Nick Clegg ist Kummer gewohnt. Als britischer Vizepremier brach er von 2010 bis 2015 so gut wie jedes Wahlkampfversprechen und wurde zum Gespött der Nation. Wenig später verlor er seinen Parlamentssitz. Sein politisches Schicksal härtete Clegg wohl ab. Seine neue Aufgabe dürfte seine Belastbarkeit trotzdem auf die Probe stellen.
Seit kurzem ist Clegg Cheflobbyist für Facebook. Der geadelte Ex-Minister („Sir Nick“) hat die Aufgabe, nach Cambridge Analytica und weiteren Skandalen das Image des Konzerns in Europa aufzubessern. (Zum Trost für seine beschwerliche Aufgabe gönnt Clegg sich laut einer Boulevardzeitung eine Sieben-Millionen-Dollar-Villa nahe San Francisco.)
Bei einem Empfang in der eleganten Bibliothek Solvay hinter dem EU-Parlament in Brüssel warb Clegg am Montag mit neuen Maßnahmen für Sympathie: Facebook will transparenter bei politischer Werbung sein und härter gegen Desinformation vorgehen. Die Häppchen waren gut, die Rede hinterließ aber einen schalen Geschmack.
Ein Register für alle Anzeigen
Facebooks neue Maßnahmen sollen dazu beitragen, Online-Wahlkämpfe nachvollziehbarer zu machen. Noch vor der anstehenden Europawahl im Mai rollt Facebook Ende März ein Register sämtlicher politischer Werbung auf seiner Plattform aus. Das gibt es in den USA bereits seit letztem Sommer. Jedes Post, das ein Politiker oder eine Kampagne sponsert, muss im Register angezeigt werden. Wer Anzeigen schaltet, muss seine Identität nachweisen. Wenn Nutzende eine Werbung in ihrem Newsfeed sehen, macht ein „gezahlt-von“-Hinweis kenntlich, wer dahintersteht. Ein neues Wahlteam in Dublin soll zudem Versuche ausländischer Einflussnahme und Manipulation bei der Wahl rechtzeitig entdecken und verhindern.
Clegg lobt das als Maßnahme, um unkontrollierter Wahlwerbung und manipulativen Anzeigen einen Riegel vorzuschieben. Soziale Medien heute seien wie die Automobilindustrie vor hundert Jahren, erklärte der Ex-Politiker. Sie müssten reguliert werden – die Frage sei nur, wie. Sein polierter Vortrag strotzte vor Phrasen und Beteuerungen, die jenen Mark Zuckerbergs im Vorjahr zum Verwechseln ähnelten.
Brexit, no comment
Bei einer Fragerunde nach der Rede Cleggs wurden rhetorische Luftblasen zerstochen. Ein britischer Journalist ließ etwa mit einer bissigen Frage aufhorchen. Schließlich war ausgerechnet der Pro-Europäer Clegg Teil der Regierung von David Cameron, die das Brexit-Referendum angesetzt habe. Und nun arbeite er für jene Plattform, die von dubiosen Datenfirmen für massive Pro-Brexit-Propaganda benutzt wurde.
Clegg musste sich die Frage gefallen lassen, ob er sich für den britischen EU-Austritt mitverantwortlich fühle. „Nein, nächste Frage“, war die knappe Antwort. Wie viel er denn bei Facebook an Geld mit nach Hause nehme, wollte er ebenfalls nicht sagen.
Diese Art der ruppigen Neugier ist nur der Beginn dessen, was Facebook wohl noch an Fragen erwarten kann. Denn zwei Jahre nach Trump-Wahl und Brexit-Referendum sowie ein knappes Jahr nach dem Cambridge-Analytica-Skandal sind die angekündigten Schritte von Facebook nur ein Minimalprogramm, ein Platzhalter für echte Transparenz.
Erste Schritte, keine Lösung
Vorbild für das neue Anzeigenregister sind die USA. Dort gibt es bereits eine online durchsuchbare Übersicht politischer Werbung auf Facebook. Allerdings veröffentlicht Facebook weder genaue Zahlen dazu, wie viel pro Anzeige ausgegeben wurde, noch klare Angaben zum Targeting, also der Frage der Zielgruppen. Das macht es schwer nachvollziehbar, ob Kampagnen zum Beispiel umstrittene und möglicherweise illegale Taktiken zur Beeinflussung kleinster Wählergruppen einsetzen, sogenanntes Microtargeting. Das Register gibt ein paar Einblicke, aber es liefert weder ein Frühwarnsystem für Desinformation noch bietet es die Möglichkeit, großangelegte Wahlbeeinflussung nach Art von Cambridge Analytica nachhaltig zu verhindern. Facebook blockiert inzwischen Transparenztools von externen Organisationen wie der Investigativplattform ProPublica.
Auch zeigte sich in den USA mehrfach, dass Facebook trotz gegenteiliger Ankündigungen nur schlampig kontrolliert. Journalisten der US-Ausgabe von „Vice“ gelang es zuletzt etwa, im Namen von US-Vizepräsident Mike Pence und dem Islamischen Staat Anzeigen zu schalten. Das Experiment konnten die Investigativjournalisten auch mit den Namen aller 100 US-Senatoren wiederholen.
Die EU-Kommission setzte bisher auf Selbstregulierung der Plattformen. Facebook und anderen Firmen (Youtube, Twitter, etc.) geloben im Rahmen von freiwilligen Verhaltenskodizes schon länger Transparenz, liefern aber kaum greifbare Ergebnisse. „Ich bin froh, dass Facebook neue Werkzeuge ausrollt und sich dem Schutz der Privatsphäre verschreibt. Aber ich erwarte weniger Rhetorik und Entschuldingungen und mehr konkrete Schritte, besonders wenn es um Desinformation und den Schutz von Wahlen vor Manipulation geht“, ließ EU-Kommissarin Jourova nach einem Treffen mit Clegg am Montag wissen.
Facebooks neues Register ist ein erster Schritt, aber in Brüssel regt sich langsam der Verdacht, dass er gesetzliche Verpflichtungen für Facebook und andere Plattformen nicht ersetzen wird. Die nun vorgestellten Maßnahmen sind erste Schritte, keine Lösung.
Evtl. Könnte man in der artikelüberschrift den vize- premier erwähnen statt von einem premier zu sprechen :)
Und wenn man es eh anfassen sollte chef Lobbyist für Europa