Bildungs-IDBundesregierung will Schüler zentral erfassen

Die Bundesregierung will die zentrale Schüler-ID. Doch Datenschützer*innen, Wissenschaftler*innen und Gewerkschafter*innen sind sich einig: Die Privatsphäre Minderjähriger steht auf dem Spiel.

mehrere Kinder und Erwachsene laufen vor einem Schulgebäude her, sie sind nur verschwommen zu erkennen.
Unter der Schüler-ID sollen schon die ersten Bildungsschritte von Kindern dokumentiert werden. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Unsplash/Wonderlane

Man soll sich die Bildungs-ID oder auch Schüler-ID so vorstellen wie eine Steuer-ID, sagt der Grünenpolitiker Cem Özdemir. Die Idee hinter der ID ist simpel: Daten von den Bildungsverläufen der Schüler*innen sollen zentral erfasst werden, zum Beispiel Noten oder auch, wo jemand zur Schule gegangen ist. Özdemirs zentrales Argument für die neue Datenbank ist, dass man mit der Bildungs-ID Schulabbrecher vom Schulabbrechen abbringen könnte. Wie das gehen soll, bleibt allerdings unklar.

„Warum ist es allgemein akzeptiert, dass wir mit einer ID sämtliche Steuerdaten einer Person erfassen, aber bei der Bildungsbiografie fehlt ein systematischer Überblick?“ Das Kultusministerium in Baden-Württemberg habe bereits an der Arbeit einer solchen ID begonnen. Und auch das niedersächsische Kultusministerium will IDs für Schüler*innen bis 2027 einführen.

Was Özdemir nicht erwähnt: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag von 2025 längst angekündigt, die Länder darin zu unterstützen, Schüler-IDs einzuführen. Der Plan sieht ein bundesweites sogenanntes Bildungsverlaufsregister vor. Demnach sollen Schulverwaltungen und andere berechtigte Stellen Daten zu den Bildungsbiografie der Schüler*innen zentral abrufen können.

Mit einer ID gegen die Bildungsmisere?

Die Schüler-ID ist schon lange Thema. Zum ersten Mal diskutierte die Kultusministerkonferenz im Jahr 2003 darüber. Zuletzt stand sie bei der Bildungsministerkonferenz im März auf der Tagesordnung. Die Bildungsministerinnen Theresa Schopper (Grüne) aus Baden-Württemberg, Stefanie Hubig (SPD) aus Rheinland-Pfalz und Karin Prien (CDU) aus Schleswig-Holstein stellten dort ihr Konzeptpapier „Bessere Bildung 2035“ vor.

Hubig und Prien sind inzwischen Teil der Bundesregierung. Hubig hat das Bundesministerium für Justiz übernommen, Prien das Bundesministerium für Bildung.

Darin sprechen sie sich für eine Bildungs-ID nach kanadischem Vorbild aus. Die könne nicht nur beim Problem der Abbrecherquote helfen, sondern auch dabei die Leistungen von Schüler*innen zu steigern. Auch ein Schulwechsel soll damit leichter werden.

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Sorge um Privatsphäre von Schüler*innen

Bislang ist zwar nicht klar, welche Daten der Schüler*innen genau gespeichert werden sollen. Aber die Sorge um einen zu tiefen Eingriff in die Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen besteht. So kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegenüber netzpolitik.org die Pläne der Bundesregierung.

Die GEW sieht solche Datenbanken kritisch und „lehnt eine bundesweite Speicherung in Form eines zentralen Bildungsregisters ab“, so ein Beschluss der Gewerkschaft von 2022. Zwar könne man den Bildungsbereich anhand von Daten besser monitoren. Doch dürften die erhobenen Daten nicht zum Zweck der Leistungs- oder Verhaltenskontrolle genutzt werden, so die GEW auf Anfrage.

Auch der Thüringer Landesdatenschutzbeauftragte Tino Melzer sieht die Einführung der ID kritisch:  Eine „Identifikationsnummer ist ein eindeutiges Personenkennzeichen“, erklärt er auf Anfrage. Unter diesem Kennzeichen können Daten zu einer Person zusammengeführt werden, es kann eindeutig und dauerhaft einer Person zugeordnet werden. Das berge hohe Risiken für die betroffene Person.

Ein Risiko ist, dass dadurch Persönlichkeitsprofile möglich werden, von Personen bereits in sehr jungen Jahren. Auch aus datenschutzrechtlicher Sicht hätten die Befürworter der Schüler-ID noch nicht gezeigt, warum diese ID erforderlich sein soll, so Melzer. Daher bestünden im Moment datenschutzrechtliche Bedenken dagegen, die Schüler-ID einzuführen.

Datenschützer*innen warnen

Schon jetzt gibt es in den Bundesländern Schüler*innendatenbanken. Hessen etwa unterhält die Lehrer- und Schülerdatenbank, LUSD.

Im Datenschutzrecht gelten Minderjährige als besonders schutzwürdige Personengruppe, so der Pressesprecher der Bundesdatenschutzbeauftragten, Philipp Wilhelmstrop. Zwar sei eine bundeseinheitliche Schüler-ID nicht in jedem Fall datenschutzrechtlich unzulässig. Doch das hänge wesentlich von der Ausgestaltung ab: Welchen Zwecken soll eine solche Schüler-ID dienen? Welche Daten werden zu einer Schüler-ID gespeichert? Wo wird eine solche ID geführt und welche Stellen haben Zugriff auf diese ID?

Klar sei nur eines: „Je mehr Daten erfasst werden, je sensibler diese Daten sind, je länger diese Daten gespeichert werden und je umfassender sie zu einer Profilbildung beitragen, desto größer ist der damit verbundene Grundrechtseingriff“ und desto höhere Anforderungen gelten für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs.

Uns fehlen dieses Jahr noch 303.386 Euro.

Wenn persönliche Informationen zum Verhängnis werden

Dass die Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, Schule, Jugend- und Eingliederungshilfe immer mehr verzahnen will, könnte laut GEW noch zu einem anderen Problem führen. Wenn zuständige Personen individuelle Bildungsbiografien einsehen könnten, könnte das ihre Einstellung gegenüber bestimmten Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Das befeuert die Gefahr von „Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund sozialer Lage“ und „Migrationsgeschichte“. Auch ein Schul- oder Klassenwechsel zum Neustart könnte erschwert werden, wenn die neue Schule zu viele Daten über Schüler*innen bekommt.

Die könne sich zusätzlich verschärfen, wenn die Bundesregierung die Schüler-ID mit der Bürger-ID verknüpft, wie sie es im Koalitionsvertrag angekündigt hat. Diese Verknüpfung lehnt die GEW entschieden ab.

Nutzen fraglich

Indes fragen Wissenschaftler*innen: Wozu braucht es diese Verknüpfung? „Gerade in der aktuellen datenbasierten Gesellschaft sollten wir vorsichtig sein, welche Daten wir miteinander verknüpfen, gerade weil es mannigfaltige und schnelle Auswertungsmethoden gibt.“ Mandy Schiefner-Rohs, Professorin für Pädagogik an der Technischen Universität Rheinland-Pfalz, Sandra Hofhues, Professorin für Mediendidaktik an der FernUni Hagen, und Andreas Breiter, Professor für Angewandte Informatik an der Universität Bremen stellen aber insgesamt infrage, ob eine ID den versprochenen Nutzen bringen kann.

Gegenüber netzpolitik.org erklären sie, Daten aus der Schule lägen vielfach schon vor, zum Beispiel aus Schulleistungstests. Doch zuständige Stellen würden sie nicht oder nicht umfänglich auswerten. Die Frage also: Warum sollte sich das mit einer Bildungs-ID ändern?

Daten machen noch keine Bildungsgerechtigkeit

„Gleichzeitig wissen wir aus der empirischen Bildungsforschung, dass die einzelne Messung und Erhebung nicht automatisch zu Bildungsgerechtigkeit oder gutem Unterricht führt“, so Schiefner-Rohs, Hofhues und Breiter. Es ist daher unklar, was sich durch die Schüler*innen-ID pädagogisch-didaktisch verändern würde.

Die Wissenschaftler*innen warnen zudem vor „nicht-intendierten Nebenwirkungen“: Mit einer ID würden Schüler*innen immer mehr zu Datenpunkten. „Ihr Verhalten kann dann natürlich genau verfolgt und vermessen werden.“

17 Ergänzungen

  1. „Warum ist es allgemein akzeptiert, dass wir mit einer ID sämtliche Steuerdaten einer Person erfassen“ – es ist nicht, es tun nur alle so, als ob das akzeptiert wäre.

    Und die Steuernummer wird ja schon an Neugeborene vergeben, warum also eine Schüler-ID?

    1. „Und die Steuernummer wird ja schon an Neugeborene vergeben, warum also eine Schüler-ID?“

      Auf der Keineahnungskala muss ich verbleiben, da ich nicht weiß, was mit:
      – Zugewanderten?
      – Asylanten?
      – Gastschülern?

      Das ist einfach viel effizienter, wenn man weiß, bei welcher Schule man Leute abholen soll. Man denkt an ICE oder das mit Daten versorgte Kinderschändernetzwerk. Immerhin sind die Hürden geringer als beim Finanzamt o.ä., wenn diese IDs später überall herumfliegen.

    2. Ich denke Mal, dass die Steuer~identifikations~nummer gemeint ist. Aber ja, man kann sich bei der sich anbahnenden Gemengelage in der Verwaltungsdigitalisierung wirklich die Frage stellen, ob ein gesondertes Kennzeichen wirklich die beste Wahl ist. Um das Identifikationsnummerngesetz herum, welches die Steuer-ID schlicht als sog. IDNr einsetzt, entsteht (Mal mit mehr Mal mit weniger Widerstand) ein ganzes Ökosystem an datenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen wie die Prüfung von Übermittlungsberechtigungen via NOOTS und das Datenschutzcockpit. Dieses Ökosystem wird naturgemäß bei einer Insellösung fehlen oder deutlich schlanker ausfallen. Das wird wahrscheinlich auch ein relevanter Aspekt sein, weil, da darf man sich nichts vormachen, ein Register wird geschaffen, damit die Daten abgerufen werden. Das heißt, die Übermittlungen ins übrige System werden früher oder später sowieso stattfinden. Baut man die Lösung hingegen direkt so, dass sie sich in das gesamte Bild einfügt, was aber dann die Nutzung der IDNr als näherliegender erscheinen lässt, könnte man datenschutzrechtlich wahrscheinlich sogar gewinnen. Vorausgesetzt natürlich, das Register ist an sich notwendig (scheint ja auch zweifelhaft zu sein)

  2. „Özdemirs zentrales Argument für die neue Datenbank ist, dass man mit der Bildungs-ID Schulabbrecher vom Schulabbrechen abbringen könnte.“

    Die einzige Verbindung die mir zu dieser Behauptung einfällt ist Repression und Stigmatisierung. Mir erschließt sich nur der Gedanken damit Druck auf zu bauen. Beispielsweise mithilfe von Aussagen wie, „Na benimm dich doch mal. Du willst doch bestimmt nicht, dass dein Verhalten ansonsten in der Schüler-ID landet. Sonst wirft das nur ein schlechtes Licht auf dich.“
    Das ginge dann in Richtung Social Scoring. Vielleicht geht es auch genau darum, da sich Kinder ja potentiell weniger gegen so einen Testballon wehren würden oder gar könnten.

    Warum auch sollte eine ID irgendein Kind vom Schulabbruch abhalten. Vermutlich würde das eher das Gegenteil bewirken, da dann der Schluss folgen kann, dass es ja jetzt auch keinen Unterschied mehr macht.

    Ich will mal hoffen, dass nur meine Phantasie mit mir durchgegangen ist, nur leider erschließt sich mir keine andere Interpretation, um bei dieser Aussage eine „logische“ Verbindung herzuleiten.

    1. Zitat SWR: Mit der ID will Özdemir etwa verhindern, dass Kinder und Jugendliche die Schule ohne Abschluss abbrechen. „Eine Bildungs-ID wäre auch eine Art Schulabbrecher-Prellbock. Sie könnte als eine Art Frühwarnsystem Alarm schlagen, bevor ein Schüler durch das Raster fällt“, sagte Özdemir.

      Das ist natürlich grober Politiker-Unfug. Ich hätte Özdemir für klüger gehalten. Ohne Not bürdet er den Grünen eine Diskussion auf, die niemand braucht, außer um Wähler zu vergrämen.

      Eine ID, also Kennziffer, ändert nichts aber auch gar nichts an an der allgemeinen Schul-/Bildungsproblematik, und schon gar nichts an schlechten Verhältnissen in Schulen und Elternhäusern.

      Eine ID ist ein Bezeichner für einen Datensatz. Die Diskussion müsste vielmehr darüber geführt werden, welche Daten über Schüler erfasst und gepflegt werden sollen, und wer darauf zu welchem Zweck zugreifen darf.

      Durch eine Steuer-ID wurde auch niemand zu einem besseren Steuerzahler, und so wird eine Schüler-ID aus keinem Schüler einen besseren machen.

      1. Nee, der denkbare Arbeitgeber kann die Bildungs-ID nachgucken :), Daten für alle!
        Dadurch findet dann die Disziplinierung statt. Also quasi wie bei einer technologischen Problemlösung, durch die instruktiven Beispiele, die es dafür dann gibt.

        1. Mit Verlaub, aber das ist grober Unsinn. Eine ID diszipliniert genauso wenig wie Datenbankabfragen. Junge Menschen bis in die Pubertät orientieren sich daran nicht, viele beeindrucken nicht einmal Schulnoten und Berufsaussichten.

          Mit der Schüler-ID wird lediglich die Voraussetzung für eine Bürokratie gelegt. Eigentlich müsste der Datensatz nach Beendigung der Schulpflicht gelöscht werden.

  3. Ich denke, diese „Diskussion“ über eine Schüler-ID ist Augenwischerei durch die Politik.

    Klar ist das Schulen Nachweispflichten haben. Offenbar reichten der Politik diese Daten oder die Zugangsmöglichkeiten dazu nicht aus. Offenbar möchte man diese Daten auch automatisiert, auch über Schulgrenzen zentral auswerten können.

    Es wird nicht erklärt, was unter welchen Umständen ausgewertet werden darf. Kein normaler Mensch kann die Algorithmen und Computersysteme prüfen. Es wird nicht erklärt, welche Pflichten die datenauswertenden Stellen haben. Es ist unklar, welche Missbrauchsmöglichkeiten und Gefahren dabei existieren. Es wird nicht erklärt, ob und welche Widerspruchsrechte es gibt und wie die bei intransparenten Systemen überhaupt wahrgenommen werden können. Es existiert auch keine Vorstellung davon, wie das Ganze mit den bisherigen Pflichten zum Schutz der Schüler in Einklang zu bringen sein soll. Es wird nicht einmal konkretisiert, wozu das Ganze genau dient.

    Das geht also nach dem Motto: Werter gehen, es gibt hier nichts zu sehen. Sorry, das ist hochgradig undemokratisch und Datenfetischismus. Welches Lobbyistenars… hat denen das nur eingeredet?

  4. „Özdemirs zentrales Argument für die neue Datenbank ist, dass man mit der Bildungs-ID Schulabbrecher vom Schulabbrechen abbringen könnte. Wie das gehen soll, bleibt allerdings unklar.“

    Wo zu braucht man nochmals überhaupt ID’s? Ach ja! Um die „KI“ gefüttert wird, diese dann Empfehlungen für die Schüler ausspuckt.
    Und nah?! Wer wertet nach welchen Kriterien die Daten aus? Spuckt mehr „KI“ Aufgabenplan und Training -Abos zum abschließen aus?

    Well Jim, I name it „Werbung in eigener Sache“
    Yes Bob, your right! Good old Germany will pay everything you whisper them.
    Ha ha kidi kidi ha ha

    1. Naja, eine ID hat den großen Vorteil, dass das Shit-LLM für alle dann günstiger wird. Was auch immer die mit sämtlichen Daten dieser Welt, UND deinen Kindern anfangen wollen…

  5. Die Logik dahinter ist wohl: Je früher man einen Menschen daran gewöhnt, ständig unter Überwachung und Kontrolle zu leben, desto weniger wird es vom betroffenen Individuum und der Gesellschaft in Frage gestellt werden.

    Das erklärte Ziel von Staaten und EU ist es ja so etwas wie neue „Datenkulturen“ in der Öffentlichkeit zu etablieren, mit der Menschen dann bereitwillig das Maximum an Daten von sich ausbeuten und verwertet lassen. Mobilität, Gesundheit, Sozialverhalten oder auch die innersten Gedanken können somit ausgewertet und zur Ware gemacht werden, sei es für Konzerne oder als Ressource im zwischenstaatlichen Vorherrschaftskampf.

    Die „Digitalen Identitäten“ erscheinen dafür genauso ein Schlüsselwerkzeug zu sein, wie sie nicht nur ein Datenextraktionsinstrument sind sondern auch ein Kontrollinstrument, mit denen die Herrschenden das Verhalten der Bevölkerung ohne größeren Aufwand anpassen werden können (zum Beispiel über das Gewähren und Entziehen von Zugangsprivilegien je nach Score ), so dass sie sich wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch effizienter verwalten lassen. Abweichendes Verhalten oder gar Störungen des „Normalbetriebs“ können dann auch beim widerwilligen Individuen oder bei „problematischen Bevölkerungsgruppen“ effizienter abgestraft bzw. abtrainiert werden.

    Es ergibt in dem Fall also Sinn, Menschen bereits im jungen Alter an diesen neuen Zustand des digitalen Untertanenseins heranzuführen, damit diese das für viele von uns noch dystopisch wirkende, zukünftig als Normalzustand empfinden. Früh übt sich schließlich, wer eine vollüberwachte, vollkontrollierte Nummer sein will!

    1. Zur beabsichtigten Gewöhnung an Überwachung:

      Ich denke, es gibt keinen Masterplan zur Überwachung. Es gibt konservative Glaubenssätze, es gibt den Zwang und den Wunsch von Firmen, zu verkaufen (egal ob jemand das braucht) und den Traum von Macht. Und es gibt eine Masse, die dem hinterher rennt und jeden noch so dummen Hype stützt.

      „Perfektion“ kann man kaufen, mit überteuerten Jogging-Hosen, die noch vor einigen Jahren peinlich gewesen wären. Das Netz ist das ideale Medium, Menschen jeglichen Blödsinn einzureden. Das alles bildet ist ein selbstorganisierendes System. Die Situation der Welt, inkl. Trump, Klimawandel, Kriege, Hetze usw. ist direkte Folge davon. Doch beabsichtigt ist das von den Wenigsten.

      1. Einen „Masterplan“ gibt es und braucht es nicht. Es gibt aber verschiedene Entwicklungen, denen ideologische und strukturelle Antriebe im vorherrschenden System zu Grunde liegen. Die laufen auf eine autoritär kontrollierte Gesellschaft mit Massenüberwachung und steiler Hierarchie hinaus (sofern es keine signifikante Gegenkräfte gibt).

        Triebkräfte wie die wirtschaftlichen und politischen Versprechungen der Digitalisierung durch Datenexktraktion und durch Verhaltenssteuerung sind oftmals nicht kompatibel mit Grundfreiheiten wie Privatsphäre, echtem Datenschutz oder individueller und gesellschaftlicher Autonomie. Ideologien wie die misanthropischen, transhumanistischen und longtermistischen Vorstellungen wie die Thiels und Musks sie kultivieren aber auch die etwas banaleren Tech-Solutionismen, „Sicherheits“-Paradigmen und nicht minder misanthropischen Effizienzvorstellungen und Misstrauenskulturen aus/in innenpolitischen und bürokratischen Machtzentren unterfüttern das ganze. Solche Denkweisen sind auch außerhalb klassischer konservativer Kreise wirkmächtig oder werden nicht hinterfragt. Unkritisches Technik- und Wissenschaftsverständnis findet sich leider auch in einigen progressiven Kreisen.

        Absichtserklärungen und Gesetzgebungen wie das mit der „neuen Datenkultur“, den ökonomisierten „Gesundheitsdatenräumen“, „digital only“ mit einer kontaktlosen und permanent getrackten Alltagsbewältigung die nur mit App/Endgerät möglich ist, das Einrichten von biometrisch überwachten Verhaltenskontrollzonen (wie jetzt der Hbf FFM) zeigen ganz klar, dass es konkrete Pläne und Interessen gibt. Diese sind nicht Teil eines einzelnen „Evil Masterplans“ obskurer Kreise, aber sie sind Teil eines größeren Übels das sich aus strukturellen, ideologischen und selbstverstärkenden Entwicklungen ergibt.

      2. Joachim: Legt man das berühmte Zitat von Jean-Claude Juncker zugrunde:

        „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

        und korreliert diese Haltung mit der absoluten Beratungsresistenz der Agierenden in Bezug auf die auf Netzpolitik.org diskutierten Probleme und Gefahren, dann kann man durchaus eine gewisse Absicht unterstellen. Dazu kommt die Akribie, mit der ein beachtlicher Teil der EU-Politiker an Plänen wie z. B. dem der Chatkontrolle festhält, wohl wissend, dass diese Pläne sowohl sämtlichen freiheitlich-demokratischen Grundsätzen widersprechen als auch bzw. gerade deshalb verfassungsrechtlich unhaltbar sind. Man phantasiert anscheinend von allumfassender Kontrolle, für die Massenüberwachung ein plausibles Synonym ist.

        1. Man sollte auch bedenken, dass etwa Putin, Trump, die Situation in Palästina, China usw. erheblichen Druck auf die Regierungen ausüben. AFD, sinkende Zustimmung der Wähler, Skandale und schwächelnde Wirtschaft tun ihr Übriges. Quadruppel Wumps ohne echten Plan, die Politik ist frustriert, dass die Welt nicht so ist, wie man sich das im kleinen Köpfchen vorgestellt hat. Und so wird man populistisch und lässt sich von der Industrie bequatschen.

          Nur, liebe Politik, es braucht keine Schüler-ID um der Pisa-Falle zu entgehen. Es braucht keine Steuer-ID, um nachweislich die behaupteten Ziele zu erreichen. Man muss etwas tun, in Bildung investieren und Dinge umsetzen, die Fachleute unserer Universitäten und Schulen seit Jahren predigen. Aber, dafür ist dann kein Geld da, Sozialausgaben werden gekürzt und zum Ausgleich Diäten erhöht (ja das ist polemisch!)

          (Btw. Dank für die beiden Antworten)

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