EU-Regeln für politische Online-WerbungDiese Schlupflöcher lauern

Politische Werbung im Netz wird transparenter, das ist gut. Besser wäre es, die EU hätte mit ihrer Verordnung auch bei zielgerichteten Anzeigen deutlichere Grenzen gezogen. So bleibt es weiter an der kritischen Öffentlichkeit, Manipulation und Desinformation aufzudecken. Eine Analyse.

Wie sich „KI“ eine digitale Wahlkampagne vorstellt – Public Domain Midjourney: A digital election campaign

Als ich gestern Abend durch meinen Instagram-Feed scrollte, musste ich stutzen. Ich sah eine Anzeige, die ziemlich gut auf mich zugeschnitten war. Ich wurde angesprochen als: Berliner, Gamer, Fantasy-Fan. Wenn ich mich selbst in drei Worte beschreiben müsste, würde ich andere wählen, aber die drei Eigenschaften sind definitiv richtig. Das allein ist nicht verwunderlich, Targeting auf Social-Media-Plattformen ist oft treffsicher. Was diese Anzeige vom Rest abhob: Sie hat mir gesagt, warum ich sie zu sehen bekomme und die drei Kritieren offengelegt.

Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung will mit der Anzeige für das Manipulationspotenzial von Targeted Advertising sensibilisieren. Erstaunlich treffsicher war auch das Timing. Denn in dieser Woche haben sich das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten auf eine neue Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung geeinigt. Der finale Text ist noch nicht öffentlich, doch erstmals gelten EU-weit dezidierte Regeln für Online-Wahlwerbung. Ein Meilenstein.

Nicht erst seit dem Skandal um Cambridge Analytica warnten Journalist:innen, Forscher:innen und Aufsichtsbehörden vor den Gefahren, die das Netz für demokratische Wahlen bedeuten kann. Datengetriebene Manipulation, zielgerichtete Desinformation und dreckige Kampagnen mit geheimen Geldgebern sind reale Probleme. Es ist gut, dass die EU ihnen begegnen will. Nur hätte man sich gewünscht, dass das Vorgehen schneller und entschiedener ausgefallen wäre.

Immerhin: Transparenz

Denn eins ist klar: Diese Verordnung kommt zu spät. Eigentlich wollte die Europäische Union mit ihren Regeln für politische Online-Werbung bereits die EU-Wahlen im nächsten Sommer schützen. Daran ist sie gescheitert. Ein Großteil der Regeln tritt erst 18 Monate nach Verabschiedung in Kraft, wenn es gut läuft also gerade noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2025. Bei anderen Regeln beträgt die Übergangszeit sogar zwei Jahre.

Gut ist, dass die Verordnung mehr Transparenz herstellt. Nicht nur muss Wahlwerbung in Zukunft als solche gekennzeichnet werden. Plattformen müssen auch Auskunft über die ausgewählten Targeting-Kriterien und die erreichten Zielgruppen geben. Parteien und Politiker:innen müssen zudem bekanntgeben, wer die Anzeigen geschaltet und wer dafür bezahlt hat. Überhaupt Anzeigen zu schalten wird künftig nur noch aus der EU heraus erlaubt sein.

Es ist ein echter Erfolg des Parlaments, dass die EU zudem ein verpflichtendes Transparenzregister einführen wird. Zwar betreiben einige Werbekonzerne wie Google und Meta schon länger selbst solche Datenbanken mit geschalteter Wahlwerbung, doch sind sie teils unvollständig und schwer zugänglich. Eine zentrale Übersicht über alle geschalteten Wahlkampfanzeigen wird es der kritischen Öffentlichkeit erleichtern, widersprüchliche oder regelwidrige Wahlwerbung aufzuspüren.

Targeting bleibt mit Zustimmung weiter erlaubt

Deutlich schwächer fällt die Verordnung beim Targeting selbst aus. Statt dieses drastisch einzuschränken, um zielgerichtete Manipulation und Desinformation zu verhindern, bleibt mit der Einwilligung der Betroffenen weiter vieles erlaubt. Dabei ist inzwischen hundertfach dokumentiert, dass Datenhändler und Plattformen genauso wie Mobilfunkbetreiber und Banken sich die begehrten Einwilligungen mit miesen Tricks erschleichen. Die EU bleibt trotzdem dabei: Wer zustimmt, darf auch gezielte Werbung gezeigt bekommen – wie es die Europäischen Datenschutzregeln vorsehen.

Da hilft es wenig, dass sensible Daten wie etwa über politische Ansichten, Gesundheit oder die sexuelle Orientierung für politische Zwecke tabu sind. Ein solches Verbot lässt sich oft leicht umgehen. So können Plattformen aus dem Verhalten von Personen Schlüsse über ihre persönlichen Eigenschaften und Schwächen ziehen, ohne explizit verbotene Kategorien zu nutzen. Außerdem können sie andere Kategorien als Ersatz nutzen. Wie das geht, haben wir vor wenigen Monaten in einer großen Recherche zu einem Datenmarktplatz gezeigt. So kann man etwa die Kategorie Herkunft recht zuverlässig umgehen, indem man für das Targeting die im Browser eingestellte Sprache nutzt.

Immerhin: Das Europäische Parlament hat offenbar diverse Schutzmaßnahmen in die Verordnung verhandelt, die für mehr Augenhöhe beim Kampf um die Einwilligung sorgen sollen. Die Zustimmung muss explizit erfolgen, darf also nicht hinter anderen Verarbeitungszwecken versteckt werden. Es dürfen keine Daten von Drittfirmen für politische Werbung genutzt werden. Und die Do-Not-Track-Funktion im Browser erlebt ein kurioses Comeback: Wer sie aktiviert, darf künftig nicht nochmal mit Einwilligungs-Bannern genervt werden.

Man darf gespannt sein, wie die Datenschutzbehörden die Einhaltung all dieser kleinteiligen Regeln konsequent durchsetzen werden – und welche Schlupflöcher die Datenindustrie sucht, um sie zu umgehen. Der sicherere Weg wäre gewesen, politisches Targeting klar zu verbieten oder zumindest die dafür nutzbaren Daten drastisch zu beschränken, etwa auf Alter, Geschlecht und Ort.

Wir brauchen kritische Öffentlichkeit

Das EU-Parlament wollte diesen strengeren Weg gehen, konnte sich in diesem Punkt jedoch nicht gegen die Mitgliedstaaten und die Kommission durchsetzen. Die Mitgliedsländer wollen die Datenindustrie offenkundig nicht zu stark an die Leine nehmen und sich selbst in den Möglichkeiten ihrer politischen Kommunikation nicht zu sehr einschränken lassen.

Es weiterer Grund ist aber wohl der bisweilen verengte Diskurs über die Resilienz demokratischer Wahlen. Man kann in der Debatte oft den Eindruck bekommen, als bestehe das Risiko lediglich in Manipulation durch russische Akteure oder andere ausländische Mächte. Doch die Gefahr für unsere Demokratie, sie lauert nicht nur im Äußeren. Trump, Brexit, AfD sind nicht das Werk Russlands. Auch in Europa fliegen immer wieder demokratisch gewählte Parteien und Politiker:innen mit Desinformation und fragwürdigem Targeting auf.

Kritiker:innen warnen zudem davor, dass auch die neuen Möglichkeiten sogenannter generativer Künstlicher Intelligenz zur Beeinflussung von Wahlkämpfen eingesetzt werden könnten, beispielsweise Manipulation mit synthetischen Bildern oder Desinformation durch automatisierte Anrufe. Das kann bereits für Verwirrung und Polarisierung sorgen, ohne dass die Nachrichten zielgerichtet eingesetzt werden. Datenbasiertes Targeting könnte die darin liegenden Gefahren weiter verstärken.

Es wird deshalb auch in Zukunft an kritischen Journalist:innen, wachsamen Nichtregierungsorganisationen, klugen Forscher:innen und engagierten Bürger:innen liegen, Missbrauch und Manipulation im Wahlkampf aufzudecken. Die neuen Transparenzregeln der EU können hierfür wichtige Werkzeuge sein. Schade, dass wir sie nicht schon im Wahljahr 2024 nutzen können.

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2 Ergänzungen

  1. > Wir brauchen kritische Öffentlichkeit

    Das lässt sich leicht so schreiben. Doch wie wird eine Öffentlichkeit kritischer?
    Und welche Voraussetzungen muss ein Mensch erfüllen, so dass er kritisch sein kann?

    Auch anders herum lässt sich gut fragen, wie es denn sein kann, dass kritische Urteilskraft so spärlich „in der Öffentlichkeit“ verteilt ist?
    Können die Leute nicht kritisch sein, oder wollen sie es nicht?
    Was hält die Menschen vom kritisch sein wollen ab?
    Das kritisch sein können?

    1. Kritisches Denken muss man lernen. Zum Beispiel in der Schule. Aber über die Lehrpläne in der Schule entscheidet die Politik. Und so ungefähr das Letzte, was die Politik – über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg – will, ist ein Wahlvolk, das des kritischen Denkens mächtig ist.

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