Henna VirkkunenDie nächste Digitalkommissarin kommt aus Finnland

Ursula von der Leyen hat heute ihren Plan für die neue EU-Kommission vorgestellt. Digitale Themen, innere und äußere Sicherheit, die Rechtsstaatlichkeit: Für das alles soll die Finnin Henna Virkkunen zuständig sein. Einige Kommissare sollen sie bei Einzelthemen unterstützen. Das Parlament muss dem noch zustimmen.

Henna Virkkunen spricht im EU-Parlament
Virkkunen sitzt seit 2014 im Europaparlament. – Alle Rechte vorbehalten Fred Marvaux / EU-Parlament

Exekutiv-Vizepräsidentin für Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie. Das ist die Jobbeschreibung der Frau, die in den nächsten fünf Jahren die Digitalpolitik der Europäischen Union wahrscheinlich prägen wird wie niemand anderes: Henna Virkkunen. Den Besetzungswunsch hat Ursula von der Leyen heute verkündet, zusammen mit ihrem Plan für den Rest der neuen EU-Kommission. Diesem Plan muss das Parlament aber erst noch zustimmen.

Virkkunen sitzt seit 2014 für die finnischen Christdemokraten im Europäischen Parlament. Dort hat sie schon zu einigen Digitalthemen gearbeitet, etwa am Cyber Resilience Act oder an einem Gesetz, das die Cybersicherheit der EU-Institutionen neu geregelt hat. Sie saß auch im Pegasus-Untersuchungsausschuss des Parlaments. Der hatte versucht, aufzuklären, wie EU-Regierungen rechtswidrig ihre eigenen Bürger:innen mit Spionagesoftware überwachen.

Vor ihrer Karriere in Brüssel und Straßburg war Virkkunen in Finnland schon dreimal Ministerin: Zuerst für Bildung, dann für öffentliche Verwaltung, schließlich fürs Transportwesen.

Die digitale Über-Kommissarin

Virkkunen soll nun nicht nur schnöde Kommissarin werden, sondern eine Exekutiv-Vizepräsidentin. Von denen wird es sechs geben, sie sollen breitere Themenbereiche abdecken. Dafür sind ihnen einzelne Kommissar:innen unterstellt, die für spezielle Bereiche zuständig sind. Wer genau das für Virkkunen sein soll, ist gerade noch nicht klar.

Von der Leyen kündigte aber schon an, dass der Kommissar für Verteidigung und Weltraum, der Litauer Andrius Kubilius, ihr unterstellt sein soll. Virkkunen soll auch die Integration der europäischen Rüstungsindustrien vorantreiben, kündigte von der Leyen an.

Ansonsten: Was soll „Technologische Souveränität“ bitte heißen? „Sie ist verantwortlich für das riesige Thema Digitalisierung und digitale Infrastruktur“, so von der Leyen. „Das sind die größten Treiber für die Wettbewerbsfähigkeit.“ Letztendlich verbirgt sich dahinter der Wunsch, unabhängiger von Tech-Riesen aus den USA zu werden.

Alle Staaten wollten wirtschaftlichen Einfluss

Die Bildung der neuen Kommission hatte sich in die Länge gezogen und schon vor dem eigentlichen Beginn zu ersten Verwerfungen geführt. Von der Leyen hatte eigentlich die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, ihr jeweils eine Frau und einen Mann vorzuschlagen. So wollte sie die Geschlechter gleich in ihrer Kommission abbilden. Ausgenommen waren eigentlich nur Staaten, die ihre bisherigen Kommissar:innen erneut antreten lassen wollten. Tatsächlich nominierte mit Bulgarien nur ein einziges Land sowohl eine Frau als auch einen Mann.

Von der Leyen verbrachte deshalb die letzten Wochen mit Verhandlungen. Sie übte anscheinend auf einige kleinere Länder Druck aus, damit sie ihre Kandidaten durch Kandidatinnen austauschten. So konnte sie den Frauenanteil von 22 auf 40 Prozent hochtreiben, sagte sie.

Auch abgesehen vom Geschlechteranteil war die Verhandlung der Zuständigkeiten nicht leicht, sagte von der Leyen. „Ungefähr zwanzig Mitgliedstaaten wollten ein starkes wirtschaftliches Portfolio – aber wir haben keine zwanzig starken wirtschaftlichen Portfolios“, witzelte sie heute im Parlament. „Es ist nicht ganz einfach, das alles zusammenzubringen.“

Frankreichs Ersatz für Breton

Gestern kam dann noch der überraschende Rücktritt von Thierry Breton, dem eigentlich schon wieder nominierten französischen Kandidaten. Der Binnenmarktkommissar hatte sich wiederholt mit von der Leyen überworfen – so sehr, dass sie anscheinend Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einem Telefonat ein größeres Portfolio für Frankreich anbot, wenn er einen anderen Kandidaten als Breton schicken würde.

Macron gab nach und ersetzte Breton mit Stéphan Séjourné. Der ist gerade noch französischer Außen- und Europaminister, bis vor einigen Monaten war er Vorsitzender der liberalen Renew-Fraktion im Europaparlament. Er soll, ebenfalls als Exekutiv-Vizepräsident, für Wohlstand und Industriestrategie zuständig sein. Damit könnte er auch einige digitale Aufgaben übernehmen.

Andere Digitalthemen

Neben Séjourné sind noch einige andere Namen aus digitaler Sicht interessant. Valdis Dombrovskis soll für Wirtschaft und Produktivität sowie Umsetzung und Vereinfachung zuständig sein – der Posten könnte zu einem Kommissar für das Abschaffen von Regeln werden. Mit Magnus Brunner übernimmt ein österreichischer Christdemokrat das Migrationsportfolio, das in der EU schon seit einigen Jahren mit hochtechnisierter Überwachung der EU-Außengrenzen verbunden ist.

Die Bulgarin Ekaterina Sachariewa soll den Bereich Forschung und Innovation übernehmen. Dazu gehört natürlich auch eine Menge Forschung zu digitalen Themen. Michael McGrath aus Irland soll neuer Justizkommissar werden und auch den Schutz von Verbraucher:innen übernehmen.

Hoher Posten für Rechtsnationalen

Einige Kritik gab es an von der Leyens Plan, den Italiener Raffaele Fitto in den Rang eines Exekutiv-Vizepräsidenten zu erheben. Er soll für Kohäsion und Reformen zuständig sein, was mit großen finanziellen Ressourcen verbunden wäre. Fitto ist Mitglied der rechts-nationalistischen Fratelli d’Italia von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

„Dass mit Raffaele Fitto ein Vertreter einer rechtsextremen Partei das Amt eines Exekutiv-Vizepräsidenten bekommen soll, ist völlig unverständlich“, kritisierte der grüne Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen diese Ankündigung. „Er soll laut von der Leyens Vorstellungen für einen Großteil des EU-Budgets Verantwortung tragen. Kann ein Europafeind EU-Fördermittel verwalten?“

Das Parlament muss von der Leyens Plan für ihre Kommission zustimmen. Davor wird es Anhörungen mit allen Kandidat:innen in den Ausschüssen geben, für deren Themen sie zuständig sein werden. Das Ende dieses Prozesses wird nicht vor November erwartet.

3 Ergänzungen

  1. Vielleicht noch interessant: Sowohl der designierte Innenkommissar Magnus Brunner (EVP, Österreich) als auch der designierte Justizkommissar Michael McGrath (Renew Europe, Irland) waren bisher Finanzminister und nicht gerade vom zukünftigen Fach. McGrath, der unter anderem für die einheitliche Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung zuständig sein wird, hat es immerhin geschafft, dass erst der Europäische Gerichtshof ihn zwingen musste, 13 Mrd. Euro Steuern von Apple einzutreiben, die er nicht haben wollte.

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