Mit einem Hitlergruß hat Elon Musk zu Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump ein Zeichen gesetzt. Seitdem befehligt er mit DOGE ein Abrisskommando, das nicht nur Beamt*innen feuert und schikaniert und Geldflüsse stoppt, sondern auch öffentliches Wissen aus staatlichen Angeboten verbannt. Die Menschen, die sich dagegen wehren, haben auch ein Zeichen: Eine Floppy Disk, umgeben von einem rot-weißen Rettungsring.
Das ist das Logo des Data Rescue Projects, einer Initiative aus Freiwilligen, die seit der Machtübernahme durch Donald Trump öffentliche Daten archivieren, bevor es zu spät ist. Auf der Website des Projekts führen die Freiwilligen Buch über gefährdete und gerettete Datensätze und präsentieren Werkzeuge zur Datenrettung. Das Know-how kommt unter anderem von Sebastian Majstorovic aus Deutschland.
Er bezeichnet sich als digitalen Historiker und Open Data Specialist. Geschichte hat er studiert; Programmieren hat er sich selbst beigebracht. Im Interview mit netzpolitik.org erzählt er, wie er zum Datenretter wurde, warum er die Löschungen der Trump-Regierung als digitale Bücherverbrennung betrachtet – und wie auch die EU ihr digitales Gedächtnis schützen müsse.
Allgemeingut in Gefahr

netzpolitik.org: Sebastian, wie schwer fiel es dir, deine Arbeit für unser Gespräch zu unterbrechen?
Sebastian Majstorovic: Nicht schwer, ich laufe gerade durch den Park für etwas Vitamin D und frische Luft. Das braucht man, wenn man so viel am PC sitzt. Währenddessen transkribiere ich die Audio-Spuren von über einer Million Videos, die US-Behörden auf sozialen Medien hochgeladen haben. Das läuft auf meinem Rechner im Hintergrund mit Whisper.
netzpolitik.org: Ist das Teil deiner Datenrettung?
Sebastian: Die Daten haben einen doppelten Nutzen. Ich arbeite auch für eine US-amerikanische Non-profit-Organisation, EleutherAI. Wir sammeln offene Daten für das Training von quelloffenen KI-Modellen, die nicht gegen Urheberrechte verstoßen. Daten von US-Behörden eignen sich dafür besonders gut, denn in den USA sind Inhalte von Bundesbehörden grundsätzlich gemeinfrei.
netzpolitik.org: Hat dich deine Arbeit für EleutherAI zum Datenretter gemacht?
Sebastian: Das fing schon lange vorher an, nämlich als Russland im Februar 2022 die Ukraine angegriffen hat. Da war ich wie so viele andere paralysiert und in Doomscrolling versunken. Auf Twitter hatte ich den Aufruf einer US-amerikanischen Musik-Bibliothekarin gelesen: Anna Kijas. Sie hat nach Freiwilligen gesucht, die dabei helfen, Musiksammlungen in der Ukraine digital zu sichern.
netzpolitik.org: Welchen Bezug hattest du dazu?
Sebastian: Ich hatte mich damals schon viel damit beschäftigt, wie man digitale Projekte nachhaltig sichern kann. In meiner Zeit beim Uni-Radio, mitten in der Pandemie, habe ich ich gelernt, wie ich Freiwilligen helfen kann mittels Open Source Software remote zusammenzuarbeiten. Außerdem war eines meiner Studienfächer Osteuropa-Studien. Und es gibt noch einen Grund: Ich habe auch einen persönlichen Bezug dazu wie Kulturerbe durch Krieg vernichtet werden kann, denn mein Vater kommt aus Bosnien.
netzpolitik.org: Es kam also einiges zusammen.
Sebastian: Ich hatte den Aufruf von Anna aufgegriffen und die Fragestellung erweitert: Welches digitale Kulturgut aus der Ukraine ist in Gefahr und muss gerettet werden?
Digitale Mobilisierung
netzpolitik.org: Und wie war die Resonanz?
Sebastian: Enorm. Wenige Tage nach dem Beginn der Invasion gingen wir online mit dem Projekt „Saving Ukrainian Cultural Heritage Online“, kurz: SUCHO. Innerhalb einer Woche hatten wir Tausend Freiwillige. In einem riesigen Google-Sheet haben wir gesammelt, was es zu sichern gibt und wer sich darum kümmert. Ich erinnere mich an einen Moment, da haben über 200 Leute gleichzeitig das Dokument editiert. Das hat mir gezeigt, was möglich ist an digitaler Mobilisierung!
Wir haben auch eine Nextcloud aufgesetzt, damit ukrainische Institutionen ihre Daten selbst sichern können. Dort werden bis heute noch Daten hochgeladen. Inzwischen kamen durch SUCHO rund 100 Terabyte zusammen. Etwa die Hälfte davon ist für die Öffentlichkeit bestimmt und als Webarchiv zugänglich.
netzpolitik.org: So viel Speicherplatz, wie habt ihr das bezahlt?
Sebastian: Ganz am Anfang noch aus eigener Tasche, dann haben wir uns über Open Collective organisiert. Das ist eine Crowdfunding-Plattform für Graswurzel-Projekte. Open Collective übernimmt zum Beispiel die Finanzverwaltung und rechtliche Fragen. Es gab großzügige Spenden von Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen. Mehrere Universitäten haben die Daten inzwischen auf ihren Servern gespiegelt.
netzpolitik.org: Und jetzt machst du ein sehr ähnliches Projekt für US-Daten?
Sebastian: Schon direkt nach der US-Wahl hatten sich Menschen aus dem Dunstkreis der Datenrettung zusammengeschaltet. Wir hatten damals noch nicht geahnt, in welchem Ausmaß die Trump-Regierung gegen öffentliche Daten vorgehen würde. In Trumps erster Amtszeit wurden zum Beispiel Daten aus der Klimaforschung gelöscht. Aber das ist kein Vergleich zu den großflächigen Löschungen, die jetzt passieren. Zuerst wollte ich nur meine Erfahrungen weitergeben. Aber ich habe schnell gemerkt: Ich muss selbst mitmachen, ich fühle mich dazu verpflichtet.
„Die ersten Auswirkungen eines Technofaschismus“
netzpolitik.org: Warum?
Sebastian: Als die Ukraine Hilfe gebraucht hat, kam ein großer Teil der freiwilligen Datenretter*innen aus den USA. Sie waren sehr großzügig mit ihrer Zeit und ihren Ressourcen. Das hat mich so bewegt, dass ich als Europäer jetzt auch helfen will, wenn die USA in Not sind.
netzpolitik.org: Könntest du das Ausmaß der Situation näher beschreiben?
Sebastian: Was in den USA passiert, ist nicht nur politische Zensur. Es ist eine digitale Bücherverbrennung. Als Historiker ist es mir wichtig, historische Begriffe gut und angemessen zu verwenden. Bücherverbrennung ist die beste Analogie, die ich mir vorstellen kann.
Da kommen Leute aus Elon Musks DOGE-Abteilung, die sich nicht dafür interessieren, welche Funktionen eine Behörde erfüllt. Sie haben eine Liste mit verbotenen Wörtern, darunter Begriffe wie „schwul“, „Frau“ oder „kulturelles Erbe“. Und sie löschen rücksichtslos Inhalte, in denen diese Wörter auftauchen. Sie haben gelöscht, dass der Schwarze US-General Charles Calvin Rogers mit der „Medal of Honor“ geehrt wurde. Sie haben auch medizinisches Wissen gelöscht, das Ärzt*innen für laufende Behandlungen von Patient*innen brauchen.
Wir sehen hier die ersten Auswirkungen eines Technofaschismus. Eine neue Form des Faschismus, in der die Tech-Oligarchen Hand in Hand mit Reaktionären arbeiten und Daten das Mittel der Kontrolle und Unterdrückung sind. Es gibt noch einen historischen Begriff, der mir in der öffentlichen Diskussion bisher zu kurz kommt: Was gerade in den USA passiert, ist Gleichschaltung. Das ist der Begriff, den man nutzen muss, wenn die Exekutive in Behörden, Justiz, Universitäten und Kultureinrichtungen politische Säuberungen durchführt, um diese Institutionen ideologisch gefügig zu machen.
netzpolitik.org: Für die Arbeit von dir und deinen Mitstreiter*innen gibt es noch andere Begriffe als Datenretter. Im US-Magazin The New Yorker las ich von „Guerilla-Archivaren“, „Datenrebellen“ und von „Widerstand“. Was hältst du davon?
Sebastian: Das klingt sympathisch. Aber die Motivation der Leute ist sehr unterschiedlich. Man kann auch viel nüchterner an die Sache rangehen. Die meisten Freiwilligen sind Fachleute, die auch beruflich Daten identifizieren und dokumentieren. Diese Daten sind „Public Domain“, öffentliches Gut. Sie gehören allen. Sie sollen die Regierung transparent machen. Forscher*innen und Journalist*innen brauchen sie, um zu arbeiten. Wir dürfen auch nicht vergessen, wie ernst die Situation für viele Freiwillige ist. Wenn sie in den USA offen sagen würden, sie leisten Widerstand, dann könnten sie ihren Job verlieren oder ihren Aufenthaltsstatus.
Expert*innen gesucht
netzpolitik.org: Wie schützt ihr euch und eure Arbeit?
Sebastian: Die Gefahr ist riesig. Wir haben schon jetzt Server in Europa, und es sollen noch mehr werden. Aktuell gibt es rund Hundert Leute im Team, davon zehn im Kernteam, und hunderte weitere Freiwillige. Von den meisten kenne ich nur das Pseudonym. Wir müssen unsere Klarnamen nicht kennen.
netzpolitik.org: Sucht ihr noch mehr Freiwillige?
Sebastian: Ja, händeringend. Aus dem Ukraine-Projekt habe ich allerdings gelernt, dass man von zu vielen Freiwilligen auch überwältigt sein kann, weil die Koordinierung viel Zeit kostet. Deshalb suchen wir vor allem nach Freiwilligen mit bestimmter Expertise: Systemadministrator*innen, Fundraiser*innen und Leute, die sich mit Katalogisierung auskennen.
netzpolitik.org: Was schätzt du, wann seid ihr mit der Datenrettung fertig?
Sebastian: Das ist so, als würde man eine Pumpe in ein Gewässer halten – aber man weißt nicht, ob es eine Pfütze ist oder ein Ozean. Seit 2004 sichert das Projekt End of Term Web Archive zwar Regierungsseiten mithilfe des Internet Archives, aber viele Datenbanken und Audio- und Video-Inhalte sind davon nicht erfasst. Im Moment schätze ich unseren kurzfristigen Speicherplatzbedarf auf fünf Petabyte, es könnten aber auch schnell mehr werden.
Datenrettung europaweit denken
netzpolitik.org: Hoffst du darauf, dass sich die US-Demokratie wieder erholen kann?
Sebastian: Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Die Stärke der US-amerikanischen Gewaltenteilung und ihrer Institutionen ist nicht zu unterschätzen. Ich bin allerdings auch ein Optimist. Und wir müssen uns klar machen: Donald Trump ist kein US-amerikanischer Sonderfall. Wir haben es hier mit einem weltweiten, politischen Trend zu tun. Wir sehen das auch in Europa, Ungarn, Italien, Frankreich und Deutschland. Wir müssen unsere Institutionen und unsere Zivilgesellschaft stärken.
netzpolitik.org: Sollten wir auch damit anfangen unsere Daten zu sichern?
Sebastian: Mir fiele sofort eine ganze Liste an Institutionen ein, deren Daten in Gefahr wären, wenn sich der politische Wind dreht. Das müssen wir europaweit denken. Und da können wir die Erfahrungen von SUCHO und dem Data Rescue Project nutzen. Das Großartige ist: Wer sich dafür interessiert, kann einfach selbst damit anfangen.
Nur wenige Wochen nachdem wir mit SUCHO online gingen, haben Menschen auf Grundlage unserer Tutorials ein ähnliches Projekt für Hongkong gestartet. Und im Januar hat Henrik Schönemann von der HU Berlin das Projekt Safeguarding Research & Culture gestartet, um eine dezentrale Infrastruktur zu schaffen, die unser digitales Erbe langfristig bewahren kann.
Herzlichen Dank für diesen wertvollen Artikel.
Neben all den dystopischen Entwicklungen und Nachrichten gibt derartiger Input Hoffnung und Motivation und zeigt, dass es diverse Formen der Selbstwirksamkeit gibt.
Bitte mehr davon!
Bestimmt hat er 1000 mal im TV einen Hitlergruß gesehen,weiss aber immer noch nicht wie der geht…kleine Info:Hitlergruß=Nach vorne Musk=Arm zur Seite(Mit Aussage_Mein Herz fliegt euch zu).
In unseren Bibliotheken, ja die in Deutschland, da sehe ich auch große Lücken im Regal. Hier sind es die Bücher zu Verbrenner Autos. Einfach entsorgt.