Das digitale Leben von Fabian Kienert liegt bei der Freiburger Kriminalpolizei. Ein Laptop, zwei Handys, fünf USB-Sticks und eine SD-Karte – das haben Beamte am 17. Januar 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung konfisziert. Die Datenträger bekam Kienert zwar nach drei Tagen zurück. Doch die Daten darauf wurden zuvor gespiegelt. Darunter sehr viele sehr sensible Daten, wie er berichtet. Zehntausende vertrauliche E-Mails, Kontakte zu Informanten und Redaktionsinterna; ein Großteil davon verschlüsselt.
Fabian Kienert ist freier Journalist und Redakteur beim Sender Radio Dreyeckland (RDL). Die Informationen auf seinen sowohl privat als auch beruflich genutzten Geräten sind eigentlich durch den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis, abgeleitet aus Artikel 5 des Grundgesetzes, den Blicken der Sicherheitsbehörden entzogen. Wenn nichts Wichtigeres für eine Einsicht spricht.
In Kienerts Fall gab es da diesen Verdacht: Er soll eine verbotene Vereinigung unterstützt haben, weil er in einem Nachrichten-Artikel auf das Archiv von linksunten.indymedia.org verlinkte. Das Landgericht Karlsruhe hat ihn inzwischen freigesprochen, die Staatsanwaltschaft Revision beantragt.
Mindestens bis das Verfahren letztinstanzlich abgeschlossen ist, bleiben die Daten gespeichert. Die Kriminalpolizei Freiburg hat bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht auf Fragen dazu geantwortet. Klar ist: Solange die Daten bei einer Sicherheitsbehörde liegen, sind sie eine potenzielle Bedrohung für den Quellenschutz. Also für alle Menschen, die Fabian Kienert und anderen Journalist*innen von Radio Dreyeckland sensible Informationen anvertraut haben.
Quellenschutz in Gefahr
Die Datenträger wurden beschlagnahmt, um zu klären, wer den Artikel mit dem Link auf linksunten.indymedia.org geschrieben hat. Kienert, dessen Kürzel unter dem Text steht, hat sich noch während der Durchsuchung dazu bekannt. Da die Frage damit geklärt war, hat das Landgericht Karlsruhe den Antrag auf Auswertung der Daten abgelehnt. Später hat die Staatsanwaltschaft noch einmal die Auswertung beantragt, diesmal auf der Suche nach Informationen darüber, wer das heutige Archiv der 2017 per Vereinsverbot geschlossenen Open-Posting-Seite linksunten.indymedia.org betreibt. Auch das wurde abgelehnt. Es liegt also keine Erlaubnis vor, die Daten zu untersuchen.
Ein bisschen hineingelinst haben die Sicherheitsbehörden eventuell dennoch. Laut Kienert ist in den Ermittlungsakten von stichprobenartigen Suchvorgängen die Rede. “Merkwürdigerweise sind davon aber keine Ergebnisse in den Akten zu finden”, sagt Fabian Kienert.
Sollte die Staatsanwaltschaft das Revisionsbegehren aufrechterhalten und der Bundesgerichtshof ihm stattgeben, könnte es sein, dass die Staatsanwaltschaft erneut Zugriff auf Kienerts Daten fordert. “Möglicherweise werden die Ermittlungsbehörden sich auch darauf berufen, die Daten für andere Zwecke zu benötigen. Aber dann streiten wir uns halt darum”, sagt Kienerts Anwältin Angela Furmaniak.
Fabian Kienert sagt: „So lange nicht alle Daten gelöscht sind, bleibt eine Unsicherheit, was mit ihnen geschieht. Vollständiges Vertrauen, dass sie nicht ausgewertet werden, ist bei mir nicht vorhanden. Die ganze Hausdurchsuchung war meiner Meinung nach von Anfang an rechtswidrig und wurde trotzdem durchgezogen.” Das Ergebnis seiner Verfassungsbeschwerde steht noch aus.
Die Relevanz von Verschlüsselung
Rechtsanwalt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Kienert juristisch unterstützt, sagt: „Spätestens als Fabian Kienert während der Durchsuchung erklärte, dass er das geschrieben hat, war klar, dass man die Datenträger nicht mehr hätte beschlagnahmen dürfen.“
Die Sticks und die SD-Karte, die bei Kienert sichergestellt wurden, waren unverschlüsselt. Sie enthielten vom Redaktionsgeheimnis geschützte, aber nur wenig sensible Informationen, so der Journalist. Seine Telefone sind, wie fast alle modernen Smartphones, vermutlich verschlüsselt, lassen sich aber wohl knacken.
Viktor Schlüter vom Digital Security Lab der Organisation Reporter ohne Grenzen sagt: “Die Sicherheitsbehörden kaufen sich dafür Forensiksoftware. Und wenn sie genug zahlen, kriegen sie vermutlich auch alles auf.“ Dahinter stehe ein größeres Problem, wie Schlüter erklärt. Die Behörden würden damit unterstützen, dass Sicherheitslücken nicht bekanntgemacht werden. Stattdessen werde das Wissen über die Lücken verkauft, wodurch auch andere Staaten deutsche Staatsbürger:innen ausspionieren können.
Die wirklich sensiblen Daten seien, so Fabian Kienert, auf seinem Laptop zu finden. Einem Linuxrechner mit verschlüsselter Festplatte und ausreichend sicherem Passwort, wie er sagt. Die IT-Forensik des Landeskriminalamts habe mitgeteilt, dass ein Angriff auf die Verschlüsselung zwar möglich, aber sehr zeitintensiv sei, so Kienert.
Viktor Schlüter sagt: „Ein Passwort aus 20 zufälligen Zeichen, das ist auf einem privaten Rechner und mit guten Parametern bei der Festplatten-Verschlüsselung eine Sache in der Größenordnung von 10 hoch 20 Jahren, das zu erraten. In einem krassen Rechenzentrum müssten wir vielleicht 5 Nullen abziehen und sind immer noch bei 10 hoch 15, da hat sich am Grundsatz nichts geändert: Das ist nicht realistisch, das aufzukriegen.“
In der ersten Episode unseres Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“ erzählen wir die Geschichte hinter den Razzien bei Radio Dreyeckland.
Es ist möglich, dass die Staatsanwaltschaft den Revisionsantrag zurückzieht, wenn das schriftliche Urteil veröffentlicht wird und sie keine ausreichend große Chance sieht, es anzufechten. Wenn der Freispruch rechtskräftig wird, will Anwältin Angela Furmaniak die Löschung der gespiegelten Daten beantragen. Eine berechtigt geforderte Löschung wird meistens mit einem formlosen Schreiben bestätigt. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es aber nicht. „Wenn die Polizei die Löschung mir gegenüber dann bestätigt, gehe ich selbstverständlich davon aus, dass ich mich darauf verlassen kann“, sagt Furmaniak. „Ich hoffe, aber vertraue nicht darauf“, sagt Fabian Kienert.
Im Zuge der Ermittlungen gegen Fabian Kienert wurde auch die Wohnung von einem der Geschäftsführer von Radio Dreyeckland durchsucht. Die dort beschlagnahmten, unverschlüsselten Daten wurden, nachdem die Rechtswidrigkeit dieser Durchsuchung festgestellt wurde, angeblich bereits vernichtet. Dazu gibt es bislang aber nur eine mündliche Zusicherung. Eine diesbezügliche Anfrage hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantwortet. Wir werden die Antwort ergänzen, wenn wir sie erhalten.
Update, 12.6.2024, 16.40 Uhr: Beim Absatz zur Stichwortsuche in Kienerts Daten ist uns ein Fehler unterlaufen, wir haben den Absatz überarbeitet.
> Ein bisschen hineingelinst hat die Staatsanwaltschaft wohl dennoch. Auf ihre Anregung hin bekam ein unabhängiger Gutachter den Auftrag, eine Stichwortsuche über die zugänglichen Datensätze laufen zu lassen.
Das ist doch ein wenig zu verniedlicht formuliert, denn genau darum geht es.
Es besteht offenkundig ein Interesse, forensischen Beifang zu erlangen, also Erkenntnisse, die über den eigentlichen Fall hinausgehen.
Das ist ganz gehörig zu skandalisieren, denn das ist prinzipiell immer höchst problematisch.
In dieser Sache berührt es journalistischen Quellenschutz, so als Nebeneffekt.
NP-Zitat: „Was passiert jetzt mit den kopierten Daten?“
Wäre nicht die Adresse des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg der richtige Ansprechpartner bezüglich dieser Frage? Die obersten Datenschützer (Bund/ Länder) müssen Beschwerden und Eingaben von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nachgehen – dazu sind diese Stellen da.
https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/
Die Daten sind bei den Ermittlungsbehörden und längst weitergereicht (BKA, Verfassungsschutz) und ausgewertet. Denn es gibt KEINE Kontrolle. Und nein: bei einem Konfliktprtner mit derart weitreichenden Befugnissen gilt nicht die Unschuldsvermutung.
Bis auf die Delegitimierung des Rechtssystems, die damit stattfinden würde. ABER: Alles sicherlich bedauerliche Einzelzufälle, kann man dann nichts machen.
Freier Journalismus vollkommen in Gefahr!
Da gibt es klare Gesetze zum Datenschutz, vor allem auch gegenüber Journalisten und Freien Redakteuren, doch immer mal wieder fällt auf, dass Gerichte, Polizeibehörden und Staaatsanwälte gegen diese „Schutzrechte“ von Bürgern treten. Und da ist Baden-Württemberg auch ganz vorne mit dabei. Also doch schon längst ein Polizeistaat?
Schon bei einer Stichwortsuche aus belanglosen Gründen kann man bei den juristischen Behörden just zu einem überwachten Personenkreis gezählt werden, wenn auch überhaupt keine Verdachtshinweise zu irgendetwas vorliegen. Das ist keine Freiheit mehr in unserem Lande. Wir werden zusehends mehr und mehr überwacht. Und kritisiert ein Redakteur/Journalist eine Begebenheit, wird ohne jegliche begründete Dringlichkeit eine Razzia durchgeführt und Datenträger einkassiert. Wir Bürger sollten endlich einmal Aufstehen und uns dagegen wehren. Wenn nur nicht so viele faul, träge und ohne Courage wären.
Die Verantwortlichen sind als Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen.
… um dann an die Spitze der EU Kommission verbannt zu werden, richtig?
Löschen, wie im Grundbuch, also alles durchstreichen…