Gestern haben die Vereinten Nationen ihr erstes Abkommen zu Cyberkriminalität einstimmig angenommen. Der völkerrechtliche Vertrag schafft einen Rechtsrahmen für Strafverfolgungsbehörden, auch für den Zugriff auf persönliche Informationen. Es geht darin unter anderem um Echtzeiterfassung von Telekommunikationsverkehrsdaten und das Abfangen von Kommunikationsinhalten.
Durch das Abkommen werden die UN-Mitgliedsstaaten verpflichtet, derartige Überwachungsmaßnahmen für ein sehr breites Spektrum von Straftaten zu ermöglichen. Eine richterliche Genehmigung der Maßnahmen ist hingegen nicht vorgeschrieben.
Das Abkommen enthält weitreichende Überwachungsbefugnisse mit unzureichenden Schutzmaßnahmen und verfehlt Mindeststandards bei den Menschenrechten und beim Datenschutz, so zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen. Mehr als zwanzig, darunter Privacy International, Access Now, das International Press Institute sowie European Digital Rights als Dachorganisation vieler europäischer NGOs hatten an die Delegierten der EU-Staaten und an die Europäische Kommission appelliert, die zahlreichen Mängel des Vertrages noch zu beheben.
Selbst der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte schrieb, dass viele der Bestimmungen internationalen Menschenrechtsstandards nicht gerecht werden. Zahlreiche IT-Sicherheitsforscher*innen bemängelten, dass auch sie durch das Abkommen kriminalisiert würden.
Laut Tanja Fachathaler, Policy Advisor beim österreichischen Verein epicenter.works, erlaubt das Abkommen Staaten, im Ausland gespeicherte Daten zu Personen anzufordern. Dabei muss das zugrundeliegende Vergehen nicht in beiden Staaten verboten sein. Wenn etwa Russland Oppositionelle oder Journalisten als Extremisten verfolge und ihnen absurde Straftaten vorwerfe, könne es sich künftig bei der Anforderung von Daten aus dem Ausland auf die UN-Konvention berufen.
Das Abkommen muss im Herbst noch der Generalversammlung vorgelegt werden, wo es vermutlich verabschiedet wird. Dann müssen noch die 193 UN-Mitgliedsstaaten die Konvention ratifizieren. Die letzte bislang veröffentlichte Version des Abkommens liegt hier.
Update, 9.8.2024, 16.40 Uhr: Link zur aktuellsten Version aktualisiert.
Das war ja von vorneherein klar, daß kein Staat sich gegen Überwachungsmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung sträuben wird. Es wird höchste Zeit Maßnahmen zur Selbstvertreidigung zu ergreifen. Die Frage ist, wie bindend ist das Abkommen, wenn einzelne Regeln beispielsweise gegen das Grundgesetz verstossen?
Ist egal. Als Bürger bist Du nicht an das Grundgesetz gebunden (aka Abwehrrecht gegen den Staat). Einfach machen. Wenn du freiwilliger Staatssklave bist (Beamter) dann ja, aber auch nur in bestimmten Grenzen.
Tiefere Einsichten dazu: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, Thoreau
„Das Abkommen muss im Herbst noch der Generalversammlung vorgelegt werden, wo er vermutlich problemlos verabschiedet wird. Dann gilt die UN-Konvention mit dem offiziellen Namen „International Convention on Countering the Use of Information and Communication Technologies for Criminal Purposes“ verbindlich für alle 193 UN-Mitgliedsstaaten.“
Das stimmt so meines Wissens nach nicht. Eine UN-Konvention ist erst dann völkerrechtlich binden wenn sie von den jeweiligen Ländern unterschrieben und ratifiziert ist (https://de.wikipedia.org/wiki/UN-Konvention).
Insgesamt aber trotzdem eine traurige Nachricht.
Völlig richtig, ich habe den letzten Absatz korrigiert.
The consistency group is composed of experts nominated by the following Member States: Argentina, Belarus, Burkina Faso, China, Côte d’Ivoire, Ecuador, France, Ghana, Jordan, Kazakhstan, Mexico, Russian Federation, Singapore, Sudan, United Kingdom, United States and Yemen.
https://www.unodc.org/unodc/en/cybercrime/ad_hoc_committee/ahc_reconvened_concluding_session/main
Die Arbeit in diesem Komitee wird dominiert von den Autokraten dieser Welt, zunehmend auch das Abstimmverhalten in der Generalversammlung, erkauft durch „Wirtschaftsförderung“.
Das scheint so übel zu sein, dass selbst Microsoft recht deutliche Kritik übt:
https://www.unodc.org/documents/Cybercrime/AdHocCommittee/Reconvened_concluding_session/Written_submissions/OP9/Microsoft_-_Reconvened_Substantive_Session.pdf
Dagegen erscheint die Einlassung der EFF ziemlich lasch:
https://www.unodc.org/documents/Cybercrime/AdHocCommittee/Reconvened_concluding_session/Written_submissions/OP8/HRW_EFF_Oral_Statement-20240730.pdf
War ja von vornherein klar.
Na, da werden sich die Autokraten und Diktatoren freuen.
Können jederzeit illegalisieren, was sie wollen und unliebsame Menschen effektiv quer durch die Welt verfolgen lassen.
Und wenn dann jetzt auch IT-Sicherheitsforscher kriminalisiert werden… Wie soll es denn dann möglich sein, noch den -absurderweise gleichzeitig geltenden – Datenschutz-Gesetzen zu entsprechen, wenn sie damit im Grunde ihre Arbeit nicht mehr machen können und Sicherheitslücken usw untersuchen können?
Die Konsequenzen kann man sich ausmalen.
Schöne neue Welt!
War die UN nicht mal eine Institution die explizit nicht zur Terrorisierung von Demokratien begründet wurde?
Eine UN-Konvention wird erst rechtsverbindlich, wenn sie von einem bestimmten Quorum von UN-Mitglieds-Staaten bzw. -Staatenbündnisse ratifiziert wurde. Und sie ist dann auch nur in den Staaten rechtsverbindlich, die sie ratifiziert haben. In Deutschland bzw. der EU gilt als höchstes Recht aber weiterhin das Grundgesetz bzw. das EU-Recht. D.h., was nach EU-Recht oder dem Grundgesetz verboten ist, kann auch eine UN-Konvention nicht erlauben.
Krass gesagt: Folter ist nach Grundgesetz und EU-Recht verboten, eine UN-Konvention, die sie für gefangene Terroristen erlauben täte, hätte in diesem Punkt keine Rechtskraft.
Das heißt natürlich nichts über die Problematik des Inhaltes der Konvention. Und wie schnell lassen sich Gesetze und Verfassungen ändern.
„Und wie schnell lassen sich Gesetze und Verfassungen ändern.“
Und genau das ist der Punkt.
Welche Garantie hat man denn heutzutage, dass das GG oder das EU-Recht nicht einfach geändert wird oder die Gesetze einfache entgegen Grundgesetz oder EU-Recht trotzdem durchgesetzt werden?
Richtig: gar keine.
Solange Grundrechte usw per Gesetz geändert oder eingeschränkt werden dürfen, solange sind sie nicht gesichert.
Gerade in der EU sollte man in der letzten Zeit aus VDS, Chatkontrolle usw doch gelernt haben, dass
a) Bsp: Fall von VDS: Die Verteidiger von Rechten usw (in dem Fall der EUGH) so oft mit dem Anliegen genervt werden, bis sie ihre Position aufweichen oder ganz aufgeben
b) Bsp: Fall von Chatkontrolle: Es dem Großteil der Politiker doch vollkommen egal ist, ob ihre Gesetze gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen oder nicht
c) (auch wieder Chatkontrolle): Bei rechtlichen Bedenken versucht wird, mit schmutzigen Tricks zu arbeiten, um es harmloser aussehen zu lassen, die Leute für dumm zu verkaufen und letztlich doch Zustimmung zu erhalten
zu c) zur Erinnerung
https://netzpolitik.org/2024/internes-protokoll-belgien-will-nutzer-verpflichten-chatkontrolle-zuzustimmen/
Der Letzte sollte das nun auch begriffen haben: Demokratie und Menschenrechte sind Auslaufware!
Politisch resigniert…hat manchmal auch den Redt infiltriert.
„Weil der Text des Abkommens in den vergangenen beiden Wochen nochmal deutlich ergänzt wurde. Und zwar um Passagen, die den Schutz von Menschenrechten garantieren.
Danach können Staaten die Amtshilfe für andere Staaten ablehnen, wenn der Verdacht besteht, dass es nur darum geht, Leute aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion, Herkunft oder sexuellen Orientierung zu verfolgen.“
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-cyber-sicherheit-100.html
„Es geht nicht um staatlich sanktionierte Hackerattacken oder die Aktivitäten der Trollfabrik in St. Petersburg. Kein UN-Mitgliedsland würde zugeben, so etwas zu beauftragen. Insofern wird das auf UN-Ebene ausgeklammert.“ …
Und da liegt das Problem, nicht wahr ?
Wäre schon schön, die EU würde solange nicht unterschreiben, bis endlich in solchen Abkommen auch steht, was Staaten eben nicht dürfen, damit es nicht George Orwells 1984 wird.
Der Link zum Dokument scheint schon wieder kaputt gegangen zu sein. Ich werde auf „https://documents.un.org/error“ umgeleitet…
Link ist repariert.
Ok, naja, also … „Idioten am Drücker“?
Fehlen noch Atomwaffen bei ca. 3333 Prozent mehr an Mitgliedern, oder wie war das noch?
Naja, 80er…
Durch das Abkommen werden Texte überall dort strafbar, wo fiktive Inhalte vom Gesetz nicht erfasst, oder erwähnt werden.
Denn das ist der Standard und die Staaten müssen es explizit ausschließen, oder konkretisieren (Artikel 14, Punkt 5).
Das ist für die Staaten interessant, wo es eine Grauzone war, da lediglich von „Personen“ gesprochen wurde. Wundert mich aber nicht, da letztes Jahr eine Lobbyisten aus England durch Einwirken auf eine Politikerin Cartoons in Taiwan unter Strafe gestellt hat. Der Bevölkerung fiel es erst dieses Jahr auf, da die Medienanstalt iWIN anfing Sperrungen zu veranlassen. Jetzt wird es wieder abgeschafft.
Das, was nicht beschlossen wird als Gesetz zu machen, sind Gesetze, die bei irrtümlicher Verfolgung, also der Verfolgung Unschuldiger, die Entschädigungsansprüche und die Bestrafung der Behördenmitarbeiter regelt.
Hi,
der Link [einstimmig angenommen](https://webtv.un.org/en/asset/k12/k1207pa2nz) bringt mich zu einem 3 Stunden langen MP4-File (ich hör nur Audio?). Was mich aber eigentlich interessiert: Wer hat da für Deutschland oder die EU mitgestimmt? Weil angeblich wars ja einstimmig, da ist also jemand dem man das persönlich ankreiden kann. Wer? Gibt’s da eine Seite (oder ein „Dokument“) in dem das steht?
Vielen Dank!
Das möchte ich auch wissen. Wenn man dem ersten Link im Artikel folgt (https://www.unodc.org/unodc/en/cybercrime/ad_hoc_committee/home), findet man als „Officers of the Ad Hoc Committee“ aus EU-Ländern drei Namen:
H.E. Ms. Dominika Krois (Poland) & Mr. Markko Künnapu (Estonia) & H.E. Mr. Miguel de Almeida e Sousa (Portugal)
… aber für wen genau die da Repräsentanten sind, ist mir leider völlig unklar.
Siehe dazu das Gespräch mit Tanja Fachathaler bei uns https://netzpolitik.org/2024/un-cybercrime-convention-der-vertrag-soll-einen-umfassenden-zugang-zu-daten-schaffen/
„Es ist interessant zu sehen, wer die eigentlich handelnden Personen sind. Am Anfang sprechen in der Regel Botschafter und Diplomaten, wenn es um allgemeine Erklärungen geht. Die Feinheiten und rechtlichen Bestimmungen werden dann aber von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden ausgehandelt. Es sind meist Damen und Herren, die in den Justizministerien der unterschiedlichen Länder arbeiten, die oft zu Beginn ihrer Karriere als Staatsanwälte tätig waren oder aus den Staatsanwaltschaften kommen.“
Die UN ist ein nicht ernstzunehmender Haufen trauriger Gestalten
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