Nicht erst seit dem Skandal um Ermittlungen gegen Journalisten unserer Redaktion wegen Landesverrats wird über die Pressefreiheit und den Umgang mit Geheimnissen gestritten – natürlich nicht nur in Deutschland. Der Schweizer Presserat hat sich kürzlich deutlich positioniert und seinen Journalistenkodex geändert: Journalisten sollen geheime Dokumente veröffentlichen dürfen, auch dann, wenn die Vorgehensweise zur Erlangung unlauter war.
Wir haben uns beim Schweizer Presserat erkundigt, wie es zu dieser Änderung kam. In unserem Interview sprechen wir außerdem über die derzeit vorgenommene Revision des Artikels 293 des Schweizer Strafgesetzbuches („Whistleblower-Artikel“), der bisher eine Publizierung vertraulicher Amtspapiere unter Strafe stellt. Er steht in der Kritik, weil er die Medienfreiheit einschränkt und in Widerspruch zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Meinungsäußerungsfreiheit) steht. Strafbar für Journalisten soll zukünftig eine Veröffentlichung geheimer amtlicher Papiere nur noch sein, wenn das Interesse von Beamten, Politikern oder Behörden an der Vertraulichkeit der Dokumente größer ist als ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an den Informationen.
Die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten (pdf) des Schweizer Presserats mit der Richtlinie a.1 über „Indiskretionen“ (zum Vergleich die vorherige Version) empfehlen wir gern zur Lektüre, ebenso die lesenswerten Stellungnahmen des Schweizer Presserats über traktandierte Fälle.
Wir sprachen mit Max Trossmann, dem Vizepräsidenten des Schweizer Presserats.
Sie haben im April eine Änderung Ihres Journalistenkodexes vorgenommen und einen Passus gestrichen, der sich mit unlauteren Methoden der Erlangung von Akten oder Dokumenten, die Journalisten übergeben werden, beschäftigt. Können Sie sagen, warum dieser Passus gestrichen wurde?
Max Trossmann: Die Änderung ist im April 2015 in Kraft getreten. Beschlossen haben wir das effektiv schon im Herbst 2014, aber in Kraft getreten ist es erst dieses Jahr. Und die Diskussion, sowohl im Präsidium zuvor und als auch im Plenum der 21 Mitglieder des Presserats, war vor allen Dingen befeuert von den Whistleblowern: angefangen von Wikileaks, aber auch von Schweizer Whistleblower-Fällen.
Das Recht der Öffentlichkeit auf Information und die Freiheit der Information halten wir als Presserat sehr hoch. Daten, die unlauter erworben und beispielsweise an einen Journalisten weitergegeben worden sind, soll man unter Umständen journalistisch verwenden dürfen.
Ist das auch eine Folge der langjährigen öffentlichen Diskussion, etwa um Wikileaks und andere Leaking-Plattformen?
Max Trossmann: Ja, aber es ist natürlich auch aus Schweizer Fällen heraus entstanden. Wir hatten diesen Fall unseres Nationalbankpräsidenten, der dann zurückgetreten ist. Da hat ein Angestellter einer Privatbank, wo der Präsident und seine Frau ein Konto hatten, Screenshots gemacht von Kontoauszügen des Nationalbankpräsidenten. Die gelangten zu einem Rechtsanwalt und von dem Rechtsanwalt zur „Weltwoche“.
Der Fall des Journalisten Urs Paul Engeler, die sogenannte „Hildebrand-Affäre“, benannt nach dem Nationalbankpräsidenten, Philipp Hildebrand?
Max Trossmann: Ja, die Hildebrand-Affäre. Der Angestellte, der die Screenshots aufgenommen hat, handelte widerrechtlich und hat eigentlich gegen das Bankgeheimnis verstoßen. Die „Weltwoche“ hat das veröffentlicht und dann gesagt, der Hildebrand hätte Devisengeschäfte gemacht, obwohl er Präsident der Notenbank war und den Devisenkurs und die Devisenpolitik wesentlich bestimmen kann. Er musste dann zurücktreten. Das war ein Schweizer Fall, wo eigentlich ein unlauterer Erwerb einer Information – nicht durch den Journalisten selbst, aber indirekt – vorlag.
Auch dieser Fall hat uns dazu gebracht, den Passus zum „unlauteren Erwerb“ zu streichen. Denn da kam auch eine Beschwerde an den Presserat. Das war natürlich ein prominenter Fall, weil dem Notenbankpräsidenten am Ende nichts anderes übrig blieb, als zurückzutreten. Die „Weltwoche“ hat noch ein paar handwerkliche Schnitzer gemacht.
Sie haben schon eine Rüge ausgesprochen wegen dieser Schnitzer?
Max Trossmann: Ja, aber nicht, weil sie das veröffentlicht haben. Die Rüge hat sich auf Nebenpunkte bezogen, wo etwas nicht richtig deklariert wurde, beispielsweise eine Montage eines Kontoauszugs. Im Grundsatz haben wir gesagt, die „Weltwoche“ hat Recht daran getan, im Interesse der öffentlichen Diskussion und auch der Demokratie, dass sie das auf den Tisch gebracht hat, obwohl am Ursprung dieser Information eigentlich ein unlauterer Erwerb stand. Der Angestellte – ich glaube, er war Informatiker – hatte ja einen Screenshot gemacht und das dann weitergegeben.
In der Schweiz geht es ja auch um die Strafbarkeit, also den sogenannte Whistleblower-Artikel 293, etwa bei der Weitergabe amtlicher Geheimpapiere. Gibt es denn in jüngerer Zeit Fälle, in denen Journalisten nach diesem Artikel bestraft wurden?
Max Trossmann: Ich bin kein Jurist, aber da sind mir im Moment keine Fälle bekannt. Was ich dazu sagen kann: Der Whistleblower-Artikel ist in Revision. Bei so einer Gesetzesrevision wird in der Schweiz eine sogenannte Vernehmlassung gestartet. Da werden interessierte Verbände und Parteien von den Behörden oder der Regierung eingeladen, sich zu äußern. Auch der Presserat wurde eingeladen, sich zu dieser Revision des Artikel 293 zu äußern. Wir haben uns in unserer sogenannten Vernehmlassungsantwort ganz klar dafür ausgesprochen, diesen Passus einfach zu streichen.
Und Sie haben Ihren eigenen Pressekodex vorab geändert, also bevor gesetzlich eine Änderung zu Whistleblowern eintritt?
Max Trossmann: Ja, Medienethik ist nicht gleich Medienrecht. Wir stellen uns juristischen Vorgaben zum Teil auch entgegen. Es gibt ab und zu Entscheide des Presserats, wo wir im Interesse der Informationsfreiheit, Pressefreiheit und Medienfreiheit etwas billigen, das ein Gericht zum Beispiel nicht billigt.
Bei einer versteckten Kamera haben wir beispielsweise in einem Fall gesagt, dass das medienethisch in Ordnung ist, und haben keine Rüge ausgesprochen, dass die Redaktion das gemacht hat. Das ging dann bis vor das Schweizer Bundesgericht, das gesagt hat, dass es nicht in Ordnung gewesen ist. Da können die Meinungen manchmal auseinander gehen.
In Bezug auf das Publizieren von amtlichen, geheimen Verlautbarungen haben wir beispielsweise auch einen weiteren Präzedenzfall (beim Entscheid 1/2013). Da hat die Züricher Zeitung „Tages-Anzeiger“ einen Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission veröffentlicht. Es ging da um einen Korruptionsskandal einer Beamtenversicherungskasse, eine jahrelange Affäre. Es gab dazu eine parlamentarische Untersuchung des Kantonsrats Zürich, dem Züricher Parlament. Sie haben damals eine Untersuchung gemacht, der Bericht lag bereits fertig in der redigierten Vorversion vor. Dem „Tages-Anzeiger“ wurde er zugespielt. Der Kantonsrat und die Untersuchungskommission wollten ihn erst in sechs oder acht Wochen veröffentlichen. Der „Tages-Anzeiger“ hatte aber diesen Bericht, hat daraus zitiert und die Kernpunkte schon veröffentlicht.
Auch in wörtlicher Rede?
Max Trossmann: Ja, zum Teil auch Passagen in wörtlicher Rede. Daran war das Spezielle, dass der Kantonsrat beim Presserat eine Beschwerde gegen den „Tages-Anzeiger“ erhoben hat. Sie sagten, da seien äußerst wichtige, schützenswerte Interessen tangiert, das dürfe nicht vorzeitig veröffentlicht werden. Aber wir haben dann im Interesse der Medienfreiheit gefunden, dass man zwar von der Redaktion erwarten könnte, ein paar wenige Tage zu warten, aber nicht, etwas sechs oder acht Wochen zu verschieben, obwohl man den Bericht und die Ergebnisse hat. Wir haben also dem „Tages-Anzeiger“ keine Rüge ausgesprochen.
Um die netzpolitik.org-Redaktion gab es ja in der Landesverratsaffäre neben dem politischen Streit auch die Solidarisierung vieler Journalisten. Meinen Sie, dass es insgesamt zunimmt, gerade investigativen Journalisten oder solchen, die bei Enthüllungsjournalismus auch Originaldokumente mitveröffentlichen, stärker zu Leibe zu rücken? Oder ist die deutsche Landesverratsaffäre ein Unikum und ein Ausreißer?
Max Trossmann: Von der Schweizer Medienszene aus gesehen wäre die deutsche Landesverratsaffäre ein Ausreißer. Bei uns in der Schweiz geht das eher in die Richtung, dass eingesehen wird, dass es um das Interesse der Öffentlichkeit und um die demokratische Diskussion geht, wenn Journalisten etwas mehr gestattet ist. Wenn bei Behörden, Amtsstellen, Bundesämtern oder Bundesräten ein Leak ist oder etwas herauskommt, lassen sie die Staatsanwälte auch in der Schweiz gegen Unbekannt ermitteln. Aber meistens findet man nicht heraus, wer die Sachen weitergegeben hat. Ich habe eher das Gefühl, hier wird diskutiert, wie wir diesen unsäglichen Artikel 293 fallenlassen oder zumindest relativieren können, weil er immer noch aus alten Zeiten da drin steht und Journalisten mit Gefängnis bedroht.
Max Trossmann ist Historiker und Publizist und leitet die dritte Kammer des Schweizer Presserats, die deutschsprachige Beschwerden behandelt. Er schrieb viele Jahre Kolumnen für message – Internationale Zeitschrift für Journalismus und arbeitete auch als Korrektor.
Transkript von Nikolai, Anna und Constanze.
An dem Tag, an dem die Schweiz Edward Snowden Whistleblower-Schutz gewährt, mache ich glaube ich eine Petition bei der EU, sie sollen Europa einfach noch mal ganz von vorn versuchen, startend auf den demokratischen Grundlagen der Schweiz, also mit Richtung: Souverän beeinflusst Regierung statt umgekehrt, mit viel weniger Verlogenheit über „Werte“, mit echter Neutralität => Unabhängigkeit in der Außenpolitik, … – ein Traum.
Nun ja, die Überwachung ist Global, warum sollte nicht auch Whistleblowing globalisiert werden. Daten aus Deutschland werden zuerst in der Schweiz veröffentlicht und kommen über diesen Weg wieder zurück ins Land.
Ganz oben im Artikel: „Journalisten sollen geheime Dokumente veröffentlichen dürfen, auch dann, wenn die Vorgehensweise zur Erlangung unlauter war.“
Das ist unbedingt zu unterstützen, zumal es mit der Politik Steuerdaten-CD’s unlauter zu erwerben, um dann damit gesetztlich Steuerpflichtige zur Verantwortung zu ziehen, eine politisch-inverse Entsprechung gibt, die sich seit einigen Jahren durchgesetzt hat. Wer steuerpolitisch A sagt, muss nun auch demokratisch B sagen können!