Parade z.B. tut ihr Bestes, um Vorurteile wie deines zu stärken.

    Grüße
    Floh

    [1] http://www.amazon.de/gp/product/3551353158/

  7. So lange diese Werke keinen pornografischen Inhalt haben, sollte man sie auf keinen Fall sperren.

    Tut man es doch, wäre das Zensur und Diskriminierung homosexueller Mitbürger.

  8. Zum Update: Amazon ist immernoch für ihre eigene Informationspolitik verantwortlich.

    Amazon ist ein großer Laden, wahrscheinlich wissen die selbst nicht so genau, wie das gelaufen ist. Da gibt es sicher irgendwelche Algorithmen (für die Computer) und irgendwelche Richtlinien (für die Mitarbeiter), aber wenn der Praktikant übernächtigt ist, dann wird das halt nicht immer 1:1 umgesetzt.

  9. Im Englischen sind die „Feuchgebiete“ eh auf der Liste.
    Bei den verursacher muss es sich aber keineswegs um einen Haufen prüder Amis handeln, auch eine Einzelperson kann ein Script schreiben, dass sich automatisch bei allen Büchern in einer Kathegorie beschwert. Die Liste enthält ja wirklich wahnwitzige Titel, währen Mainstream pornographie wie zB Playboy nie betroffen war.

  10. Ich glaube, Amazon hat den gesamten Index mal in die Tonne gekloppt und baut ihn gerade neu auf.

    Geht mal nach http://www.amazon.de/ und sucht mal nach „pc vernetzen“ oder nach „sachbuch“.

    Zurücklehnen, lesen, lachen, nicht weiter drüber nachdenken :)

    Alex.

    P.S.: Der Captcha ist ja ganz nett, aber eine Rückmeldung, ob es nun ok ist oder nicht, wäre nett. Ich habe keine Ahnung, ob das nun angenommen wurde oder abgelehnt und ich es nochmal versuchen muss,

  11. Amazon bietet bestimmte Bücher nicht an oder stuft sie in einem anderen Themenbereich ein.

    Ja und.
    Amazon hat das Recht anzubieten, was Ihnen gefällt!

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