CUII-ListeDiese Websites sperren Provider freiwillig

Damian, 17 Jahre, legt sich mit Internetanbietern und Unterhaltungsindustrie an. Er hat die geheime Liste der Websites veröffentlicht, die nach Absprache von Unternehmen und Verbänden in Deutschland gesperrt werden.

Ein Mensch der am Computer sitzt.
So in etwa sieht es aus, wenn Damian an cuiiliste.de arbeitet (Symbolbild). – Public Domain Midjourney

Diese Liste ist eine Goldkiste für Kulturpiraten. 144 Internetseiten stehen darauf, die Kulturgüter gratis zur Verfügung stellen: Portale für Filme, Musik, Games oder Sportübertragungen. Einige der dort auffindbaren Inhalte sind urheberrechtlich geschützt, daher werden die Seiten wegen „struktureller Urheberrechtsverletzung“ von sechs Providern in Deutschland gesperrt.

Eigentlich ist die genaue Liste geheim. Die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII), die sie zusammengestellt und die Sperrung der verzeichneten Seiten veranlasst hat, besitzt ein ernstes Interesse daran, dass die Links darauf nicht angesurft werden. In ihr sind neben den Providern auch Rechteinhaber der dort angebotenen Unterhaltungsdateien vertreten.

Damian, 17 Jahre, Schüler in Deutschland, hat die Liste am 20. Juli geleakt. Zwar listet die CUII selbst, die gesperrten Seiten auf. Aber eben nicht alle Domains, die zu der Seite gesperrt sind. Zur Sperre der Schattenbibliothek Sci-Hub etwa steht in der „Empfehlung“ der CUII nur:

Für die SUW [strukturell urheberrechtsverletzende Webseite] werden die Domains „*****“, „*****“, „*****“, „*****“, „*****“ und „*****“ benutzt, die nach wie vor verfügbar sind.

Damian hat ein Problem mit der CUII. Genauer gesagt mindestens zwei, erzählt er im Interview mit netzpolitik.org. Einmal ist er dagegen, dass die CUII seiner Meinung nach eine Art privatwirtschaftliche Paralleljustiz betreibe. Bei der CUII sind sechs Internetprovider und neun Rechteinhaber wie Motion Pictures Association, Bundesverband Musikindustrie und Deutsche Fußballliga beteiligt.

„Eine Art Selbstjustiz“

„Wenn eine private Organisation ohne Anhörung von Richter*innen entscheiden kann, welche Internetseiten sie sperrt, dann ist das ein Problem“, sagt Damian. Dabei sei es ja möglich und schon öfter vollbracht worden, eine Domain mit juristischen Mitteln und einem richterlichen Beschluss sperren zu lassen.

„Es gibt einen richtigen Weg, wie man solche Ansprüche durchsetzen kann. Das ist mit Aufwand für die Rechteinhaber verbunden. Die müssen beweisen, wo genau die Urheberrechtsverstöße stattfinden, versuchen, den Betreiber ausfindig zu machen, beim Hoster eine Löschung erbitten. Und für die Internetanbieter ist das auch unpraktisch, denn dann müssen sie vor Gericht. Der Rechtsweg stellt aber sicher, dass das im gesetzlichen Rahmen abläuft. Die CUII hingegen entscheidet das ganz allein. Das ist eine Art Selbstjustiz“, sagt er.

Die Rechteinhaber in der CUII beantragen die Sperren, die CUII prüft, ob eine „strukturelle Urheberrechtsverletzung“ vorliegt und weist, wenn dem so ist – und die Bundesnetzagentur ihr okay gibt – die beteiligten Internetprovider an, die Seite zu sperren. Mirror-Domains, die den gleichen Inhalt bieten, werden ohne erneutes Prüfverfahren gesperrt. „Das wird dann nichtmal mehr an die Bundesnetzagentur weitergeleitet“, sagt Damian. „Keine dritte Partei kennt diese gesperrten Domains. Die können da frei welche hinzufügen.“

Die CUII selbst beruft sich zum einen darauf, dass sie lediglich „Empfehlungen“ abgibt, über die ein „dreiköpfiger unabhängiger Prüfausschuss“ entscheidet. „Die Empfehlung des Prüfausschusses folgt den geltenden Gesetzen und den bislang ergangenen Urteilen des BGH und des EuGH sowie der unterinstanzlichen Rechtsprechung, die diese höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisiert“, heißt es auf der Website. Die Prüfung der CUII diene dazu, „unnötige Gerichtsverfahren zu vermeiden“.

Fehlende Transparenz

Das Recht auf freie Information steht in Artikel fünf des Grundgesetzes, es sollte eigentlich nicht ohne richterlichen Beschluss einschränkbar sein, das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Außerdem werden bei den Sperren ganze Domains blockiert, auf denen sich teilweise auch ganz legale Inhalte befinden. Diese werden ebenso den Nutzer*innen verborgen.

Dazu kommen wettbewerbsrechtliche Schwierigkeiten, weil die Piratenseiten eine Konkurrenz für die CUII-Mitglieder sind.

Damians zweites großes Problem mit der CUII ist die fehlende Transparenz. Die CUII hält geheim, welche Websites genau von ihren Sperren betroffen sind. Wer eine Seite ansurft und nicht auffindet, weiß, dass diese gesperrt ist, aber nicht, ob von der CUII oder von einem Gericht oder zum Beispiel aufgrund eines EU-Embargos, so wie derzeit viele russische Nachrichtenseiten.

Und die surfende Person kennt auch nicht das Ausmaß der privatwirtschaftlich initiierten Sperren. Sie kann sich kein Bild davon verschaffen, welches Muster dahinter steht. „Deshalb wollen wir die CUII transparenter machen“, sagt Damian.

Ein Spaßprojekt mit ernstem Hintergrund

Damian hat seine Sommerferien in die Website cuiiliste.de investiert. Erst hat er zur CUII recherchiert, festgestellt, dass es cuiiliste.de schon einmal gab und die Domain frei ist. „Da dachte ich mir, das bringe ich mal als Spaßprojekt wieder auf Vordermann“.

Daraufhin hat er innerhalb von zwei Wochen die Seite geschrieben. Zunächst war die Idee, dass Menschen auf cuiiliste.de automatisch prüfen lassen können, ob und bei welchen Providern eine Website gesperrt ist, um so nach und nach ein Archiv in Deutschland gesperrter Seiten aufbauen zu können.

Doch dann bekam Damian von einer Person, die sich im Netz Northernside nennt, eine aktuelle CUII-Sperrliste zugespielt. Die Liste stammt offenbar von einem Internetprovider.

Eine andere Person hat daraufhin die Adressen aller DNS-Resolver der in CUII versammelten Internetprovider gesammelt, damit Damian testen kann, ob alle die gleiche Liste sperren. Das war der Fall, die aufgetauchte Sperrliste ließ sich bestätigen. Daraufhin hat Damian ein Skript geschrieben, das die Sperrliste jede Minute einmal auf Aktualität überprüft. Acht Seiten wurden kürzlich entsperrt, wohl weil sie sowieso nicht mehr erreichbar sind.

Die Sperre ist leicht umgehbar

Vier Bekannte haben Damian zeitweise unterstützt, alle nah an der Volljährigkeit. Sie kennen sich aus dem Internet. Damian ist viel im Netz unterwegs. Er programmiert, seit er zwölf ist, hat es sich selbst beigebracht. Sein bekanntestes Programm, ServerSeeker, durchsucht das Internet nach Minecraft-Servern. Neben der Arbeit an cuiiliste.de – und der Schule – entwickelt er gerade einen Programmierkurs für Kinder.

Damian nutzt nach eigener Aussage keine der auf der CUII-Liste versammelten Seiten. Er käme aber problemlos an die Inhalte, die die CUII eigentlich gerne gesperrt wüsste. Dafür bräuchte es auch gar kein Skillset wie das von Damian.

Gesperrt sind nämlich nicht die Inhalte auf den Websites, sondern nur die Domains – Adressbezeichnungen wie cuiiliste.de. Die werden von DNS-Servern in die IP-Adresse der Website übersetzt, einen Zahlencode. Und die DNS-Server der CUII-Internetprovider verweigern bei den gesperrten Seiten die Arbeit. Aber es gibt zahlreiche weitere DNS-Server. Auf seiner Website zeigt Damian für jedes Betriebssystem Wege, wie man die DNS-Server der CUII-Mitglieder einfach umgehen kann.

Das ist nicht nur relevant für diejenigen, die ohne zu zahlen Filme und Serien schauen wollen, sondern auch für die wissenschaftliche Community. Unter den gesperrten Seiten befindet sich auch Sci-Hub, eine Plattform, die wissenschaftliche Aufsätze zugänglich macht. Die werden zwar meist staatlich finanziert, die Rechte liegen aber dennoch oftmals bei Wissenschaftsverlagen. Die verlangen für den Zugang oft hohe Preise.

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