Die Fraktion der Linken im Bundestag ist seit heute aufgelöst. Die Abgeordneten der Partei bleiben, zunächst als fraktionslose Parlamentarier:innen. Das wird vieles ändern, auch für netzpolitische Oppositionspolitik. Denn mit dem Fraktionsstatus fallen auch viele Rechte für die Abgeordneten der Linken weg.
Kurz vor Auflösung der Fraktion wurde deshalb in der letzten Woche noch über viele Anträge der früheren Fraktion abgestimmt: etwa über ein Ende von Netzsperren, den Verzicht auf Privatadressen im Impressum oder für das Recht auf Offline-Zugang zu allen wichtigen Dienstleistungen des Staates. Alle wurden abgelehnt. Jetzt wird es noch schwieriger als bisher, linke Digitalpolitik auf die Agenda des Parlaments zu hieven.
Aufgeben ist aber für die Abgeordneten keine Option: „Mir liegt besonders viel daran, dass man uns nicht abschreibt, denn wir sind zwar keine Fraktion mehr, aber immer noch da“, schreibt Anke-Domscheit-Berg. Sie war bisher die digitalpolitische Sprecherin der aufgelösten Fraktion. „Wir werden uns weiter den Allerwertesten aufreißen, als einzige linke Opposition im Bundestag“, kündigt sie an.
Weitermachen als Gruppe
Um einen Teil der Rechte wiederzuerlangen, die ihnen als Fraktion zustanden, wollen 28 Abgeordnete der Partei eine sogenannte Gruppe bilden. Domscheit-Berg hofft, dass diese schnell vom Parlament bestätigt wird. „Dennoch werden wir auch vorher in unserer 28er-Gruppe schon gemeinsame Pläne schmieden, wie es nun weitergeht, wo wir welche Schwerpunkte legen wollen.“ Alles, das ist klar, geht nicht mehr. Dafür fehlen auch die Mitarbeiter:innen der Fraktion: Bisher waren es über 100 Menschen, die direkt bei der Fraktion angestellt waren.
„Ihre fachlich kompetente Arbeit war für uns extrem wichtig“, schreibt Domscheit-Berg. Vor allem der Weggang von Anne Roth als Referentin für Netzpolitik der Fraktion werde sich sehr negativ auswirken. Domscheit-Berg hofft, dass Roth und andere wieder eingestellt werden können, wenn sich die Gruppe gebildet hat. „Aber da es viel weniger Mittel geben wird für Personal, ist das leider noch unklar.“
Ohne Fragen keine Antworten
Ein wichtiges Werkzeug der Oppositionsarbeit sind Kleine Anfragen. Die Parlamentarier:innen können auf diesem Weg Informationen von der Regierung erfragen. Oft helfen diese Informationen, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie steht es um das Ausländerzentralregister? Was will die Regierung gegen digitale Gewalt tun? Für welche kommerziellen Staatstrojaner interessieren sich deutsche Behörden? Das und vieles andere wissen wir dank des wichtigen Fragewerkzeugs.
Dieses Recht fällt ohne Fraktion weg, es bleiben nur noch vier Einzelfragen pro Monat für die Abgeordneten. „Die funktionieren für viele Themen nicht“, schreibt Domscheit-Berg. „Eine solche Frage darf nicht mehr als 28 Einzelelemente haben. Ich könnte also beispielsweise nicht fragen, welche Rechenzentren des Bundes Abwärme nutzen oder Ökostrom, weil es weit über 100 Rechenzentren im Bund gibt und bestimmt mehr als 28 davon Ökostrom nutzen. Ich könnte auch nie die KI-Projekte des Bundes in einer Schriftlichen Frage abfragen, denn das sind ja auch viel mehr als 28 mögliche Antworten.“
Sie hofft, bald als Teil der Gruppe wieder Kleine Anfragen stellen zu können. Und kündigt an, weiter mit ihren Fragen zu „nerven“, auch in Ausschüssen und anderswo: „Denn die bringen nicht nur Erkenntnisgewinn, sondern verändern hier und da auch wirklich etwas, weil sie zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle Druck ausüben.“
„Der lange Arm der Zivilgesellschaft“
Die Abgeordneten können nun auch keine Expert:innen bei Sachverständigen-Anhörungen im Bundestag mehr vorschlagen. Domscheit-Berg schreibt, sie könne als Einzel-Abgeordnete deshalb nicht mehr dafür sorgen, dass die Stimme der Zivilgesellschaft in Anhörungen auch vorkommt. „Da ich mich als langen Arm der Zivilgesellschaft im Parlament betrachtet habe, schränkt das natürlich die Wirkung meiner Arbeit – hoffentlich nur vorübergehend – ein.“
Vieles ist noch ungewiss: in welchen Ausschüssen die linken Abgeordneten noch präsent sein werden, auf welche Themen sie sich mit ihren begrenzten Ressourcen konzentrieren, welche Gremien sie besetzen können. Es ist ein Präzendenzfall, dass eine Fraktion während einer laufenden Legislatur zur Gruppe wird. Wie sie ihre Arbeit fortsetzen kann, wird „wesentlich davon abhängen, wie demokratisch die Ampelmehrheit mit der linken Opposition umgeht“, so Domscheit-Berg.
Dabei geht es auch um ganz formale Dinge wie die Änderung von Tagesordnungen. „Da fliegt mal was raus und mal kommt was neu rein.“ Hier wären die Abgeordneten darauf angewiesen, dass andere sie mitinformieren, auch wenn sie keinen direkten Zugang zu den Daten mehr haben.
„Zu tun gibt es genug“
Domscheit-Berg verspricht, dass sie und die anderen der künftigen Gruppe „alle Spielräume maximal ausnutzen werden“. Sie konzentriere sich ohne Unterbrechung auf ihre fachliche Arbeit: „Zu tun gibt es da ja genug.“ Ihr ist besonders wichtig, dass man die linke Opposition nicht abschreibt.
„Wenn Euch also jemand erzählt: ‚Schade, dass die Linke jetzt weg ist‘ – dann widersprecht bitte und richtet gern von mir aus, dass wir immer noch da sind und immer noch für die gleichen Werte kämpfen“, so Domscheit-Berg.
Bei ihr sind sind das etwa der Einsatz gegen Überwachung und Chatkontrolle, für „everything open“ und für den gläsernen Staat. Sie will sich weiter einsetzen „für nachhaltige Digitalisierung und eine, die nicht diskriminiert, sondern gesellschaftliche Probleme löst, gegen Monopole und für echte Selbstbestimmung“.
Ein kritischer Punkt für die linken Bundestagsabgeordneten kommt jedoch noch: Am 19. Dezember wird das Bundesverfassungsgericht über die Wiederholung der Berliner Bundestagswahl entscheiden. Dort holte die Partei zwei Direktmandate. Nur diese hievten sie ins Parlament. Falls es also zu einer Wiederholung der Wahl kommen sollte, wird es spannend. Wenn nur eines der Mandate verloren gehe, „fliegen wir alle sofort aus dem Bundestag“, erklärt Domscheit-Berg. Ruhige Zeiten wird es also zunächst nicht geben für die Abgeordneten, die sich als Gruppe neu finden wollen.
Als Plattform für zivilgesellschaftliche Aktivitäten jenseits der Grünen kommen sie vielleicht sogar über 5%, wäre hilfreich.
Aber die Salonlinken in der Parteiführung werden die grünen Themen nicht aufgeben, denn nur dort können sie konsequent solidarisch ohne persönliche Nachteile sein. Und wem das reicht wählt nicht die Linke.
Und wenn sie erstmal raus sind, kommen sie als Plattform nicht zurück.
Fabio de Masi wäre da jetzt natürlich ein Pfund, aber das war ja nicht so wichtig…