Compact-Verbot„Unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten immer problematisch“

Das Bundesinnenministerium hat das rechtsradikale Sprachrohr „Compact“ nach dem Vereinsrecht verboten. Geht das überhaupt, ist das juristisch sicher und inwieweit ist die Pressefreiheit davon betroffen? Wir haben den GFF-Juristen Benjamin Lück dazu interviewt.

Titelseite des Heftes Compact Geschichte
Die rechtsradikale Postille „Compact“ ist vorerst Geschichte. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Arnulf Hettrich

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat heute die reichweitenstarke rechtsradikale Publikation „Compact“ verboten. Das Magazin stehe gegen die verfassungsmäßige Ordnung und hetze „auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie“, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums.

Das Magazin gilt als Zentralorgan rechtsradikaler Kreise und ist sowohl mit der Identitären Bewegung als auch mit der AfD gut vernetzt. Das Verbot von Compact betrifft auch die zugehörigen Social-Media-Kanäle auf YouTube, Twitter/X, Facebook, TikTok und Telegram. Gleichzeitig zum Verbot gab es Hausdurchsuchungen von Geschäfts- und Privaträumen in mehreren Bundesländern.Weil das Verbot – ganz unabhängig von der fehlenden journalistischen Qualität und der menschenverachtenden Ausrichtung der Publikation – Presserecht und Pressefreiheit berührt, haben wir den Rechtsanwalt Benjamin Lück von der Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zum Thema interviewt.

netzpolitik.org: Die Innenministerin hat heute auf Grundlage des Vereinsgesetzes die rechtsradikale Publikation Compact verboten. Geht das rechtlich überhaupt?

Mann mit Brille
GFF-Jurist Benjamin Lück - Alle Rechte vorbehalten GFF

Benjamin Lück: Die entscheidende Frage ist, ob das Vereinsrecht auch ein Verbot von Medienunternehmen regelt. Dagegen spricht auf einer grundsätzlichen Ebene, dass an sich nur die Länder die Kompetenz zur Presseregulierung haben. Die andere, eher inhaltliche Frage ist, ob der besondere grundrechtliche Schutz der Presse eine Anwendung des Vereinsrechts ausschließt. Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings, etwas vereinfacht gesagt, in den Entscheidungen zum Verbot von linksunten.indymedia entschieden, dass Vereinsrecht grundsätzlich auch bei Medien anwendbar sein kann. Der besondere grundrechtliche Schutz ist dann an anderer Stelle einzubeziehen, nämlich ob die vom Innenministerium angeführten Verbotsgründe das Verbot stützen können.

netzpolitik.org: Das Bundesinnenministerium (BMI) hat ja die Unternehmen „COMPACT-Magazin GmbH“ und „CONSPECT FILM GmbH“ verboten. Kann eine GmbH ein Verein sein?

Benjamin Lück: „Verein“ ist nicht formalistisch im Sinne des zivilrechtlichen eingetragenen Vereins zu verstehen. Es knüpft an den weiten Vereinigungsbegriff in Art. 9 GG an. § 2 VereinsG definiert Vereine als „ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“.

Gegen volksverhetzende Inhalte, Hass und Desinformation

netzpolitik.org: Wie könnte der Staat im Sinne der wehrhaften Demokratie anders als mit dem Schritt eines Vereinsverbotes gegen solche Publikationen vorgehen, die volksverhetzende Inhalte, Hass und immer wieder Desinformation verbreiten?

Benjamin Lück: Erstmal müssen wir ja noch abwarten, wie genau das BMI das Verbot begründet. Laut Pressemitteilung stützen sie sich gerade auch auf nicht-publizistische Inhalte, die nicht den besonderen Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit genießen. Bei strafbaren, insbesondere volksverhetzenden Inhalten können die Strafverfolgungsbehörden schon heute tätig werden, aber das richtet sich eben gegen einzelne, konkrete Inhalte des Mediums und die jeweils verantwortlichen Personen, nicht gegen das Medium selbst. Ein Medienverbot ist unter freiheitsrechtlichen Gesichtspunkten dagegen immer problematisch. Ich bin gespannt, wie das Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht daher über diese Fragen entscheiden werden.

netzpolitik.org: Das Verbot beruht vor allem auf Erkenntnissen des Verfassungsschutzes. Hat damit der Inlandsgeheimdienst zu viel Macht, wenn er letztlich über die Existenz von Publikationen welcher politischen Ausrichtung nun immer, quasi mitentscheidet?

Benjamin Lück: Was im Einzelnen die tatsächliche Grundlage des Vereinsverbots ist, weiß ich nicht und kann ich nicht bewerten. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Verfassungsschutzämter, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und dementsprechend Informationen zu sammeln und auszuwerten. Nach dem Grundgesetz darf der Staat Vereinigungen nur verbieten, wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Insofern wäre es erstmal folgerichtig, falls das Innenministerium auch diese Erkenntnisse berücksichtigt.

Bei Compact ist es natürlich insofern interessant, als die publizistische Tätigkeit ja naturgemäß offen erfolgt, diese Informationen können die zuständigen Beamten im Innenministerium also auch selbst erheben. Ich gehe aber zunächst vorsichtig optimistisch davon aus, dass sie eine eigene Bewertung gerade unter vereinsrechtlichen Gesichtspunkten und der Rechtsprechung etwa des Bundesverwaltungsgerichts vorgenommen und nicht pauschal die Bewertung des Verfassungsschutzes übernommen haben.

netzpolitik.org: Nicht nur in rechten Kreisen wird jetzt die Parallele zum Indymedia-Linksunten-Verbot aufgemacht. Sind die Fälle überhaupt vergleichbar?

Benjamin Lück: Linksunten.indymedia war eine Online-Plattform, auf der jede*r jeden Inhalt posten konnte. Ein Unternehmen oder auch nur einzelne Personen, welche die Plattform zurechenbar betrieben haben, gab es nicht. Aus dem Grund gibt es auch nur gewissermaßen unbefriedigende Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und Bundesverfassungsgerichts dazu, da niemand im Namen des Vereins klagen konnte oder wollte. Compact war dagegen, soweit ich weiß, als klassischer Verlag strukturiert mit einem Print-Produkt als klassischem Presseprodukt, war zudem als GmbH im Handelsregister eingetragen und hatte einen nicht-anonymen Herausgeber, also eine eindeutig verantwortliche Person.

netzpolitik.org: Wie unterscheiden sich die beiden Publikationen noch?

Benjamin Lück: Die Inhalte entscheiden sich ebenfalls fundamental. Soweit ersichtlich stützt sich das BMI bei Compact unter anderem auf strafbare volksverhetzende Inhalte, der Vorwurf wurde linksunten.indymedia nicht gemacht, soweit ich weiß. Zudem nimmt das BMI gerade auch die nicht-publizistischen Tätigkeiten in den Blick. Es handelt sich so schon um fundamental unterschiedliche Sachverhalte. Gleichzeitig werfen beide Verfahren die Frage auf, ob das Vereinsrecht eben die geeignete Grundlage ist, um gegen Vereinigungen vorzugehen, die zumindest im Schwerpunkt publizistisch tätig sind.

netzpolitik.org: Vielen Dank.

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