Nach GerichtsurteilWeniger Geflüchtete müssen ihr Handy durchleuchten lassen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf nach einem Gerichtsurteil nicht mehr einfach so Handys von Geflüchteten auslesen. Die Asylbehörde änderte daraufhin ihre Abläufe und zapfte seit März deutlich weniger Datenträger an. Doch das Innenministerium will mit einem neuen Gesetz noch mehr Daten abgreifen.

Ein Mann tippt auf einem Smartphone mit gesprungenem Display.
Für Asylsuchende sind Smartphones wichtige Werkzeuge. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Ralph Lueger

Seit dem Jahr 2017 mussten bereits Zehntausende Geflüchtete dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihr Handy über den Tisch reichen. Hatten sie keine gültigen Papiere bei sich, durften BAMF-Angestellte ihre digitalen Geräte auslesen, um später Hinweise auf Identität und Herkunft zu bekommen. Ob es Alternativen zu einem derart tiefen Eingriff in die Privatsphäre geben könnte, das prüfte das BAMF zuvor nicht. Daran hat sich nun etwas geändert.

Zunächst hatte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dieser Praxis im Februar dieses Jahres eine Absage erteilt. Geklagt hatte eine geflüchtete Frau aus Afghanistan. Anhand ihres Falles entschied das Gericht: Das BAMF hätte zuerst mildere Mittel prüfen müssen. Und die wären in dem konkreten Fall auch verfügbar gewesen. Die Klägerin konnte etwa eine Heiratsurkunde mit ihrem Namen vorweisen.

Was sich seitdem beim BAMF geändert hat, wollte die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger wissen. Die Bundesregierung antwortete auf ihre Kleine Anfrage, das BAMF habe „unverzüglich eine Verfahrensanpassung zum Auslesen von Datenträgern vorgenommen“. Vor dem Urteil hat die Behörde erst nach dem Auslesen geprüft, ob die erfassten Daten für das Asylverfahren überhaupt gebraucht werden. Diese Prüfung musste eine Person mit zweitem juristischen Staatsexamen unternehmen. Erst wenn sie positiv ausfiel, durften die BAMF-Mitarbeitenden die Ergebnisse der Auswertung sehen und nutzen. Sonst mussten sie gelöscht werden.

Zahlen gesunken: Offenbar wirkt das Urteil

Nun, so die Bundesregierung, erfolge diese Abwägung vor dem Auslesen der Daten. Wörtlich schreibt sie: „zum gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt des Herausgabeverlangens der Zugangsdaten zum Datenträger“. Ganz festgezurrt ist das neue Verfahren aber offenbar noch nicht. „Der Vorgang befindet sich derzeit noch in Abstimmung“, heißt es weiter.

Die Antwort der Bundesregierung lässt manche Fragen offen. Zum Beispiel verrät sie nicht, wie genau die Voll-Jurist:innen abwägen, ob Geflüchtete ihre Geräte auslesen lassen müssen. Bislang werden Datenträger schon direkt ausgelesen, wenn sich Geflüchtete registrieren und einen Antrag auf Asyl stellen. Sie haben so keine Möglichkeit, angehört zu werden und Informationen zu liefern, die ein Auslesen ihrer Daten überflüssig machen. Aus der Antwort der Bundesregierung geht nicht hervor, ob sich auch das geändert hat.

Zumindest in den Statistiken zeigt sich ein Abwärtstrend. 9.625 Geräte hat das BAMF demnach im ersten Halbjahr 2023 insgesamt ausgelesen, davon 6.097 jedoch bereits im Januar und Februar. Bezogen auf alle Asylsuchenden ohne gültige Papiere bedeutet das nach Berechnungen der Bundesregierung: Vor dem Urteil wurden die Datenträger von 10,6 Prozent dieser Personen ausgelesen, danach nur noch von 5,9 Prozent.

Eine weitere wichtige Zahl gibt an, was das Eindringen in die Geräte der Schutzsuchenden überhaupt gebracht hat. Auch in diesem Jahr sind die meisten Auswertungen nämlich nutzlos: 73,2 Prozent brachten im ersten Halbjahr „keine verwertbaren Erkenntnisse“, heißt es. Das kann etwa der Fall sein, wenn Personen das Gerät erst seit Kurzem nutzen oder sich ein Handy mit anderen teilen. In lediglich 1,9 Prozent der Fälle hat die Behörde in den Daten Widersprüche entdeckt, die sich nicht mit den Angaben der Schutzsuchenden deckten.

Innenministerium will noch mehr auslesen

„Das massenhafte Auslesen der Handys von Geflüchteten ist teuer, nutzlos und greift auf unverantwortliche Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein“, schreibt die Abgeordnete Clara Bünger gegenüber netzpolitik.org.

Währenddessen möchte das Bundesinnenministerium (BMI) die Auswertung ausweiten. Hierzu hatte das SPD-geführte Haus im August einen Diskussionsentwurf zu Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsgesetz vorgelegt. Darin steht der Vorschlag, nicht nur physische Datenträger, sondern auch Cloudspeicher auszulesen. Zwar teilt das BMI in dem Entwurf Auslesen und Auswerten in zwei separate, rechtliche Schritte auf. Unterm Strich stellt das Ministerium aber klar: „Das frühzeitige Auslesen von Mobiltelefonen zur Identitätsklärung einer Person ist auch weiterhin möglich.“

Bünger findet es „vollkommen falsch“, wenn auf diese Weise noch tiefer in die Privatsphäre von Asylsuchenden eingegriffen werden soll. Sie fordert: „Das Recht auf Datenschutz muss auch für Geflüchtete gelten!“ Die Bundesregierung solle daher die Auswertung von Handydaten ersatzlos abschaffen.

3 Ergänzungen

  1. > Zwar teilt das BMI in dem Entwurf Auslesen und Auswerten in zwei separate, rechtliche Schritte auf.

    Das ist interessant. Warum wird das Auslesen vom Geräten/Datenträgern vom Auswerten juristisch getrennt?
    Was bedeutet das in der Praxis für Betroffene bezügl. der Herausgabe/Beschlagnahme?
    Welche juristischen Hürden gelten für das Auslesen, und welche für das Auswerten?
    Was bedeutet das im gerichtlichen Verfahren?

    Ich würde mich freuen, wenn jemand einen fundierten Kommentar dazu hätte. Danke!

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