VerwaltungsdigitalisierungEin Jahr nach dem Onlinezugangsgesetz 2.0

Ein Jahr ist es her, dass der Bundesrat dem Onlinezugangsgesetz 2.0 zustimmte. Inzwischen ist die Verwaltungsdigitalisierung Teil der Staatsmodernisierung, es gibt ein Digitalministerium und massenhaft Vorschläge, Aufgaben, Leistungen und Ressourcen zu bündeln. Grund genug für eine Wasserstandsmessung.

Schreibtisch, auf dem ein Röhrenbildschirm mit einem Paragraf-Zeichen, davor eine Tastatur; daneben ein Stapel Papier, auf dem ein Telefon mit Wählscheibe steht
Das Onlinezugangsgesetz 2.0 hat bisher kaum Wirkung gezeigt. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Westend61; Bearbeitung: netzpolitik.org

Das Onlinezugangsgesetz 2.0 sollte frischen Wind in die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bringen. Doch ein Jahr nach Inkrafttreten hat sich mit dem Gesetz für die Bürger*innen, Unternehmen und auch die Mitarbeiter*innen in der Verwaltung kaum etwas verändert. Noch immer bestehen die altbekannten Probleme: Manche Online-Dienste funktionieren an einem Ort, aber am anderen nicht. Anträge müssen teils online, teils per Post eingereicht werden. Mitarbeiter*innen in Ämtern drucken online eingereichte Anträge aus und heften sie ab.

Gründe für die Kluft zwischen analog und digital gibt es viele: inkompatible Online-Dienste, unterschiedliche Standards, unterschiedliche Schnittstellen, unterschiedliches Landesrecht.

Mit Karsten Wildberger (CDU) gibt es nun erstmals einen Bundesdigitalminister. In seinem Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) will er 150 neue Stellen einrichten. Der Digitalisierung will er einen Schub geben, von viel KI und wenig Bürokratie ist im Koalitionsvertrag zu lesen. Sein Plan: Bürger*innen sollen künftig auf Verwaltungsleistungen über eine App per Cloud zugreifen können.

Dazu will Wildberger zwei Test-Bundesländer aussuchen und prüfen, „welche Bürgerleistungen in bestimmten Kommunen gut funktionieren und was es braucht, um die flächendeckend auszurollen“. Die Länder sollen dann schnell viele Bürgerleistungen entwickeln. Gleichzeitig will er die besten digitalen Lösungen der Länder zusammentragen, die der Bund nach Absprache mit den Ländern zentral bereitstellen können soll.

Welche Probleme zuerst?

Dass ein neues Ministerium für die Digitalisierung unter anderem der öffentlichen Verwaltung geschaffen wurde, zeige, dass das Thema politisch aufgewertet wurde, sagt Malte Spitz vom Nationalen Normenkontrollrat (NKR). „Man sollte dem Ministerium nun etwas Zeit geben, sich aufzustellen.“

Doch die neue Regierung muss einen ganzen Berg an verschleppten Problemen mitziehen. Das OZG 2.0 mitsamt E-Government-Gesetz (EGovG), das zeitgleich erneuert wurde, habe in diesem ersten Jahr seit Bestehen jedenfalls kaum Wirkung gezeigt, sagt Spitz. Zwar gebe es einzelne Erfolge wie die elektronische Wohnsitzanmeldung in Berlin. Doch die seien lokal und regional begrenzt und gingen nicht in die Breite.

Warum aber hat das OZG 2.0 kaum Wirkung gezeigt? Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist das Gesetz ein Kompromiss mit den Ländern. Die OZG-Reform hätte beispielsweise dafür sorgen können, dass der Bund einheitliche Standards zumindest für die Dienstleistungen des Bundes festlegen kann. Die Länder setzten für sich hingegen ein aktives Mitspracherecht durch.

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Zum anderen gibt es im Apparat Verwaltungsdigitalisierung viele Stellschrauben, die sich dem Gesetz entziehen, etwa verschiedene Zuständigkeiten und das Verbot der Mischverwaltung. Hinzu kommt die angespannte Haushaltslage auf allen Ebenen. So können die Kommunen etwa für Lizenzen häufig ausschließlich mit Unterstützung durch das Land oder den Bund zahlen. Steht die Finanzierung, ist oftmals nicht selbstverständlich, dass kommunale Behörden einen Dienstleister finden, der die OZG-Leistung implementieren kann.

Ab auf die Insel-Lösung

Das alles zahlt auf ein Problem ein, das die Verwaltungsdigitalisierung schon seit Merkel-Zeiten begleitet: Alle Ministerien und Behörden, ob auf Bundes- oder Landesebene, entwickeln eigene IT-Lösungen für dieselben Prozesse. Sogenannte Insellösungen haben weniger mit weißem Sandstrand und Palmen zu tun als vielmehr mit dem Problem, dass die Lösungen auf allen Ebenen nicht miteinander kompatibel sind, geschweige denn interoperabel.

„Wir haben die Schritte in der falschen Reihenfolge gemacht“, so Spitz gegenüber netzpolitik.org. Bevor man Behörden und Ämter dazu auffordert, ihre Leistungen für Bürger*innen digital anzubieten, hätte „man sich zuerst um ein Architekturkonzept kümmern und den Fokus auf die Registermodernisierung setzen müssen“, erklärt Spitz.

Das hätte ein weiteres Problem der Digitalisierung adressiert: die fehlende Ende-zu-Ende-Digitalisierung. Damit ist gemeint, dass Prozesse durchgehend digitalisiert sind – vom Antrag durch Bürger*innen oder Unternehmen bis hin zur Archivierung der Akte durch Verwaltungsmitarbeiter*innen. Dass Sachbearbeiter*innen in Behörden online eingereichte Anträge ausdrucken und abheften, ist noch immer die Regel.

Als große Fortschritte bei der Verwaltungsdigitalisierung sieht Spitz unabhängig vom OZG 2.0 die Qualitätskriterien, die im Service-Standard festgelegt sind, die föderale IT-Archtitekturrichtlinie des IT-Planungsrats und die treibende Kraft der Föderalen IT-Kooperation (FITKO) als Geschäftsstelle des Rats.

Monitoring bleibt relevante Baustelle

Eine große Lücke im OZG 2.0 klafft laut Spitz beim Thema Monitoring. Zwar sollen die zuständigen Ministerien der Länder und des Bundes demnach ein Monitoring durchführen und den Erfüllungsaufwand für bestimmte Digitalisierungsmaßnahmen erheben. Doch bleibt das Gesetz hier sehr vage.

Der NKR hatte gefordert, im Gesetz konkret festzuhalten, Kriterien wie Nutzerfreundlichkeit und Umsetzungsstand zu erfassen. Auch sei „der Zugang zu den Ergebnissen über eine offene Schnittstelle“ notwendig. Das zuständige Bundesministerium hätte nach dem NKR-Vorschlag zudem vierteljährlich selbst zum Umsetzungsstand berichten sollen.

Es sei nahezu unmöglich, an konkrete Zahlen zu kommen, sagt Spitz gegenüber netzpolitik.org. Die seien aber erforderlich, um feststellen zu können, wo die Stärken und Schwächen der Digitalisierungsprojekte liegen und wo nachgebessert werden muss. Das OZG-Dashboard könne das nicht leisten. „Nur weil eine Leistung einen grünen Haken hat, heißt das nicht, dass sie eingesetzt oder gar von vielen Menschen genutzt wird. Vielleicht wird die Leistung in zwanzig Städten angeboten, aber nur von einem Prozent der Antragstellenden genutzt.“ Zudem enthält es keine Information zur Nutzbarkeit der Leistung.

Spitz hofft auf ein Umdenken hin zu mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit: „Möglicherweise ist das neue Digitalministerium dafür ein Impuls.“

Immerhin hat der Appell der Ampel-Koalition (PDF) an den IT-Planungsrat Wirkung gezeigt. Während der bisher kaum Dokumente zu internen Abstimmungsprozessen veröffentlichte, stehen seit Kurzem Sitzungsprotokolle, Beschlüsse und Prüfkommentare auch aus letzten Jahren online.

Geld ist knapp

Ihre IT-Entwicklungen nach einem einheitlichen Architekturkonzept ausrichten – damit hätten Behörden von Anfang an ihre Ressourcen bündeln können. Das hätte Zeit gespart und Geld. Und gerade letzteres wird knapp. Die Hilfen aus dem Corona-Konjunkturpaket sind ausgeschöpft und die Folgefinanzierung ist unklar.

In den Jahren 2024 und 2025 gibt es nur eine vorläufige Haushaltsführung. Die verglich Christian Görke (die Linke) gar mit einer Haushaltssperre. Nur gesetzliche Leistungen würden finanziert und „neue, dringend benötigte zusätzliche Investitionen“ könnten nicht ausgelöst werden. Das sei vor allem schwierig für die Digitalisierung der Verwaltung, wo man Verträge abschließt, Kosten längerfristig aufwendet und erst im September realistisch einschätzen kann, was genau die Zahlen für das Jahr 2025 sind, sagt Spitz.

Gerade diese Haushaltsordnung fordere heraus, dass Behörden ihre Digitalisierungsprojekte nicht in Zielen oder Meilensteinen, sondern in Jahren planen. Über wie viel Geld Wildberger und sein Ministerium verfügen werden, steht noch nicht genau fest. In den aktuellen Haushaltsverhandlungen gibt es für das BMDS keinen zusammenhängenden Einzelplan. Stattdessen ist bei Posten anderer Ministerien über viele Einzelpläne hinweg vermerkt, dass diese vom BMDS bewirtschaftet würden.

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2 Ergänzungen

  1. Ein schöner Überblick, der die Architektur als zentrales Element gut herausarbeitet. Die wäre ein guter Ansatzpunkt für den neuen Digitalminister. Nicht nur technisch.

    Wenn jedes Land, jedes Dorf, eigene Apps entwickelt, mit denen die Mitarbeitenden vor Ort täglich arbeiten, wäre das deutlich weniger problematisch, wenn sicher gestellt wäre, dass Daten im Hintergrund systematisch und korrekt gespeichert und verarbeitet werden.

    Wenn Datenschutz- und Sicherheitsfragen [mit zentralen Datenbanken und Identifiern] überzeugend geklärt und implementiert wären. Wenn der Bund demonstrierte, dass er „digital“ verstanden hat, statt – wie bei den digitalen Passbildern – tonnenweise bürokratische Vorschriften auf Papier veröffentlichte, statt die nötigen Vorgaben in Software, Hardware und Apps für Behörden und Dienstleister zur Verfügung zu stellen.

    Und wenn für Bund und Länder eine effiziente, computergestütze Verwaltung das Ziel wäre. Ohne jede Gelegenheit zu missbrauchen, Überwachungsmöglichkeiten für Sicherheits- und Finanzbehörden noch weiter aus zu bauen, statt Maß zu halten und Vertrauen zu schaffen.

  2. Ergänzen könnte man noch, dass der digitale Flickenteppich nicht nur Gemeinden, Länder und Bund betrifft.

    Viele Länder sind schon deutlich weiter mit der digitalen Verwaltung als Deutschland. Weshalb lernt man nicht von denen, statt alles selber zu erfinden?

    Bei Unternehmen gilt Deutschland schon als Problemland, weil hierzulande alles perfekt sein muss. Wenn eine Software nicht exakt die (oft imperfekten) Abläufe in einem deutschen Unternehmen abbildet, wird häufig entschieden, lieber selbst zu entwickeln, als für viel weniger Geld eine etablierte Lösung zu übernehmen, für die man eigene Prozesse etwas anpassen müsste. Das ist ein großer Nachteil für deutsche Unternehmen, da man nicht nur teuer einkauft und langsam ist. Sondern auch die Gelegenheit verpasst, eigene Prozesse nach internationalen Standards zu verbessern.

    Bei der öffentlichen Verwaltung scheint das Problem noch viel ausgeprägter zu sein.

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