Landtagswahl SachsenWerkzeuge für eine faschismussichere Gesellschaft

In der Landtagswahl in Sachsen am Sonntag könnte die AfD stärkste Kraft werden. Wie die anderen Parteien mit der Bedrohung von rechts umgehen wollen, zeigt ein Streifzug durch die verschiedenen Wahlprogramme – mit Blick auf die Netzpolitik und darüber hinaus.

Ein Banner auf dem steht: "Für eine Zukunft ohne Nazis"
Antifaschistische Demonstration in Chemnitz. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Michael Trammer

Für Law-and-Order-Fans ist das sächsische Innenministerium gut ausgestattet. Schon 2019 weitete das Bundesland die Befugnisse der Polizei deutlich aus. So sehr, dass der Verfassungsgerichtshof vieles beanstandete, etwa die Regeln zu Kommunikationsüberwachung, Fußfesseln und der Erstellung von Bewegungsprofilen.

Die AfD will da gerne hin, ins Innenministerium. Und dann „bestmögliche Technik“ einkaufen, Grenzkontrollen einführen und Moscheeverbände und -vereine überwachen, so ihr Wahlprogramm. Am Sonntag wird in Sachsen gewählt. Letzte Umfragen sehen die Partei bei 30 Prozent und mehr. Rechtsruck, späte Phase. Menschen, die in Sachsen leben und in Herkunft, Religion, Geschlechtsidentität oder Sexualität von den Idealen der AfD abweichen oder die Freunde einer offenen und freien Gesellschaft sind, machen sich vermutlich gerade berechtigte Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft der Demokratie.

Wenn noch einmal eine Mehrheit ohne AfD-Beteiligung zustande kommt, ist der offensichtliche Arbeitsauftrag: Menschen wieder für Demokratie begeistern. Und diese gegen totalitäre Bestrebungen absichern. Kommt die AfD an Machtpositionen, sollte sie möglichst wenig dystopische Kontrollinstrumente in den Händen haben. Antifaschismus als proaktiver Gesellschaftsschutz.

Die Parteien haben diesen Arbeitsauftrag in unterschiedlichem Maße in ihre Landtagswahl-Programme aufgenommen und stellen verschiedene Werkzeuge vor, mit denen sich eine Gesellschaft gegen faschistische Tendenzen abhärten lässt. Das Gros der Sachsen aber will laut Umfragen Law-and-Order, mindestens in der Migrationspolitik. AfD und CDU liegen nach den jüngsten Umfragen bei je 30 Prozent plus, hinzu kommen noch 10 bis 15 Prozent für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Rund 75 Prozent wollen also den Aufenthalt geflüchteter Menschen hart begrenzen. AfD und BSW haben die entsprechenden Kapitel in ihren Programmen „Ungeregelte Einwanderung stoppen“ und „Unkontrollierte Migration stoppen“ übertitelt, eine erstaunliche konzeptuelle Ähnlichkeit.

Die missbräuchliche Macht der Daten

Ein wichtiges Thema in der Frage, wie sich im Fall einer Regierung unter rechtsradikaler Beteiligung die Macht der Faschisten begrenzen ließe, ist die Datensammlung. Mittels staatlich zugänglicher Datenbanken können Demokratiefeinde missliebige Gruppen und Personen identifizieren und auch attackieren.

Arne Semsrott, der Gründer von FragDenStaat, schreibt in seinem höchst lesenswerten Buch „Machtübernahme“ zu einer möglichen faschistischen Machtergreifung: „Durch Verbunddateien von Polizeien und Geheimdiensten sowie riesige staatliche Datenbanken wie das Ausländerzentralregister können Tausende Behörden bundesweit auf besonders sensible Daten auch von besonders gefährdeten Personen zugreifen, die nicht in ihrem eigenen Wirkungskreis leben.“

Die CDU will dennoch „die Bereitstellung vorhandener Daten ausbauen, Datenregister klug vernetzen“. Bürger*innen sollen Standardinformationen nur ein einziges Mal mitteilen müssen, diese werden dann unter den Behörden weitergereicht.

Die Grünen hingegen fordern, dass Menschen automatisch benachrichtigt werden, wenn Sicherheitsbehörden Daten über sie speichern. Die Linke fordert eine regelmäßige Prüfung der Datenverarbeitung mit öffentlicher Unterrichtung.

Dystopische Spielzeuge

Neben Datenbanken gibt es noch weitere Werkzeuge, die leicht missbraucht werden können. Die AfD hat damit bekanntermaßen kein Problem, spricht sich für Videoüberwachung aus und will die polizeilichen Dienststellen für die Bekämpfung organisierter Kriminalität mit bestmöglicher Technik ausstatten.

Auch die CDU will mehr aus dieser Spielzeugkiste und unter anderem den Einsatz von Staatstrojanern für Polizei und Verfassungsschutz rechtlich festschreiben. Dazu fordert sie, die Befugnisse zur digitalen Gefahrenabwehr auszuweiten. Gefängnisse sollen von „intelligenten“ Kamerasystemen überwacht werden.

Die Linke spricht sich breit gegen Überwachung aus, im Konkreten gegen Videoüberwachung im öffentlichen Raum sowie gegen automatisierte Bild- und Musteranalysen, Trackingsoftware, anlasslose Datenspeicherung, Netzsperren und den Ankauf von Sicherheitslücken. Auch Schleierfahndung an der Grenze zu Tschechien und Polen sei mit der Partei nicht zu machen.

Die Grünen lehnen Staatstrojaner „als völlig unverhältnismäßige Eingriffe in die Bürger*innenrechte klar ab.“

Polizei und andere Behörden antifaschistisch abhärten

Die Beamt*innenschaft lässt sich nicht einfach austauschen. Schließlich sind diese Menschen Staatsdiener*innen auf Lebenszeit. Es könnte sich also lohnen, bei einer eventuellen Machtergreifung von Rechts einen demokratisierten Behördenunterbau zu hinterlassen. Die Grünen würden dazu gerne Menschen mit Migrationsgeschichte oder Behinderung und damit mehr Diversität in die Verwaltung bringen sowie deren demokratisch-politische Bildung „deutlich ausbauen“. Außerdem sollen Bedienstete an Transformationsprozessen beteiligt werden.

Die Linke will derweil die Polizeihochschulen in zivile Universitäten integrieren und Polizist*innen zu Kursen gegen Rassismus und Diskriminierung verpflichten. Außerdem sollen die Beamt*innen eine Kennzeichnung tragen müssen, um sie leichter identifizierbar zu machen, und bei Personenkontrollen eine Bescheinigung ausstellen, wodurch Entgleisungen der Sicherheitskräfte vermieden werden sollen. Die Grünen fordern dafür eine*n unabhängigen*n Polizeibeauftragte*n.

Wichtig für den Widerstand in einem potenziell von Rechtsaußen regierten Bundesland ist ein starkes Versammlungsgesetz. Die Grünen wollen es weiter liberalisieren und die technische Überwachung von Versammlungen einschränken.

Die Linke fordert, die geplante Novellierung des sächsischen Versammlungsgesetzes zu stoppen, die – mittels Überprüfung von Ordner*innen-Daten und langen Vorlaufzeiten für die Anzeige einer Versammlung – zu massiven Einschränkungen des Versammlungsrechts führe. Außerdem müsse die Polizei Journalist*innen auf Demonstrationen wirksam vor Angriffen schützen. Das befürwortet auch die CDU, die ebenfalls Journalist*innen auf Versammlungen und Großveranstaltungen besser geschützt wissen will.

Beteiligung und Transparenz

Viele der Parteien sehen auch Werkzeuge direkter Demokratie als Instrumente an, mit denen sich die demokratische Verfasstheit des Bundeslands absichern lässt. Die CDU will mehr demokratische Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche, die Grünen wollen Bürger*innenbeteiligung stärken und Bürger*innenräte ermöglichen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht will Bürgerhaushalte ausweiten sowie Volksentscheid und Volksbegehren vereinfachen. Die SPD will das Petitionswesen stärken und dessen Digitalisierung vorantreiben sowie die Quoren in der Volksgesetzgebung senken.

Letzteres ist auch ein Anliegen von Die Linke. „Wer die Gesellschaft selbstwirksam verändern kann, sehnt sich nicht mehr nach dem starken Mann“, so die Logik laut Programm. Allerdings spricht sich auch die AfD für eine Senkung der Mindestbeteiligung in der Volksgesetzgebung aus.

Was für die demokratische Verfasstheit der Bevölkerung vielleicht noch wichtiger ist als die Frage der Teilhabe an politischen Prozessen, ist das Vertrauen, das sie dem Rechtsstaat entgegenbringen darf. Wie transparent ist dieser Staat, wie frei fließen die Informationen? Je transparenter sich der Staat gibt, desto mehr stärkt das die Glaubwürdigkeit öffentlichen Handelns es macht staatliches Handeln zugleich kontrollierbarer.

In Sachsen gibt es seit vergangenem Jahr ein Transparenzgesetz, das jedoch viele Ausnahmen enthält. Die SPD will außerdem noch eine Transparenzplattform installieren. Außerdem sollen Forschungsdaten frei zugänglich werden. Die Grünen wollen das Transparenzgesetz ausweiten, Whistleblower*innen besser schützen und mehr Transparenz bezüglich der Lobbyorganisationen, die Einfluss auf einen Gesetzgebungsprozess nehmen.

Streitfall Verfassungsschutz

Besonders relevant beim Schutz der verfassungsmäßig verbrieften Demokratie ist zumindest dem Namen nach der Verfassungsschutz. Um die sächsische Landesbehörde gibt es jedoch immer wieder Skandale. Sie hielt beispielsweise NSU-Akten zurück, und jüngst kritisierte ein Mitarbeiter in der Presse, man schaue zu wenig auf vermeintliche „Radikalisierungstendenzen bei Linken, SPD und Grünen“.

Mit der Behörde ist aktuell nur die CDU zufrieden. Die SPD will sie modernisieren, das BSW will ihre Befugnisse begrenzen. Die Grünen wollen den Verfassungsschutz durch eine neue Behörde ersetzen. Die AfD fordert das ebenfalls, allerdings aus anderen Gründen: Sie wird von sächsischen Landesamt als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ geführt.

Die Linke will den Verfassungsschutz abschaffen. Sie sieht einen zentralen Ansatzpunkt für angewandten Verfassungsschutz im Kampf gegen wachsende soziale Ungleichheit. Ihre Antwort: Solidarität. „Statt verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen, treten wir für einen aktiven, leistungsfähigen Staat ein, der die Aufgaben der sozialen Daseinsfürsorge für alle Menschen erfüllt, für soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sorgt“, schreibt Die Linke in ihrem Landtagswahlprogramm.

Parlamentarischer Antifaschismus

Die Linke will außerdem Antifaschismus als Staatsziel in der Sächsischen Verfassung festschreiben und so alle Institutionen dazu verpflichten, die extreme Rechte zurückzudrängen.

Außerdem soll ein Landesdiskriminierungsgesetz behördliche Ungleichbehandlung verhindern. Dazu unterstützt die Partei antifaschistische und antirassistische Projekte. Rechte Gewalt will sie konsequent bestrafen und die rechte Szene entwaffnen, während antirassistischer und antifaschistischer Protest entkriminalisiert werden soll.

Bei der Entwaffnung von Rechtsradikalen liegt Die Linke auf einer Linie mit den Grünen, die zuletzt als kleinster Partner in einer Koalition mit CDU und SPD in Sachsen mitregieren durften. Die Grünen wollen außerdem das auf ihre Initiative erarbeitete Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus fortschreiben und das Expertennetzwerk gegen Rechtsextremismus weiter qualifizieren. Außerdem wollen sie die Ombudsstelle gegen Diskriminierung absichern und Demokratieprojekte in Schulen fördern.

Auch die SPD, in Sachsen seit zehn Jahren mit an der Macht, tritt mit Ideen zum parlamentarischen Antifaschismus an. „Rassismus, Diskriminierung und faschistische Tendenzen dürfen in Sachsen keinen Platz haben!“, heißt es in ihrem Programm.

Die Partei will mit einem Gleichheitsgrundsatz Diskriminierungsverbote aufstellen sowie Beratungsangebote und Initiativen stärken, die Antidiskriminierungsarbeit leisten. Außerdem will sie die Bildung völkischer Siedlungen und Rechtsrock-Konzerte unterbinden. Radikalisierungsprävention und Aussteigerprojekte sollen weiter gefördert werden, außerdem „Vereine und Initiativen, die sich für ein Mehr an Vielfalt einsetzen, und für eine aufgeklärte Gesellschaft und ein weltoffenes Sachsen stehen“.

SPD und Die Linke sprechen sich auch für ein Dokumentationszentrum zu den Verbrechen der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund aus.

Die CDU, die im Bundesland Sachsen derzeit noch den Ministerpräsidenten stellt, will ein Institut gründen, das die „Bindekräfte in einer pluralistischen und freiheitlichen Demokratie“ erforscht. „Wir wollen damit Erkenntnisse gewinnen, die die demokratische Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft stärken können“, heißt es im Programm. Dabei will die Partei allerdings die Ausgaben auf die Kernaufgaben des Landes konzentrieren, was vermutlich wenig Luft für Demokratieförderprojekte lässt. Außerdem lehnt die CDU das Konzept der Bildungszeit ab und damit auch viele Projekte der demokratischen Bildung.

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