Vor über zwei Jahren, im November 2017, hat die Europäische Union die Verordnung zur Errichtung eines „Einreise-/Ausreisesystems“ (EES) beschlossen. Alle Drittstaatsangehörigen, egal ob sie ein Visum benötigen oder von der Visumpflicht befreit sind, werden demnächst beim Übertritt einer Schengen-Außengrenze mit ihren biometrischen Daten erfasst. Damit sollen sogenannte „Overstayer“ ermittelt werden. Gemeint sind Personen, die ihr Visum überziehen und nicht im vorgeschriebenen Zeitraum wieder ausreisen. Die elektronische Registrierung ersetzt außerdem das manuelle Abstempeln von Reisepässen.
Neben den Personendaten und Ausweisdokumenten werden von Reisenden, die keinen Visumsantrag gestellt haben, vier Fingerabdrücke, das Gesichtsbild sowie Datum und Ort der Einreise und Ausreise im EES gespeichert. Haben diese bei einem Visumsantrag bereits biometrische Daten abgegeben, werden diese übernommen.
Abgleich mit Tatortspuren
Das EES wird von der Europäischen Agentur für IT-Großsysteme (eu-LISA) betrieben. Alle Staaten, die den sogenannten Schengen-Besitzstand anwenden, nehmen daran teil. In der EES-Verordnung wird ihren Strafverfolgungsbehörden über nationale Schnittstellen der Zugang ermöglicht. Auch die Polizeiagentur Europol kann darauf zugreifen und beispielsweise Fingerabdruckspuren von Tatorten mit den im EES gespeicherten Fingerabdruckdaten vergleichen.
Die beim Grenzübertritt erhobenen Daten werden mit dem Schengener Informationssystem, der Interpol-Datei für gestohlene oder verlorene Ausweisdokumente und der jeweiligen nationalen Fahndungsdatenbank abgeglichen. Außerdem ist das EES mit dem zentralen Visa-Informationssystem (VIS) vernetzt. Auch Visumsbehörden können das System abfragen oder visumbezogene Daten in das EES exportieren.
Im EU-Forschungsprojekt „SMILE“ arbeitet das deutsche Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme mit Polizeibehörden daran, das EES mit weiteren, neuen EU-Informationssystemen zu verzahnen. Angaben von Reisenden bei der Grenzkontrolle im EES sollen auf diese Weise mit der ebenfalls beschlossenen Vorabbefragung im ETIAS-System verglichen werden. Die EU-Kommission fördert das Projekt mit 5 Millionen Euro, im Sommer sollen Ergebnisse vorliegen.
Abnahme biometrischer Daten verzögert die Grenzkontrolle
Ursprünglich war die Inbetriebnahme des EES für 2021 geplant, jetzt soll es Anfang 2022 an den Start gehen. Alle Schengen-Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass bis dahin neue Kontrolltechnik an allen Grenzübergangsstellen an Land, an Häfen und Flughäfen verfügbar ist. Im April meldete beispielsweise die in Jena ansässige Firma Jenetric, dass die Bundespolizei 1.700 Vierfinger-Scanner des Unternehmens anschafft.
Das EES soll Verzögerungen bei den Grenzübertrittskontrollen reduzieren. Durch die Abnahme von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern dauern Kontrollen jedoch deutlich länger als vorher. Dies belegt ein nun veröffentlichter Auswertungsbericht zu einem Pilotprojekt, das die Bundespolizei am Flughafen Frankfurt und dem Fährterminal in Rostock-Warnemünde durchgeführt hat. Demnach führt das EES „zu einer signifikanten Erhöhung der Dauer der Grenzkontrollprozesse“. Der Grenzübertritt für visumbefreite Drittstaatsangehörige verzögert sich beispielsweise auf 89 Sekunden.
Die Einführung des EES geht deshalb mit schnelleren Verfahren zur Abnahme der biometrischen Daten einher. Schon jetzt wird der Grenzübertritt an vielen europäischen Flughäfen mit automatischen Kontrollspuren vereinfacht. In Deutschland sollen mittlerweile auch Kinder diese sogenannten „eGates“ nutzen.
EU erlaubt Biometrie-Automaten
Zukünftig sollen die Reisenden ihre Fingerabdrücke und Gesichtsbilder an einem Selbstbedienungskiosk abgeben. Möglich macht dies eine Änderung des Schengener Grenzkodex, der in Artikel 8a die Verwendung von „Self-Service-Systemen zur Vorabeingabe von Daten in das EES“ regelt.
Sofern die Person noch nicht im EES erfasst ist, wird sie von dem Automat in einer Datei gespeichert. Existiert bereits ein solches Personendossier, wird es aktualisiert. GrenzkontrollbeamtInnen prüfen anschließend die Echtheit der Angaben und genehmigen oder verweigern die Einreise.
Personen, die über ein chipbasiertes, biometrisches Ausweisdokument verfügen, können auch diese Prozedur automatisiert erledigen. Ihre am Selbstbedienungskiosk ausgelesenen biometrischen Daten werden dann im „eGate“ von Scannern überprüft. Nur wenn dieser Gesichtsbildabgleich nicht eindeutig funktioniert oder der Verdacht besteht, das Ausweisdokument könnte manipuliert worden sein, werden die Reisenden im „eGate“ blockiert und durch BeamtInnen kontrolliert.
Einreisebefragung mit „Selbsterfassungsstation“
Den Schengen-Staaten steht es frei, ob sie ein teilautomatisiertes Grenzkontrollsystem mit einer „händischen“ Nachkontrolle oder ein vollautomatisiertes System mit Selbstbedienungskiosken beschaffen. Im letzteren Fall können die Grenzbehörden die vorhandenen „e-Gates“ mit den „Self-Service-Systemen“ verknüpfen. Dann finden die EES-Prozedur und der Grenzübertritt ohne Zutun von GrenzbeamtInnen in einer einzigen Anlage statt. Die Grenzagentur Frontex hat in Lissabon ein solches Verfahren an einem Flughafen getestet. Dort erfolgte die Abnahme der biometrischen Daten mit berührungslosen Scannern.
Auch die Bundespolizei kauft jetzt entsprechende Anlagen. In einer europäischen Ausschreibung sollten zunächst 170 „Selbsterfassungsstationen“ für einzelne Flughäfen beschafft werden, ein Rahmenvertrag bestimmt die Lieferung von weiteren 1.000 Exemplaren. Eine solche Technik vermarktet etwa die deutsche Firma secunet, die bereits das Pilotprojekt der Bundespolizei in Frankfurt und Rostock geleitet hatte. Ihr „Self-Service-System“ heißt „easykiosk“ und ist beliebig erweiterbar. So können „alternative Biometriekomponenten“ (etwa die Iriserkennung) oder neue Dokumententypen integriert werden. Das Gerät kann auf Wunsch auch die „behördliche Einreisebefragung“ erledigen.
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