PlattformarbeitWie Beschäftigte frei kommunizieren sollen

Wer auf Plattformen arbeitet, hat oft wenig Kontakt mit seinen Kolleg:innen. Den braucht es aber, damit man sich über Probleme austauschen kann. Ein neues EU-Gesetz schreibt vor, dass Unternehmen Kommunikationskanäle anbieten müssen, und ein Diskussionspapier bietet dafür erste Ansätze.

Menschen auf Fahrrädern
Aus vereinzelten Beschäftigten kann mit Kommunikation ein Netzwerk werden. – Public Domain Midjourney

Lieferdienst-Rider, Clickworker, Texter*innen, Reinigungs- und Pflegekräfte: Immer mehr Werktätige bekommen ihre Aufträge über Websites oder Apps direkt von den Kund*innen. Sie arbeiten oft einzeln. Das heißt: Bei zu niedrigem Lohn, Ausbeutung oder anderen Problemen können sie sich nicht miteinander austauschen und gemeinsam vorgehen.

Das ist eins der Probleme, dass die EU mit einem vor wenigen Monaten beschlossenen Gesetz angehen will. Die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit soll unter anderem gegen Scheinselbständigkeit vorgehen und legt Unternehmen einen strengeren Datenschutz auf. Sie dürfen etwa keine biometrischen Merkmale oder emotionalen Zustände ihrer Beschäftigten mehr erheben und müssen die Risiken ihrer Algorithmen für die psychische und physische Gesundheit der Beschäftigten beurteilen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Das Recht auf Kommunikation.

Laut Artikel 20 der Richtlinie sollen Plattformarbeiter*innen privat und sicher miteinander kommunizieren können. Auch ihre Vertreter*innen, wie zum Beispiel Gewerkschaften, sollen sie so kontaktieren können. Außerdem dürfen Arbeitsplattformen nicht auf diese Kontakte und Kommunikation zugreifen oder sie überwachen. Ein wichtiger Schritt für mehr Arbeiter:innenrechte, denn miteinander reden zu können ist eine Grundvoraussetzung, um Betriebsräte zu gründen oder sich anderweitig selbst zu organisieren.

Die EU kann Gesetze entweder als Verordnung oder als Richtlinie beschließen, das Gesetz zur Plattformarbeit ist eine Richtlinie. Während eine Verordnung direkt als Gesetz gilt, müssen Richtlinien erst von den EU-Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht umgesetzt werden. Sie haben so einigen Spielraum – und haben sich während der langen Verhandlungen zur Richtlinie sogar noch mehr Spielraum herausgehandelt. In diesem Fall muss also Deutschland ein eigenes Gesetz schreiben, dass die Regeln der EU-Richtlinie enthält. Die Richtlinie soll im September offiziell im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, ab dann hat Deutschland zwei Jahre Zeit.

Digitale Zugangsrechte für alle

In Deutschland haben Betriebsräte und Gewerkschaften de facto bereits ein digitales Zugangsrecht. Angestelltenvertretungen dürfen demnach zum Beispiel über dienstliche E-Mail-Adressen oder das betriebliche Internet mit Angestellten kommunizieren. Die EU-Richtlinie fordert nun eine massive Ausweitung dieses Rechts auf alle Mitarbeitenden, unabhängig von Festanstellung und Gremienangehörigkeit.

Für diese Ausweitung ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zuständig. Das will vor der Ausgestaltung der nationalen Umsetzung „einen Stakeholderdialog mit den relevanten Akteuren aus der Plattformökonomie durchführen, um ihre Perspektiven auf die Umsetzung der Richtlinie einzuholen“, so eine Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage von netzpolitik.org.

Einen ersten Stakeholderdialog zum Thema gab es bereits. Er wurde zivilgesellschaftlich initiiert und liefert einen Vorgeschmack auf die Potenziale und Herausforderungen der Implementierung von Kommunikationskanälen für Plattformarbeiter*innen.

Fairere Plattformarbeit

Auf Einladung des Thinktanks Minor diskutierten im Mai Plattformbetreiber, Plattformarbeiter*innen und Menschen aus dem BMAS, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Wissenschaft miteinander über mögliche Ausgestaltungen der verpflichtenden Kommunikationsplattformen. Das Gespräch und dessen schriftliche Auswertung als Discussion Paper fanden im Rahmen des Projekts Chancengerechte Plattformarbeit statt. Vorhergehende Veröffentlichungen beschäftigen sich beispielsweise mit Interessenvertretung oder sozialer Sicherung in der Plattformarbeit.

Das Recht auf Beschäftigtenkommunikation ist eine „wichtige Voraussetzung für kollektive Interessenvertretung“, so die Autorinnen des Papiers, außerdem befördere Kommunikation die Umsetzung der übrigen Forderungen der EU-Richtlinie. Die befragten Stakeholder sahen Ausgestaltungsbedarf unter anderem in folgenden Bereichen:

Zugang

Um zu kommunizieren, muss man erst einmal eine Adresse haben. Dafür müssen Plattformbetreiber*innen Listen mit Beschäftigten und deren Kontaktdaten herausgeben – oder zumindest wie bei einem E-Mail-Verteiler hinterlegen – ohne die geltenden Datenschutzanforderungen zu verletzen, heißt es in dem Paper. Zudem müsse das Angebot allen Plattformarbeiter*innen hinreichend bekannt gemacht werden.

Um freie Kommunikation zu ermöglichen, fordert das Paper, dass Arbeiter*innen auch unter einem Pseudonym mitreden können. Gleichzeitig dürfen aber nur Beschäftigte, auch von Subunternehmer*innen, und ihre Vertreter*innen Zugang zur Kommunikationsplattform haben. Problematisch: Eine Anmeldung über Firmen-Mail-Adresse sei im Fall selbstständiger Beschäftigter arbeitsrechtlich schwierig, die Nutzung privater E-Mail-Adressen hingegen bringe datenschutzrechtliche Probleme.

Das Kommunikationsinstrument muss außerdem einfach zu bedienen sein. Dafür soll etwa die Benutzeroberfläche niedrigschwellig zu bedienen sein und mehrsprachig angeboten werden. Laut Plattformarbeiter*innen, Unterstützungsstrukturen und Forscher*innen sollte in den Kommunikationskanälen nicht nur Informationsaustausch über Arbeitsinhalte und -probleme ermöglicht werden, sondern auch informeller Austausch, „um langfristig den Aufbau von Vertrauen unter den Kolleg*innen und Möglichkeiten für kollektives Engagement zu fördern“, so die Autorinnen.

Moderation

Wo es Kommunikation gibt, wird auch Moderation benötigt – das fordert auch das Gesetz. Deshalb braucht es laut dem Papier „Personen, die dafür Verantwortung tragen, dass der Austausch übersichtlich bzw. nachvollziehbar bleibt und Nutzende vor Desinformation, Diffamierung und Hassrede, Werbung oder belastenden und illegalen Inhalten geschützt werden. Diese Personen sollten sich außerdem nicht in einem Rollenkonflikt befinden, der die Sicherheit der Kommunikation vor Überwachung beeinträchtigt.“

Die Kriterien der Moderation sowie etwaige Sanktionsmöglichkeiten müssten schriftlich dokumentiert und für alle Nutzenden einsehbar sein. „Schafft man hier keine eindeutigen Zuständigkeiten und Regelungen, besteht die Gefahr, dass es zu einer unübersichtlichen Gemengelage kommt, in der scheinbar widersprüchliche gesetzliche Anforderungen, bspw. in Sachen Urheber-, Datenschutz- und Strafrecht auf diffuse Verantwortlichkeiten bzw. Rechtsunsicherheit treffen“, schreiben die Autorinnen.

Eric Reimer, Kurier und Betriebsrat bei Lieferando hat dazu schon einschlägige Erfahrungen gesammelt: „Gerade politische Themen abseits der arbeitsrechtlichen Themen rund um Plattformarbeit können Leute mehr gegeneinander aufbringen als miteinander verbinden. Bei rassistischen Beleidigungen bspw. muss man Leute ausschließen – diese erreicht man dann im Zweifel gar nicht mehr. Daher ist es ein großes Thema, wer moderiert und wie. Wir haben auch Erfahrungen mit Foren, bei denen aber auch Mitarbeitende des Managements der Plattform dabei waren: Da fand kein kritischer Austausch statt, die Plattform war quasi tot“, sagte er im Stakeholderdialog.

Finanzierung und Verwaltung

Von Seiten der Plattformarbeiter*innen und deren Interessensvertretungen wurden Bedenken geäußert, ob eine alleinige Finanzierung durch Plattformen sich negativ auf die Qualität der Kommunikationskanäle ausschlagen könnte. „Weil Kostendruck und potenziell mangelnder Umsetzungswillen seitens der Betreiber die Qualität der Kommunikationskanäle gefährden könnten, wird debattiert werden müssen, ob und wenn ja, welche, Mindeststandards für Kommunikationskanäle und deren technische Infrastruktur gelten sollen (und wie diese zertifiziert werden könnten)“, so die Autorinnen.

Wenn das Unternehmen die Kommunikationskanäle betreibt, bringt das außerdem ein „potenzielles Risiko für die Sicherheit der Kommunikation vor Überwachung“ mit sich. Stattdessen könnte der Betrieb auch an Externe ausgelagert werden, schlägt das Paper vor – zum Beispiel an Gewerkschaften, Bildungseinrichtungen, gemeinnützige Organisationen oder unabhängige Expert*innen. Austauschräume könnten auch in bestehenden Messengern oder Social-Media-Plattformen eröffnet werden, also einfach auf WhatsApp, Telegram oder Facebook, was aber auch wieder Abhängigkeiten eröffne. Möglich sei auch eine zentrale Kommunikationsplattform für die Plattformarbeiter*innen aller oder vieler Plattformen – in der sich diese wieder in Kanälen organisieren könnten.

Zu diskutieren sei auch noch, welche Interessensvertretungen zu welchen Kanälen Zugang erhalten. „Es besteht die Gefahr des ‚Overcrowding‘, wenn ohne entsprechende Regulierung zu viele unterschiedliche Akteure … in die Kanäle drängen und dort konkurrierend agieren.“ Das könne Übersichtlichkeit und Austauschqualität beinträchtigen.

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