Klage gegen DatenschutzbehördeStreit um Pur-Abo des SPIEGEL eskaliert

Die Datenschutzorganisation noyb erhebt schwere Vorwürfe gegen den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten. Bei der Prüfung des Pur-Abo-Modells des SPIEGEL sei die Behörde voreingenommen vorgegangen und habe dem Hamburger Medienhaus preisgünstige Rechtsberatung gegeben. Nun landet die Sache vor Gericht.

Das Gewässer an der Erisspitze in Hamburg bei Abendlicht, Im Hintergrund hell erleuchtete, gläserne Hochhäuser. Auf einem prangt der neonrote Schriftzug "DER SPIEGEL"
Streit um den Datenschutz beim SPIEGEL – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jörg Angeli

Der Streit um Datenschutz bei deutschen Online-Medien verschärft sich. Gemeinsam mit der Datenschutzorganisation noyb zieht ein Betroffener vor das Verwaltungsgericht. Im Visier steht der Hamburgische Datenschutzbeauftragte. Bei einem Prüfverfahren soll dieser dem Hamburger Medienhaus SPIEGEL kostengünstige Rechtsberatung gegeben haben, statt unabhängig einer Beschwerde nachzugehen.

Das Verfahren lief bei der Datenschutzbehörde seit Sommer 2021. Der Bürger hatte damals gemeinsam mit noyb Beschwerde gegen das Pur-Abo auf der Website des SPIEGEL eingelegt. Bei der „Pay or okay“ genannten Einwilligungslösung werden Nutzer:innen vor die Wahl gestellt, ob sie die Seite kostenlos, aber mit Tracking zu Werbezwecken besuchen wollen, oder ob sie Geld für einen Tracking-freien Zugang bezahlen möchten. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hatte diesem Modell bei SPIEGEL grundsätzlich grünes Licht gegeben.

Jetzt verklagt die Person die Datenschutzbehörde, weil diese in dem Verfahren zu eng mit SPIEGEL kooperiert und diesen beraten haben soll, statt unvoreingenommen über die Beschwerde zu entscheiden. In einer heute veröffentlichten Pressemitteilung von noyb heißt es, der Datenschutzbeauftragte habe teilweise die Kommunikation mit dem betroffenen Bürger verweigert und relevante Aspekte der Beschwerde nicht untersucht. Unterdessen habe sich die Behörde mehrfach mit dem SPIEGEL getroffen, so noyb weiter.

Die Hamburger Datenschutzbehörde möchte sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu dem Vorgang äußern, da ihr die Klage noch nicht vorliege. Das teilte ein Sprecher auf Anfrage von netzpolitik.org mit. Der SPIEGEL will etwaigen Antworten der Behörde „nicht vorgreifen“ und verzichtete ebenfalls auf eine Stellungnahme.

Gut vier Euro für den SPIEGEL ohne Tracking

Der Streit um das „Pay or okay“-Modell schwelt inzwischen seit fünf Jahren. 2019 hatte der österreichische STANDARD als erstes größeres deutschsprachiges Medienhaus die tracking-freie Bezahlvariante eingeführt. Inzwischen gibt es kaum noch ein größeres Medium, das nicht auf Pur-Abos setzt.

Die Datenschutzbehörden hatten zuvor entschieden, dass Tracking zu Werbezwecken nur mit der informierten und freiwilligen Einwilligung der Betroffenen mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) konform geht. Doch wenn Nutzer:innen tatsächlich eine Wahlmöglichkeit haben, entscheiden sie sich in der Praxis überwiegend gegen das Tracking. Die Medien hätten also auf Einnahmen aus zielgerichteter Werbung – Kritiker:innen sprechen von Überwachungswerbung – verzichten müssen. Das Pur-Abo ist für die Verlage eine bequeme Lösung dieses Problems.

In der Kritik steht das Modell jedoch, weil umstritten ist, ob es wirklich eine adäquate Alternative darstellt. Häufig kosten die Pur-Abos vier oder fünf Euro im Monat. Wer also mehrere Nachrichtenseiten ohne Tracking konsumieren möchte, käme schnell auf mehr als 30 Euro oder mehr im Monat. Demgegenüber stehen Werbeeinnahmen, die pro Kopf deutlich geringer ausfallen. Medienunternehmen machen aus der Zahl ein großes Geheimnis, doch nach Schätzungen des Wirtschaftswissenschaftlers Timo Müller-Tribbensee, der zu Pur-Abos forscht, betragen die Einnahmen aus zielgerichteter Werbung nur etwa 10 Cent pro Monat und Person.

Der Preis für das Pur Abo beträgt also 4000 Prozent mehr als die mutmaßlichen Verluste aus Werbeeinnahmen. Auch beim SPIEGEL: Das Medium hatte das Pur-Abo im Februar 2020 eingeführt. Damals betrug der Preis 4,99 Euro im Monat. Inzwischen bietet das Medienhaus das Pur-Abo im Wochenmodus an, pro Woche kostet es 99 Cent, also etwa vier Euro im Monat. Menschen, die bereits Abonnent:innen des SPIEGEL oder von SPIEGEL+ sind, zahlen einen Aufpreis von 49 Cent pro Woche, um das Medium „ohne Werbetracking und weitestgehend ohne Werbung“ zu konsumieren.

„Von einer freiwilligen Einwilligung kann keine Rede sein“

Dagegen hatte noyb im Sommer 2021 gemeinsam mit einem betroffenen Bürger Beschwerde bei mehreren Datenschutzbehörden eingelegt. Konkret ging es bei den Beschwerden um spiegel.de, zeit.de, derstandard.at, krone.at, t-online.de und heise.de.

In ihrem jüngsten Jahresbericht verweist die Hamburger Datenschutzbehörde auf eine Stellungnahme der Datenschutzkonferenz [PDF] zum Thema Pay or Okay. Dieses Positionspapier veröffentlichten die deutschen Datenschutzbehörden im Frühjahr 2023, also gut vier Jahre nach dem Start des ersten Pur-Abos beim STANDARD. Zur Überraschung vieler gaben sie grundsätzlich grünes Licht.

Dass die Hamburger Behörde das Pur-Abo des SPIEGEL durchgewunken hat, stößt bei noyb trotzdem auf Kritik. Der Einsatz von „Pay or Okay“ ziehe eine Einwilligungsrate von 99,9 Prozent nach sich, sagt der noyb-Vorsitzende Max Schrems unter Verweis auf eine internationale Studie. „Eine so hohe Fake-Zustimmung hat nicht mal die DDR zusammengebracht“, kritisiert Schrems. „Von einer freiwilligen Einwilligung kann hier keine Rede sein. Es scheint nur, als wolle die Hamburger Behörde von solchen Zahlen nichts wissen.“

Schwere Vorwürfe gegen Behörde

Gegenstand der Klage gegen die Hamburger Behörde ist allerdings nicht die Entscheidung an sich, sondern das Prüfverfahren, das zu ihr geführt hat. Die Nichtregierungsorganisation und der Betroffene haben Akteneinsicht vorgenommen und erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Behörde.

„Anstatt unvoreingenommen zu ermitteln und zu entscheiden, traf sie sich mehrmals mit Vertretern des Unternehmens, lud sie zu sich ein und gab Rückmeldungen zu den vorgeschlagenen Änderungsplänen“, heißt in der Pressemitteilung von noyb. Für den Verwaltungsaufwand habe die Aufsichtsbehörde dem SPIEGEL gut 6.100 Euro in Rechnung gestellt. Diese „Rechtsberatung“ sei für das Medienhaus deutlich günstiger gewesen als etwaige Gebühren bei einer Anwaltskanzlei, kritisiert noyb.

Über den konkreten Fall hinaus formuliert die NGO grundsätzliche Bedenken, wenn die Aufsichtsbehörde „Anwalt und Richter zugleich“ sei. „Laut DSGVO sollen Datenschutzbehörden Unternehmen zwar ‚sensibilisieren‘, aber keinesfalls beraten“, so noyb. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, Beschwerden zu untersuchen und „auf Grundlage ihrer Ermittlungen eine unparteiische Entscheidung zu treffen“.

Im Fall des SPIEGEL werde die Hamburger Aufsichtsbehörde nach der Beratung kaum noch Entscheidungen treffen, die ihren Empfehlungen widersprechen. Für das Hamburger Medienhaus sei das eine Win-Win-Situation. Der Beschwerdeführer hingegen sei von der Behörde nicht angehört worden. Mehr noch: „Der Großteil seiner Nachrichten an die Behörde wurde nicht einmal beantwortet“, so noyb.

Auch Meta setzt auf Pay or Okay

Die Person hat nun beim Verwaltungsgericht Hamburg beantragt, die Entscheidung der Datenschutzbehörde aufzuheben. Sollte diese Klage erfolgreich sein, müsste die Behörde erneut über die Beschwerde aus dem Jahr 2021 entscheiden.

Auch an anderer Stelle wird der Streit um das Pay-or-Okay-Modell weitergehen: Nach etlichen Versuchen, die DSGVO zu unterlaufen, hatte Ende vergangenen Jahres der US-Konzern Meta das Modell der deutschsprachigen Verlage aufgegriffen. Seitdem bietet er für seine Sozialen Netzwerke Facebook und Instagram eine Art Pur-Abo an. Umgehend entzündete sich Kritik an den Preisvorstellungen des Unternehmens. Auch hiergegen hat noyb Beschwerde eingelegt.

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2 Ergänzungen

  1. Zum Vorgehen der Behörde (jenseits der inhaltlichen Position): Die Alternative wäre, dass die Behörde die Unternehmen im Dunkeln über ihre Rechtsansichten lässt. Die Unternehmen kaufen sich dann teure Rechtsberatung ein. Wenn aber was nicht passt, geht die Behörde wieder dagegen vor im förmlichen Verfahren. Am Ende kostet das alles mehr Zeit und Ressourcen als wenn man sich mit einem großen Player wie Spiegel trifft und ein gemeinsames Konzept erarbeitet mit dem dann Ruhe ist. Denn die Ressourcen der Datenschutzbehörde sind begrenzt und die müssen auch überlegen, wie sie die einsetzen.

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