„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir dich finden“: Was im Lied nur angedeutet wird, zeigt das Musikvideo zu „Schlechtes Gewissen“ eindeutig: Die Berliner Rap-Gruppe Audio88 & Yassin schreibt – in diesem Fall selbstironische – bedrohliche Kommentare auf YouTube zu ihren Liedern und sucht andere zuhause auf.
Das Intro zu ihrem neuen und fünften Album „Todesliste“ eröffnet mit aktuellen Themen. Nach dem vorherigen Album „Halleluja“, das vor fünf Jahren erschien, staute sich sichtlich Wut über die Untätigkeit des Staats an, die Audio88 & Yassin in 13 Tracks herauslassen.
In der für die Corona-Pandemie typisch verlängerten Promo-Phase machen die Künstler nicht nur aufmerksam auf ihre Musik. Beispielsweise die Einzelfall-Theorie bezüglich rechtsextremen Polizist:innen kritisiert Audio88 immer wieder: „Glaubt ihr, die Dunkelziffer rechtsextremer Chatgruppen und Netzwerke in der Polizei ist höher oder wirklich nur ein entspannter Einzelfall pro Tag?“
„Wir wissen, wo du wohnst, ist für dich ein bisschen doof“
Während die beiden Rapper mit Hassrede im Video zu „Schlechtes Gewissen“ noch ironisch umgehen, hat es die Problematik Feindeslisten in sich. Wenn es nach dem Gesetzesvorschlag des Bundesjustizministerium geht, ist ihre Verbreitung bald strafbar. Der Vorschlag könnte jedoch nicht nur Rechte mit Feindeslisten treffen, sondern auch Antifaschist:innen, die Nazis outen.
In dem autobiografischen Solo-Track „Cottbus“ schreibt Audio88 einen Brief an all die Menschen, die die Neonazis ihr tödliches Schaffen ermöglichten und die Neonazis selbst. Und möchte, dass sie – die Richter, die Lehrer, die Nachbarn, die Trainer, die Kollegen – wissen, dass er sie „zu tiefst verachtet“. Für ihn sind sie „genauso Täter“ wie die Neonazis.
So berichtet er von der Verquickung verschiedener Milieus, die Hand-in-Hand Täter schützen. Die Lehrerin, die „Whitepower“-Outfits ihrer Schüler aus der neunten Klasse „witzig“ findet. Die Polizei, die nicht ermittelt, sondern ermöglicht. Er rappt mit Wut und null Verständnis für menschenverachtende Ideologien. „Nichts als Respekt“ für jeden, der antifaschistische Arbeit macht.
In „Freunde“ gehen die beiden Berliner Rapper mit alten Freunden ins Gericht – oder zumindest Menschen, von denen sie dachten, dass sie befreundet waren. Sie zitieren diese Bekanntschaften als Verschwörungstheoretiker, Frauenfeinden und Antisemiten und sprechen sich dafür aus, den Kontakt abzubrechen.
„Daumen hoch von Maaßen“
Brutaler vom Beat, auch den Stimmen und dem Inhalt geht es in „Lauf“ zu. Die Kugel sei schon lange aus der Trommel. Man solle laufen, bevor sie einen trifft. Sie sinnieren, was geschehen wäre, hätte nicht Stefan, sondern Mahmut den Politiker Lübcke erschossen: „In der Todeslisten-Whatsapp-Gruppe mit den Kameraden gibts für jeden neuen Namen einen Daumen hoch von Maaßen“.
Ironisch zählen sie auf, dass das „Thema Menschenrechte“ gerade bei „Markus Lanz neu verhandelt“ wird. „Gelten scheinbar nicht für alle, wie viele ersaufen denn vor Malle?“ Audio88 & Yassin wollen sich nicht sagen lassen, dass die aktuelle Normalität hinnehmbar ist, so scheint es.
Vielmehr wollen die Künstler mit dem neuen Album exemplarisch aufmerksam machen, welche Missstände in unserer Gesellschaft vorherrschen. Sie spielen vielfach darauf an, dass sie eine eigene Todesliste hätten: Gegengewalt als Kunst. Der:die Hörer:in stehe auf der Todesliste „plus eins“.
Das Album macht Spaß. Es lässt einen rätseln, welche Anspielungen versteckt sind und was nun gemeint ist. Mit Ironie und Überheblichkeit, wie gewohnt. Es endet mit einem vermeintlich fröhlichen Solo-Track von Yassin: „Besser als nichts, es ist ein Ende in Sicht“.
„Todesliste“ von Audio88 & Yassin erscheint heute bei Normale Musik.
„ziehen die beiden Berliner Rapper mit alten Freunden vor Gericht“ …zieht man in dem Fall nicht „gegen …“ vor Gericht?
Hey M., ich meinte die Redewendung „mit jemanden ins Gericht gehen“ im Sinne von „jemanden scharf kritisieren“. Sie gehen ja nicht tatsächlich vor Gericht. Danke für Deinen Hinweis!