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Geschichten aus dem DSC-BeiratAn die Arbeit!

Die Geschäftsordnung steht und es geht ans Eingemachte: In seiner letzten Sitzung beschäftigte sich der Beirat für die deutsche Plattformaufsicht mit der anstehenden Bundestagswahl und dem Jugendschutz.

Ein Unterarm mit hochgekrempeltem, kariertem Hemd
Die Geschäftsordnung ist geschafft! Jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jürgen Eis, Bearbeitung: netzpolitik.org

Spätestens seit der Amtseinführung von Donald Trump sind schwierige Zeiten für die europäische Plattformregulierung angebrochen. Die CEOs von Meta, Google, Amazon und Apple, die Trumps Zeremonie mit Spenden in Millionenhöhe unterstützt hatten, flankierten den neuen Präsidenten und seinen Chefberater für “Effizienz” Elon Musk. Sie waren Trump damit näher als Mitglieder seines Kabinetts.

Die neue Nähe zwischen Silicon Valley und Trump drückt sich nicht nur finanziell, sondern auch in dem vorauseilenden Gehorsam aus, mit dem Zuckerberg und Co. ihre Plattformen nach Trumps Vorstellungen gestalten. Exemplarisch sind Metas geänderte Hassrede-Regeln, nach denen trans Personen jetzt als „psychisch krank“ und Frauen als „Haushaltobjekte“ bezeichnet werden dürfen. Auch Googles Ankündigung, keine Faktenchecks im Kontext des europäischen Verhaltenskodex gegen Desinformation zu veröffentlichen, dürfte in Trumps Weißem Haus auf Anerkennung stoßen.

Vorbei sind also die Zeiten, als das Silicon Valley noch Protestbriefe gegen Trump schrieb und sich als Bastion des Widerstands gegen die konservative Agenda inszenierte.

Die Gründe sind so offensichtlich wie simpel: Durch den Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) stehen US-Tech Unternehmen unter regulatorischem Druck aus Europa. Sie müssen neue Pflichten bei der Inhaltemoderation erfüllen und strengere Wettbewerbsregeln beachten. Und die neue Broligarchie zählt offenbar auf Trump, potenzielle Millionenstrafen abzuwenden, wenn sie sich daran nicht halten.

Auch ohne eine nahende Bundestagswahl gibt es also für einen Digital Services Coordinator (DSC), der in Deutschland die Umsetzung des DSA überwacht, mehr als genug zu tun. Bühne frei für die dritte Sitzung des Beirats des deutschen DSC.

Geschäftsordnung für die Arbeitsfähigkeit

Nach langem Ringen in der zweiten Beiratssitzung konnte dieses Mal die Geschäftsordnung des Beirats final beschlossen werden. Neben einigen eher kosmetischen Änderungen betrifft das wichtigste Update die Arbeitsgruppen des Beirats. Zu solchen können sich die Mitglieder zusammenfinden, um Positionen zu konkreten Themen zu erarbeiten.

Geändert wurde, dass Arbeitsgruppen die Ergebnisse ihrer Beratungen dem Rest des Beirats nicht mehr einvernehmlich vorstellen müssen. Partikularinteressen können so die Arbeit einer Arbeitsgruppe (und damit des Beirats) nicht blockieren oder verhindern. Eine kleine, aber zentrale Änderung für die Arbeitsfähigkeit.

Nach einer erfrischend kurzen Diskussion und Abstimmung darüber wurde die Sitzung dann schon nach knapp 30 Minuten für die Öffentlichkeit geöffnet. Als erstes Thema stand, wie könnte es anders sein, die kommende Bundestagswahl auf der Tagesordnung.

Stress wegen des Stresstests

Nach dem Wahl-Fiasko in Rumänien (wir erinnern uns: Nach Vorwürfen gegenüber TikTok, den ultranationalistischen Kandidaten Georgescu bevorteilt zu haben, wurde das Wahlergebnis annulliert und ein DSA-Verfahren gegen TikTok eingeleitet) ist es nur verständlich, dass die Vorbereitung der Bundestagswahl höchste Priorität für den deutschen DSC hat.

Weniger verständlich ist die mangelnde Einbindung des Beirats dabei. Der Beirat wurde zu den verschiedenen vorbereitenden Treffen zwischen Plattformen, Zivilgesellschaft, Kommission und DSC – darunter ein Stresstest, der Krisensituationen im Kontext der Wahl simulieren soll – weder im Vorfeld informiert, befragt noch proaktiv eingeladen.

Dass solche Gespräche von einem vertrauensvollen Rahmen leben, ist klar. Es gibt nicht nur Vorteile, wenn da ein vierzehn-köpfiger Beirat mit am Tisch sitzt. Genauso klar ist aber auch, dass der Beirat über Wissen und Erfahrungen verfügt, die der DSC nutzen kann, insbesondere solange die Plattformaufsicht personell unterbesetzt ist.

Gerade die Ereignisse in Rumänien zeigen, wie wichtig es ist, diverse Stakeholder mit unterschiedlichen Expertisen möglichst früh in die Vorbereitung von Wahlen einzubinden. Darüber hinaus ist auch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) klar, das die Aufgaben des Beirats beschreibt: Er berät den DSC zu wesentlichen Fragen der Durchsetzung des DSA.

Beratung kann man annehmen, muss man aber nicht. Um beraten zu können, ist aber ein Minimum an Transparenz und Information unabdingbar.

Die Einbindung des Beirats in die Arbeit des DSC wird ein Aushandlungsprozess bleiben. Das ist bei einem neu gegründeten Gremium nicht verwunderlich und ein beidseitiger Gewöhnungsprozess: für den Beirat, dass er für seine Rechte einstehen muss. Und für den DSC, dass er einen Beirat hat, der mitreden will.

Von Bonn nach Brüssel?

Schon im Bericht der ersten Beiratssitzung ging es um das Selbstverständnis des Gremiums. Wie verstehen wir unsere Aufgaben und ihre Grenzen? Damals hatte sich herauskristallisiert, dass sich nicht alle Fragen mit einem Blick in die Geschäftsordnung oder das DDG lösen lassen werden.

Eine ganz zentrale Frage ist aufgetaucht, als sich der Beirat mit den Regelungen des DSA zum Zugang zu Plattformdaten für Forschende beschäftigt hat. Um von dem neuen Recht auf Datenzugang Gebrauch machen zu können, warten Forschende seit über einem Jahr gespannt auf einen delegierten Rechtsakt. Dieser wird von der Europäischen Kommission erarbeitet und soll viele praktische Fragen klären, etwa: Sollen Forschende für Datenzugang zahlen müssen? Wie müssen Daten zur Verfügung gestellt werden? Und wer genau kann sich auf Datenzugang bewerben?

Dieser delegierte Rechtsakt ist nur ein Beispiel für viele Themen, bei denen die Arbeit des DSC in direkter Verbindung mit der Europäischen Kommission steht. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob sich der Beirat in seiner beratenden Tätigkeit auf den DSC und deutsche Behörden beschränken muss, oder sich auch an die europäische Aufsicht wenden kann.

Einigen Mitgliedern des Beirats ist es wichtig, dessen Rolle nicht nur auf die direkte Ansprache des DSC zu beschränken, sondern auch seiner Rolle in Europa gerecht zu werden. In Zukunft wird das von Fall zu Fall entschieden und es führt hoffentlich dazu, dass der Beirat seine Expertise und diversen Perspektiven auch auf europäischer Ebene einbringen kann.

Jetzt aber los!

Die nächste Gelegenheit dazu wird das Thema des Minderjährigenschutzes im Netz bieten. Zu diesem Thema hat sich in dieser Beiratssitzung eine Arbeitsgruppe gegründet. Von potenziell süchtig machenden Algorithmen über Lootboxen bis zu sexualisierter Gewalt im Netz ist die Frage nach effektivem und grundrechtsschondendem Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz wohl die virulentes Frage in der Post-DSA-Welt.

Der DSA regelt den Kinder- und Jugendschutz in Artikel 28, zu dessen Auslegung aktuell Richtlinien erarbeitet werden. Diese werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie die Plattformen ihre Verantwortung, Maßnahmen für den Kinder- und Jugendschutz zu ergreifen, interpretieren werden. Unter anderem geht es dabei um die Frage, ob der DSA eine Altersverifikation notwendig macht – eine Frage, die die Grundrechte aller Nutzer*innen empfindlich betrifft.

Gerade eine so polarisierte Debatte wie die zum Minderjährigenschutz im Netz kann von verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen und Expertisen profitieren. Für den Beirat als einziges Gremium in der Landschaft der europäischen Plattformaufsicht, das verschiedene Sichtweisen bündelt, ist die Befassung mit diesem Thema also ein wichtiger Testballon: um die Zusammenarbeit zu üben und dem eigenen Anspruch, fundierte inhaltliche Impulse zu setzen, gerecht zu werden.

Damit kann die Aufsichtsarbeit des DSC und der Kommission hoffentlich gestärkt werden. Und auf eine starke Durchsetzung des DSA, die Nutzer*innenrechte in den Vordergrund stellt, wird es ankommen, wenn Europa dem wachsenden Druck aus den USA standhalten möchte. Denn der DSA und DMA, trotz all ihrer Schwächen, sind aktuell der beste Weg, um der Zentralisierung von Macht in den Händen der Tech-Oligarchie etwas entgegenzusetzen.

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