Seit einiger Zeit geht ein Rascheln durch den Blätterwald. Das Konzept, wonach Forenbetreiber erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme für die Diskussionsbeiträge anderer Menschen (hier: Forenteilnehmer) haften, wurde vom Hamburger Landgericht in einem Streitfall zwischen Mario D. und dem Verlag Heinz Heise in dieser Form nicht nachvollzogen. Ganze vier Monate dauerte es, bis nun dem Verlag die schriftliche Begründung des Urteiles vorliegt.
Apropos vorliegen.
Die Stadt Hamburg kennt ja durchaus das Hamburger Landgericht. Und, man freut sich schon, es gibt auch einen Link auf Entscheidungen des LG Hamburg.
Zu früh gefreut. Eine Kategorie macht noch keinen Inhalt und die letzte veröffentlichte Entscheidung stammt aus dem letzten Jahr. Vermutlich wäre es das beste, wenn heise (wie im Fall Musikindustrie vs. Presseberichterstattung) hier Dokumente offenlegen könnte.
Das Urteil scheint es jedenfalls in sich zu haben.
Demnach handelt es sich bei Webforen um eine „besonders gefährliche Einrichtung“. Derjenige, der eine solche Gefahrenquelle betreibe, sei einer verschärften Haftung unterworfen.
Lesenswert sind die Vorschläge des LG, wie man mit 200.000 Forenbeiträgen im Monat umzugehen hat: Voherige Prüfung durch den Betreiber.
Und wehe, er verpennt oder verklickt sich einmal an der falschen Stelle, dann bedarf es gar nicht mehr der klassischen Haftungsschiene.
Ich überlasse dem Rest der Blogosphäre eine Wertung wie „Ende der Meinungsfreiheit“, „Richter, die das Internet nicht verstehen“, „Compuserve-Urteil, Teil 2“ oder einfach nur „Danke Heise für die Rechtsmittel“.
UPDATE 14. April 2006 – 20:34 Uhr
Dank des r-Archivs gibt es nun auch das Urteil im Volltext online.
Der Text des Urteils ist unter <a href="http://www.r-archiv.de/article2379.html">www.r-archiv.de</a> abrufbar.
Ich möchte nichts falsch verstehen. Das Urteil gilt doch nur für diesen speziellen Fall. Wenn von Vorabkontrollen in Foren die Rede ist, heißt das doch nur, dass Heise Online vorab prüfen muss, ob Forenbeiträge erneut in diesen speziellen Fall unrechtmäßig sind, damit nicht erneut jemand zu diesen massenhaften Downloads aufruft.
Selbst das wäre natürlich ein immenser Aufwand, alle Forenbeiträge auf diesen besagten Verstoß hin zu überprüfen und auch nicht realisierbar, ohne alle Beiträge per Hand moderiert freizuschalten. Ein offenes Forum würde damit der Vergangenheit angehören. Aber alle Forenbeiträge auf alle möglichen Rechtsverstöße zu überprüfen heißt das dann doch erst einmal nicht. Oder täusche ich mich?
Dieses Urteil ist ein typischer Maulkorb.
Wenn sich diese Ansicht von Meinungs- und Pressefreiheit durchsetzt, darf man zukünftig in Deutschland über unseriöse Praktiken gar nicht mehr schreiben. Auch damit verbundene Handlungsaufrufe, wie etwa ein Boykott, können schnell eine strafbare Handlung darstellen. Jedes öffentliche Organ, ob Radio, Fernsehen, Internet sind nach dieser Rechtsauffassung eine <b>"gefährliche Einrichtung"</b>, die einer besonderen Kontrolle bedarf. Im Klartext, das LG Hamburg verpflichtet die Anbieter zur Zensur!
Ich halte die zunehmende Tendenz von Politik und Gerichten, die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken, für äußerst bedenklich.
Ich korrigiere mich. Das Landgericht Hamburg meint tatsächlich, dass Forenbetreiber prinzipiell alle Beiträge in Foren vorab auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen müssen und dass, soweit das Erkennen einer Rechtswidrigkeit zumutbar ist, solche Beiträge auch zu unterbinden sind.
Nur, dass ich das jetzt richtig verstehe: Übertragen auf die Welt außerhalb des Netzes kann ich also zum Beispiel die Stadt Berlin auf Unterlassung verklagen, wenn in der von der Stadt Berlin öffentlich zugänglich gemachten Straße "Kurfürstendamm" ein beliebiger Mensch Flyer mit der Aufschrift "Bringt $PERSON um!" verteilt?
Ah, jetzt, ja… verstehen muss ich diese Logik aber hoffentlich nicht.
@Tobias Zimpel: Die Internet-Foren, um die es hier geht, sind ja kein öffentlicher Raum in dem Sinne, wie es (noch) öffentliche Plätze gibt, wo jeder für sich selbst verantworltlich und weitgehend anonym ist. In diesem Zusammenhang bietet sich aber vielleicht an, darüber nachzudenken, wie im Internet öffentliche Räume geschaffen werden könnten.
"Zu früh gefreut. Eine Kategorie macht noch keinen Inhalt und die letzte veröffentlichte Entscheidung stammt aus dem letzten Jahr."
Ja das LG Hamburg hat eben erkannt, daß es selbst eine ‚besonders gefährliche Einrichtung‘ ist und hat daher seine Urteile aus dem Webangebot genommen.
Denn aufgrund der in ihrem eigenen Urteil geübten harten Kritik an dem Verhalten der Forenbetreiber müssen sie jedenfalls damit rechnen, dass Leser dabei "über die Stränge schlagen" und die Gelegenheit nutzen würden … (frei nach LG Hamburg).
BGH „ROLEX-Internet-Auktionshaus haftet für Markenverletzung“ (Az.: I ZR 304/01)
BGH „Providerhaftung für fremde Inhalte“ (Az.: VI ZR 335/02)
LG Düsseldorf, „Haftung für Foren- und Gästebucheinträge“ (Az.: 2a O 312/01) – durch das OLG Düsseldorf bestätigt
LG Feldkirch (Österreich)" Haftung für Foren- und Gästebucheinträge" (Az.: 3 R 142/04m)
LG Hamburg „Haftung des Forenbetreibers für User“ (Az.: 324 O 805/04)- das ist NICHT das Heise-Urteil!
LG Trier, „Haftung für Foren- und Gästebucheinträge“ (Az.: 4 O 106/00)
"LG Frankfurt am Main, "Haftung des Providers für seinen Kunden" (Az: 2/3 U 88/98)
OLG Düsseldorf "Haftung für den Inhalt einer fremden Homepage ohne Verlinkung" (Az: 2 U 65/98)
OLG Oldenburg "Haftung für rechtswidrige Inhalte" (Az.: 1 U 142/99) ITRB 12/2000
LG Bremen "photo-dose.de – Haftung des Providers für Kunden Domain" (Az.: 12 O 453/99); CR 2000,543; JurPC Web-Dok. 196/2000 ITRB 2000, 177
LG Stuttgart "SysOp haftet wie Zeitungsverleger" (Az: 17 O 478/87)
Die Linie der Rechtsprechung hat sich durch die Neufassung des TDG hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs nicht geändert.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Frhr.v.Gravenreuth
Rechtsanwalt, Dipl.Ing.(FH)