Europaweite UmfrageZwei Drittel aller Jugendlichen gegen Chatkontrolle

Die Chatkontrolle-Verordnung fällt auch bei jenen durch, die sie angeblich schützen soll. Mit großer bis überwältigender Mehrheit lehnen Jugendliche die Durchsuchung von Chats und Mails ab, hat eine repräsentative Umfrage in Europa herausgefunden.

Teenagerin mit Kopfhörern schaut auf ihr Smartphone
Jugendlichen in Europa ist ihre Privatsphäre wichtig, sie lehnen mit großer Mehrheit die Chatkontrolle ab. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Addictive Stock

Zwei Drittel aller Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren sind dagegen, dass Anbieter ihre Mails und Chatnachrichten durchsuchen, nur jeder fünfte hält das für angemessen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage unter 8000 Jugendlichen aus 13 Ländern in Europa hervor, die der europäische Dachverband digitaler Bürgerrechtsorganisationen EDRi und die Piratenpartei im Europaparlament in Auftrag gegeben haben.

Die Umfrage zeigt auch, dass 80 Prozent der Jugendlichen sich nicht wohl dabei fühlen würden, politisch aktiv zu sein oder ihre Sexualität zu erkunden, wenn Unternehmen oder Behörden ihre digitale Kommunikation überwachen könnten, um nach sexuellem Kindesmissbrauch zu suchen. Bei einer Frage nach wirksamen Methoden um Jugendliche vor Schaden im Internet zu schützen, gaben nur 2 Prozent an, dass das Scannen der privaten Kommunikation ein wirksames und angemessenes Mittel sei, während jeweils ein gutes Drittel eine Verbesserung der Medienkompetenz oder verbesserte Meldemechanismen favorisierten.

Seit gut neun Monaten verhandelt die EU einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Pläne der EU-Kommission beinhalten viele bedenkliche Vorhaben – wie Netzsperren, Alterskontrolle und Chatkontrolle. Internet-Dienste sollen auf Anordnung die Kommunikation ihrer Nutzer:innen durchleuchten, um Hinweise auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu finden. Für Deutschland sitzt das Innenministerium am Verhandlungstisch im Ministerrat. Das ist das zweite EU-Organ, das nun neben dem Parlament seine Position ausarbeiten muss. Noch immer ist sich die Bundesregierung nicht einig, die Ampel streitet seit Monaten – und das Innenministerium ist nur zu wenig Zugeständnissen bereit.

Zwei Drittel nutzen verschlüsselte Messenger

Von den Befragten nutzen etwa zwei Drittel verschlüsselte Messenger-Apps wie WhatsApp oder Signal, nur 16 Prozent wären einverstanden, in Zukunft keine verschlüsselten Kommunikations-Apps mehr nutzen zu dürfen. Eine Mehrheit der Jugendlichen will weiterhin anonym chatten und über solche Apps auch mit Personen über 18 Jahren kommunizieren können.

Für mehr als zwei Drittel ist es wichtig bis sehr wichtig, sich auch mit Personen über 18 Jahren auszutauschen. Sollten Jugendliche keine solchen Kommunikations-Apps mehr nutzen können, gehen mehr als 80 Prozent davon aus, dass sie auf jeden Fall oder vielleicht einen Erwachsenen finden, der die App für sie registriert.

Jeder dritte befragte Jugendliche hat schon einmal intime Fotos von sich über Messenger und ähnliches verschickt. Diese Zahl ist wichtig, weil die EU-Verordnung vorsieht, dass unbekanntes Material von Minderjährigen zu automatisierten Meldungen führen soll. In Europa leben derzeit etwa 140 Millionen Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre.

Privatsphäre ist Jugendlichen wichtig

„Junge Menschen schätzen ihre Privatsphäre“, sagt Andreea Belu von EDRi über die Ergebnisse. Konstantin Macher von Digitalcourage warnt gegenüber netzpolitik.org davor, dass die im Rahmen der Chatkontrolle-Verordnung vorgeschlagenen Maßnahmen „Jugendliche daran hindern würden, sich politisch zu engagieren und ihre Identität in einem entscheidenden Lebensabschnitt zu erkunden.“

Ella Jakubowska von EDRi, die zuletzt als Sachverständige im Deutschen Bundestag eingeladen war, sagt:

Da die Verhandlungen derzeit in vollem Gange sind, ist es wichtig, dass alle Mitglieder des Europäischen Parlaments auf die Ergebnisse dieser Umfrage hören. Junge Menschen profitieren in hohem Maße von Privatsphäre und Sicherheit im Internet und zählen darauf, dass die Abgeordneten einen Vorschlag ablehnen, der ihr digitales Leben angreifen würde.

Digitalcourage, das Teil des europaweiten Bündnisses „Stop Scanning Me“ ist,  sieht nun Handlungsbedarf. Die Umfrage zeige, dass junge Menschen die Massenüberwachungsmaßnahmen in der CSA-Verordnung ablehnen und ihr Anspruch auf ein sicheres und privates Internet geschützt werden müsse. In einer Pressemitteilung heißt es:

Das Europäische Parlament hat die Möglichkeit, die Stimme junger Menschen zu stärken und ihr Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten. Der Deutschen Bundesregierung und dem Bundestag kommen dabei Schlüsselrollen zu. Das Kindeswohl ist ein Schlüsselprinzip des Rechts und dazu gehört auch, jungen Menschen zuzuhören, wenn es um die Welt geht, die sie sich wünschen.

Die Kampagne „Stop Scanning Me“, der sich mittlerweile 125 Organisationen aus ganz Europa angeschlossen haben, sammelt derzeit mit einer Petition Unterschriften gegen die Chatkontrolle.

Rohdaten:
Die Rohdaten der Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Episto in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Tschechischen Republik, Spanien, Österreich, Schweden, Italien, Polen, Ungarn, der Slowakei und Griechenland durchgeführt hat, sind auf den Servern von EDRi verfügbar.

Update 15:02 Uhr:
In einer früheren Version stand, dass YouGov die Umfrage durchgeführt hätten, es war aber das Meinungsforschungsinstitut Episto.

6 Ergänzungen

  1. Ältere Damen und Herren versuchen die Kinder/Jugendlichen zu schützen und diese wehren sich vehement gegen diese „Hilfe“. Da gibt es doch einen Begriff für, der auch in dem Entwurfstitel der EU vorkommt? So wird auch klar warum sich viele Altparteien vor einem Wahlalter v. 16 so gegen streuben.

  2. >> Meinungsforschungsinstitut Episto:

    Episto General Information
    Description

    Developer of lead generation platform designed to get genuine reviews from customers through engaging conversations. The company offers hyper-targeted advertisements and conversations on messaging applications to bring clients closer to their customers and future customers by sending them questionnaires in multiple choices, open-ended, and media formats, enabling clients to get target their customer base more effectively.

    Unter Verwendung solcher Erhebungsmethoden lassen sich schwerlich repräsentative Umfragen in Europa durchführen.

    1. Der Beschreibungstext klingt arg nach der inoffiziellen Mietversion von CzechGPT.

        1. Es war nicht mit Bezug auf den Post bzw. Poster gedacht, sondern bzgl. der gedachten Marketingabteilung, die den Text wohl verfasst haben muss.

  3. Wir haben in dieser Angelegenheit genau dasselbe Phänomen, mit dem in den 80ern und davor versucht wurde, die Existenz des Schwulenparagraphen 175 zu rechtfertigen, nämlich mit dem Schutz der Jugend vor angeblicher und nie bewiesener „Verführung“ zur Homosexualität.

    Damals wurde die Jugend auch nicht gefragt, ob sie überhaupt „geschützt“ werden wollte. Von Politikern, die über Homosexualität besser Bescheid zu wissen glaubten als die Schwulen selber.

    Das gilt auch für die 2008 von der CDU/SPD vorangetriebene und schon damals von Sozialpsychologen wie Jugendverbänden heftig kritisierte Schutzalterreform des Jugendstrafrechts.

    Und genauso ist es jetzt. Es entscheiden Leute, die in einer realitätsfernen Blase leben, und quasi ebenso hysterisch wie „völlig losgelöst“ von der Lebenswelt der Jugendlichen samt deren Sexualität politisch agieren.

    Mal sehen, ob die Politiker lernfähig sind und diese Umfrage zur Kenntnis nehmen. Ich habe da erhebliche Zweifel.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.