BreakpointTikTok ist schuld, oder?

Warum ist die AfD gerade bei jungen Wähler:innen so erfolgreich? Politische Kommentator:innen suchen den Grund oft in Sozialen Medien. Doch das greift zu kurz und verkennt den Kern des Problems, findet unsere Kolumnistin.

Smartphone mit TikTok, wo mehrere Videos der AfD zu sehen sind.
Führt die Beliebtheit auf TikTok direkt zum Wahlerfolg? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Guido Schiefer | Bearbeitung: netzpolitik.org

TikTok ist schuld. Ja, Tiktok ist schuld an den erdrückenden Wahlerfolgen der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die Video-Creator:innen der AfD sind einfach so irrwitzig gut in dem, was sie tun, dass die anderen Parteien von Anfang an keine Chance hatten. So wie auch die bestechend ansprechenden Plakate der Nazis Anfang der 1930er Jahre schlichtweg so überzeugend waren, dass die Deutschen einfach NSDAP wählen mussten. Und zwar in ähnlicher Stärke wie heute die AfD bei den vergangenen drei Landtagswahlen.

So mächtig ist TikTok also geworden. So mächtig, dass es sich scheinbar kurzerhand von den Bildschirmen gelöst und die Menschen geradezu gewaltvoll dazu genötigt hat, Nazis zu wählen. Oder vielleicht hat es kurzerhand selbst einige Millionen Kreuze für die AfD gesetzt. Da machste nix. Oder?

Junge Menschen wählen rechts

Groß soll der Einfluss TikToks vor allem auf das Stimmverhalten junger Wählergruppen gewesen sein. Denn bei den Unter-24-Jährigen war die AfD besonders erfolgreich. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg schnitt die AfD in dieser Altersgruppe einige Prozentpunkte besser ab als in der gesamten Wähler:innenschaft und wäre bei jungen Wähler:innen demnach stärkste Kraft.

Und überall in der Republik, ob in Talkshows, Leitartikeln oder Kommentarspalten wundert man sich: Woran hat’s gelegen? TikTok – lautet oftmals die Analyse. Die AfD wisse die sozialen Medien nun mal für sich zu nutzen und die anderen Parteien eben nicht so sehr.

Lange wurde der Einfluss sozialer Medien auf die politische Meinungsbildung, insbesondere bei jungen Menschen, vernachlässigt. Bis der Politologe Johannes Hilje seine Untersuchungen zur Social Media-Strategie der Parteien veröffentlichte. Das Ergebnis: Die AfD sei auf TikTok erfolgreicher als alle anderen Parteien zusammen. Und seitdem kann TikTok gar nicht mehr oft genug als Grund für die Radikalisierung junger Menschen genannt werden.

TikTok würde Hitler wählen, oder?

Es ist richtig, dass populistische und rechtsradikale Inhalte auf TikTok großen Anklang finden. Aufmerksamkeit mit seinem Erfolg auf TikTok zog im Juni etwa der Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl, Maximilian Krah, auf sich. Doch der Content der AfD ist nicht der einzige, der auf TikTok millionenfach geklickt wird.

Aktuell trenden auf TikTok Clips mit Adolf Hitlers KI-generierter Stimme. Hitler selbst wird zur Ikone stilisiert und seine Verbrechen relativiert. Mal sind die Bilder dazu nicht mit dem Nationalsozialismus assoziiert und mal beziehen sie sich auf faschistische Motive wie etwa einen großen Eroberungskrieg in Europa. In den Kommentaren schwärmen die Fans vom „Führer“ oder vom „Maler“, wie sie den Diktator oftmals nennen. Eine Anspielung auf Hitlers gescheiterte Existenz als Künstler.

An der Oberfläche wird genug gekratzt

Diese Entwicklungen sind beunruhigend und gefährlich. Und sie haben großen Einfluss auf die politische Orientierung junger Menschen. Aber: Sie als Ursache für das rechte Wahlverhalten von Jungwähler:innen darzustellen, ist zu kurz gegriffen. Propaganda allein, ob über soziale Medien oder Wahlplakate, führt nicht dazu, dass über ein Drittel der jungen Wähler:innen Faschist:innen ihre Stimme gibt. Und ehrlich gesagt, wundert es mich überhaupt nicht, dass es dazu gekommen ist.

Jugendlichen wird oft vorgeworfen, sie würden sich zu sehr mit sozialen Medien beschäftigen. Ich finde, gerade müsste man diesen Vorwurf politischen Kommentator:innen machen. Denn während es richtig ist, dass der Erfolg der AfD auf TikTok und Co. bedeutend für ihren Anklang bei jungen Wähler:innen war, liegt das Hauptproblem tiefer.

Keine Politik für uns, keine Stimme für euch

In den vergangenen Jahren konnte man das Gefühl bekommen, die deutsche Bevölkerung bestünde nur aus Ü50-ern. Jugendliche jedenfalls schienen nicht teil des Volks zu sein, dass die Bundesregierung vertreten soll.

Investitionen werden zugunsten der Schuldenbremse aufgeschoben, der Klimaschutz sowieso. Dass Menschen, die heute die Schule abschließen, mal eine auskömmliche Rente erhalten werden, glaubt lange keiner mehr. Jeder Bildungsvergleich ist ein neuer Schock, obwohl es ja eigentlich niemanden überraschen dürfte, denn die schwarzen Zahlen sind ja wichtiger als die jungen Leute. Der Mindestlohn gilt noch immer nicht für Minderjährige, stattdessen steigen die Mieten für WG-Zimmer mit jedem Jahr weiter. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. Aber Hauptsache, das Dienstwagenprivileg bleibt bestehen.

Klar, nicht alles davon lässt sich in der Praxis direkt gegeneinander aufwiegen. Aber dennoch kommt bei jungen Menschen der Eindruck an, dass sie nicht wichtig sind bei der politischen Entscheidungsfindung.

72 Prozent der Jugendlichen sind überzeugt, dass sich Politiker:innen in Deutschland nicht viel darum kümmern, was Jugendliche denken. Und ganze 78 Prozent haben nicht das Gefühl, beeinflussen zu können, was die Regierung tut. Das zeigt eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Juli dieses Jahres.

Frust trifft auf Nährboden

Es ist fatal, wenn Menschen in einer Demokratie das Gefühl haben, dass ihre Vertreter:innen sich nicht für sie interessieren und dass sie deren Politik nicht beeinflussen können. Und es ist erstaunlich, dass dieses Ergebnis nicht wie der Skandal behandelt wird, der er ist.

Viele junge Menschen sind frustriert. Das zeigen zahlreiche Umfragen und ich erlebe es selbst täglich im Gespräch mit Gleichaltrigen. Es ist das Gefühl, dass es Volksvertreter:innen mehr um die Stimmen junger Menschen geht als um ihre Bedürfnisse. Das macht viele wütend. Wer den Erfolg der AfD stattdessen hauptsächlich mit ihrer TikTok-Strategie begründet, verkennt diesen Umstand.

Ja, es ist wichtig, dass demokratische Parteien ihre Social-Media-Präsenz verbessern, um mehr junge Menschen zu erreichen. Am Wichtigsten wäre jedoch, Politik für junge Menschen zu machen – eine Politik, die ihre Lebensrealitäten konkret verbessert und ihnen das Gefühl gibt, wahr- und ernstgenommen zu werden.

Denn ohne den richtigen Nährboden kann faschistische Propaganda nicht fruchten. Doch es sieht so aus, als hätten politische Entscheider:innen genau diesen geschaffen.

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