Folgenden Brief habe ich eben bei „Abenteuerliche Abenteuer südlich der Elbe“ gefunden. Professor Pfitzmann von der TU Dresden (Sein Schwqerpunkt ist Privacy & Security) wurde zuerst vom BSI zum 9. IT-Sicherheitskongress mit dem Titel „IT-Sicherheit geht alle an!“ eingeladen. Nachdem er seinen Kongressbeitrag für den Tagungsband eingereicht hatte, indem er kritisch zu den Themen Biometrie und Vorratsdatenspeicherung Stellung nimmt, wurde er mit einer fadenscheinigen Begründung wieder ausgeladen.
„Herrn
Dr. Udo Helmbrecht
Präsident des BSI
Godesberger Allee 185-189
53175sowie via Cc an Journalisten, Politiker und Wissenschaftler, da Versuchen, die öffentliche wie auch fachwissenschaftliche Diskussion über Biometrie und Vorratsdatenspeicherung zu zensieren, nur durch Öffentlichkeit begegnet werden kann
Dresden, 2.4.2005
Sehr geehrter Herr Dr. Helmbrecht,den vom BSI für den 9. Deutschen IT-Sicherheitskongress (10.-12.5.2005) eingeladenen (vgl. Attachment 1) und mit Dr. Otto Ulrich und dem Programmbeirat dieses Kongresses thematisch abgestimmten Vortrag
Werden biometrische Sicherheitstechnologien die heutige IT-Sicherheitsdebatte vor neue Herausforderungen stellen? (Attachment 3)
haben Sie mit Ihrem Brief vom 18.3.2005 (Attachment 2) abgesagt.
Diesen sehr ungewöhnlichen Schritt 5 Wochen, nachdem ich die Ausarbeitung meines Vortrags ans BSI zur Aufnahme in den Tagungsband geschickt habe (am 11.2.2005), begründen Sie:
„Nun gab es in den letzten Monaten zahlreiche neue Entwicklungen und Themen, die unsere Teilnehmer beim Kongress von uns präsentiert haben möchten. Aufgrund dieser aktuellen Entwicklungen sind wir leider in der misslichen Lage, das Programm nochmals ändern zu müssen. Betroffen davon ist u.a. Ihr Vortrag, den wir, um Zeit und Raum für neue Themen zu haben, leider aus dem Programm wieder herausnehmen müssen. Es tut mir sehr leid, dass wir Ihren Beitrag trotz der von Dr. Ulrich ausgesprochenen Einladung nicht unterbringen können.“
Da sowohl das Hauptthema meines Vortrags (Biometrie) als auch die Schlussfolgerungen (u.a. keine Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten) hoch aktuell sind, kann man zusammen mit dem Timing Ihrer Absage des Vortrags auf den umgekehrten Sachverhalt schließen:
Das Thema ist so aktuell und manche Argumente der Vortragsausarbeitung sind so brisant, dass einer der Entscheidungsträger meinte, Sie zu diesem für Sie selbst offenbar peinlichen Schritt veranlassen zu müssen – man lese nur die Entschuldigung am Schluss Ihres Briefes, aus der man entnehmen muss, das BSI habe noch nicht genügend Erfahrung in der Veranstaltungsorganisation um zu wissen, dass ggf. für Unvorhergesehenes Platz von vornherein freigehalten werden muss.
Gegeben die faktischen Machtverhältnisse ist dieser Entscheidungsträger nur im BMI zu suchen, das sich in den letzten Monaten sowohl pro Biometrie als auch pro Vorratsdatenspeicherung in einer Weise engagiert, dass hier offensichtlich jedes abwägende Augenmaß fehlt und nun die Gegenargumente meines Vortrags für die politische Position des BMI als so bedrohlich empfunden werden (weil eben nicht widerlegbar), dass Ihnen als Präsident des BSI der untaugliche Versuch aufgebürdet wird, diese Argumente aus der Welt zu schaffen, in dem man sie nicht
hören will. Zumindest nicht hören will in so leicht verständlicher Weise und von einem der drei Gutachter, die Innenminister Schily vor wenigen Jahren mit der Ausarbeitung eines umfangreichen Gutachtens zur „Modernisierung des Datenschutzrechts“ beauftragt hat.Kurzum:
Statt sich den Überlegungen und Argumenten der Wissenschaft zu stellen, meint das BMI, seine teilweise fragwürdigen, teilweise unhaltbaren Positionen durch einen Zensurversuch halten zu können. Wie intellektuell verzweifelt und weit abgerückt von einer demokratischen pluralistischen Gesellschaft muss dieser Entscheidungsträger im BMI sein, dass er so etwas meint versuchen zu müssen?
Wie rücksichtslos sind solche Kräfte im BMI bereit, Reputation und Glaubwürdigkeit des dem BMI untergeordneten BSI zu beschädigen, nur um sachlichen Argumenten auszuweichen?
Es ergeben sich hiermit aus meiner Sicht folgende Handlungsnotwendigkeiten:
1. Die Argumente meines Vortrags sollten ausserhalb der vom BSI (und damit mittelbar vom BMI) kontrollierten Foren offen diskutiert werden.
2. Um eine weitere Beschädigung der Reputation und Arbeit des BSI zu vermeiden, muss das BSI aus der Abhängigkeit des BMI befreit werden. Teile des BMI sind mittlerweile in Fragen der inneren Sicherheit so voreingenommen, dass sie die Arbeit einer der Objektivität verpflichteten obersten Bundesbehörde beeinträchtigen. Diese objektive, erkenntnisgeleitete Arbeit ist aber für eine demokratische Wissensgesellschaft unverzichtbar.
Ich sende diesen Brief bewusst so, dass Sie (wie auch das BMI) nicht nur mir, sondern allen Adressaten antworten können. Ich halte es für dringend notwendig, die aufgezeigten Probleme öffentlich zu diskutieren.
Diesen kritischen Brief möchte ich nicht beschließen, ohne Ihnen dafür zu danken, dass Sie nicht versucht haben, diesen Vorgang besser zu verschleiern: Beispielsweise wurde der Programmbeirat des 9. Deutschen IT-Sicherheitskongresses vor Ihrer Entscheidung nicht konsultiert; er wurde auch hinterher nicht informiert. Bis heute wird auf der Webseite des BSI kein drängendes Ersatzthema, auch keine Ersatzperson für meinen Vortrag genannt. Damit haben Sie – aus meiner Sicht – dem BSI wie auch der politischen Diskussion in Deutschland einen grossen Dienst erwiesen.
Mit freundlichen Gruessen
Prof. Dr. Andreas Pfitzmann“
* Attachment 1: Schreiben des BSI von 2005-03-09, Anforderung PPT-Folien
* Attachment 2: Ausladung durch BSI-Präsident Helmbrecht von 2005-03-18
raben.horst hat zu dem Thema auch einen interessanten Beitrag gepostet: Dunkles Zeitalter 2. Teil
Ich denke, es dürfte jetzt jedem Leser nachvollziehbar sein, warum man seitens des BSI und BMI gegen Pfitzmann die Keule der verschleierten Zensur schwenkt und man auf der Seite der Sicherheitspolitiker und -industrie die Ohren vor solchen Ausführungen verschließt, denn diese Leute sind schon lange in eine ganz andere Richtung unterwegs. Jeder Leser sollte sich den Vortrag von Andreas Pfitzmann genau durchlesen und sich an ihn in 5, 10, 15 Jahren erinnern.
Das Bundesinnenministerium scheint nervöser zu werden. Schade, dass ein konstruktiver und kritischer Dialog rund um die ganzen neuen „Sicherheitsmassnahmen“ in Deutschland nicht möglich scheint.
Bei „Die wunderbare Welt von Isotopp“ gibt es auch schon eine Diskussion: Biometrie revisited
Auch der Chaos Computer Club hat mittlerweile dazu Stellung genommen: BSI lädt kritischen Wissenschaftler von Kongreß aus.
Update: Das Weblog „Abenteuerliche Abenteuer südlich der Elbe“ mit den Dokumenten ist gerade geheist worden und somit momentan nicht erreichbar. Es gibt eine weitere Spiegelung des Briefes.
Dort liegen auch die drei oben genannten PDF-Files:
2 Ergänzungen
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