Fahndung nach Ex-RAF-Mitgliedern„Dies ist kein System der Polizei!“

Die Polizei sucht zwei frühere RAF-Mitglieder und bittet im Netz um Hinweise. Ein System, das anonyme Tipps ermöglichen soll, ist über eine externe Domain erreichbar. Das kann zum Problem werden, wenn es Nachahmer auf den Plan ruft.

Drei Berliner Polizisten stehen vor dem Hauseingang, wo Klette gewohnt hatte
Immer wieder gab es in den letzten Tagen Hausdurchsuchungen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Wenn die Polizei öffentlich nach Verdächtigen fahndet, steht am Ende der Meldungen oft: „Wir bitten um Hinweise an die Polizei Musterstadt oder jede andere Polizeidienststelle“, meist gefolgt von einer Telefonnummer, manchmal einer E-Mail-Adresse.

Einige haben auch Kontaktformulare oder Hinweisgeber-Systeme, die teils anonyme Meldungen versprechen. So wie das Landeskriminalamt Niedersachsen, das die Fahndung nach den mutmaßlichen Räubern und Ex-RAF-Mitgliedern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub leitet. Es gibt aber eine Besonderheit bei dem Hinweisgeber-System des LKA: Die Fahnder nutzen zusätzlich zu Telefon und Co. ein Programm namens BKMS, kurz für: Business Keeper Monitoring System.

Privatwirtschaftliches System für anonyme Hinweisgeber

Auf der Website des Bundeskriminalamts heißt es dazu:

Das BKMS® System ist kein System der Polizei! Es wird seit vielen Jahren in der Privatwirtschaft erfolgreich für die Abgabe von anonymen Hinweisen in Fällen von Korruption eingesetzt.

Seit dem 9. Februar lassen sich darüber Hinweise zu den Gesuchten abgeben. Doch der Link führt nicht auf eine Domain des LKA Niedersachsen oder einer anderen Behörde, sondern auf „bkms-system.net“.

Wie viele Hinweise aktuell über das System eingegangen sind, kann uns das LKA Niedersachsen „aufgrund der aktuellen Einsatzlage“ nicht sagen. Vom 14. bis zum 20. Februar seien es aber insgesamt 245 Hinweise gewesen, von denen 80 per BKMS kamen. Am 14. Februar wurde eine Sendung von „Aktenzeichen XY…Ungelöst“ ausgestrahlt, in der sich die Polizei erneut mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewendet hatte.

Für Korruption, Wirtschaftskriminalität und Mord

„Im Kontext der Sendung Aktenzeichen XY wurde entschieden, das anonyme Hinweisgebersystem für Hinweise zur Ergreifung der flüchtigen RAF-Terroristen freizuschalten“, schreibt das LKA gegenüber netzpolitik.org. Man setze es jedoch bereits seit 20 Jahren ein, damit Bürger:innen anonym Hinweise zu Fällen der Wirtschaftskriminalität oder Korruption einreichen könnten und habe es bereits für andere Fahndungen genutzt, etwa bei Mord und schwerer Brandstiftung. Gespeichert würden bei BKMS „weder Timestamps noch IP-Adressen des Hinweisgebenden“, so das LKA. „Eine technische Anonymität ist dadurch gewährleistet.“

Wissen wollen die Ermittelnden via BKMS etwa, ob Personen aus dem eigenen Umfeld den Gesuchten ähnlich sehen und sich „ungewöhnlich verhalten“. Oder ob man etwas zu Erkrankungen und Vorlieben der Gesuchten sagen könne. Auch Hinweise auf wissende Bekannte, die sich „aus Angst aber nicht an die Polizei wenden“ sind gern gesehen.

Screenshot des BKMS mit Fragen zu den gesuchten Ex-RAF-Mitgliedern.
Wer verhält sich auffällig? Welche Krankheiten haben die Gesuchten? Hat jemand Bekannte, die sich „aus Angst“ nicht an die Polizei wenden?

Als Fahndungssystem will das LKA das privatwirtschaftlich betriebene Portal aber nicht genutzt wissen. Es sei „lediglich ein System, in dem anonyme Meldungen erfasst und bearbeitet werden“, zusätzlich zu Hinweis-Hotline und E-Mailadresse. „Eine eigenständige Fahndung oder Bearbeitung der Hinweise durch die Software BKMS findet nicht statt.“

Nachahmungsgefahr kann nicht ausgeschlossen werden

Ein mögliches Problem des externen Systems: Wie sollen mögliche Hinweisgebende wissen, dass sie wirklich mit der Polizei reden? Das LKA schreibt dazu: „Das Portal zur Abgabe anonymer Hinweise ist über die offizielle Internetpräsenz des LKA Niedersachsen abrufbar. Bei ausschließlicher Nutzung des dort hinterlegten Links besteht für den Hinweisgebenden keine Gefahr auf einer gefälschten Website zu landen.“

Aber Links direkt zum BKMS gibt es nicht nur beim niedersächsischen LKA, sondern auch in Nachrichtenmeldungen oder in Sozialen Medien. Verhindern kann das LKA das nicht. Direkt auf diese oder andere Links anderswo klicken, um das System zu nutzen, sollte man daher lieber nicht.

4 Ergänzungen

  1. Anschwärzungen bei der Polizei waren schon immer beliebt.
    Warum nicht auch das Spitzelwesen der Polizei digitalisieren?

    1. Ich nutze dieses System immer, um rechtsextreme BeamtInnen zu melden, wenn ich einen Racial-Profiling-Vorfall mitbekomme. Ich frage mich, was mit meinen Hinweisen passiert.

  2. Mit Künstlicher Intelligenz spüren Journalisten die Ex‑RAF-Terroristin Daniela Klette auf – in nur 30 Minuten. In der Talkshow von Moderator Markus Lanz kritisiert der Journalist Khesrau Behroz seinen eigenen Einsatz der Gesichtserkennungssoftware, womit er die Gesuchte ausfindig machte.
    https://www.rnd.de/politik/markus-lanz-journalist-kritisiert-eigenen-ki-einsatz-bei-suche-nach-ex-raf-terroristin-daniela-WUDEZJ6RBJHYDFLFETJS4JACJE.html

    Hierzu der Ausschnitt aus der Lanz-Sendung mit Journalist Khesrau Behroz
    https://www.youtube.com/watch?v=iS5eDfNuS1Y (26:10 min)

    Für den KI-Vergleich mit dem Fahndungsfoto wurde ein Foto von einer Vereins-Website herangezogen, wie sie zu hunderttausenden in den Foto-Gallerien deutscher Vereine zu finden sind. Süffisant bemerkt Behoz, dass Klette ihre „Boomerhaftigkeit“ zum Verhängnis wurde, weil sie es sich damals nicht vorstellen konnte, dass es einmal eine KI geben wird, die ihr jahrzehnte altes Fahndungsfoto matchen kann (was eine anhaltende Erheiterung darüber auslöst). Danach ging er Undercover zum Verein („Hey, ist Claudia schon hier gewesen? Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen“, fand den „real Nachname“ und damit auch noch ein Facebook-Account. Zur „Boomerhaftigkeit“ gehöre auch, dass Leute ihr eigenes Foto auf Facebook oder Instagram liken. Ein Foto bildete auch ihr Wohnhaus ab.

    Nebenbei bemerkt: Es steht eine Belohnung von 150.000 Euro im Raum, im Fall Klette

    1. „Naja, die Tür zum Haus stand halt schon offen.“

      Wir haben die Checks and Balances nicht mal bei normaler Strafverfolgung, von wegen illegal erlangter Beweise.

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