ChatkontrolleEU-Ausschuss fordert von Innenkommissarin Aufklärung über Lobby-Verflechtungen

Der Druck auf Ylva Johansson wächst. Nach den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu Lobby-Verflechtungen bei der Chatkontrolle fordert der Innenausschuss des Europäischen Parlaments jetzt Aufklärung.

Ylva Johansson
Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson steht nach Enthüllungen über Lobbyverflechtungen unter Druck. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ABACAPRESS

Der Innenausschuss des Europa-Parlaments (LIBE) fordert die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf, sich zu den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu äußern. Die Berichte hatten am vergangenen Montag offengelegt, wie IT- und KI-Firmen zusammen mit Stiftungen, NGOs, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen seit Jahren und unter Einsatz von Millionen von US-Dollar für die sogenannte Chatkontrolle lobbyieren.

Durch die Recherchen kam heraus, dass „ein ganzes Geflecht von Lobbyvereinen und Organisationen“, das allein von der Oak Foundation mit mehr als 20 Millionen Euro finanziert ist, enge Verbindungen unter anderem zur EU-Innenkommissarin Ylva Johansson pflegt. Vertreter:innen aus den Organisationen nahmen an Sitzungen teil und berieten die Innenkommissarin. Die wiederum war Protagonistin in einem Werbevideo einer Lobbyorganisation und zeigte sich bei einer PR-Aktion. Zudem ist ein Mitarbeiter von Ylva Johansson Mitglied in einer der Lobbyorganisationen und gleichzeitig im Innenkommissariat für die Chatkontrolle-Verordnung zuständig.

„Mögliche unzulässige Einflussnahme“

Im Brief an die Kommissarin, den wir im Volltext veröffentlichen, bringen die Koordinatoren des LIBE-Ausschusses ihre „Besorgnis“ über die Berichte zum Ausdruck. Die Medienberichte ließen auf eine „mögliche unzulässige Einflussnahme bei der Ausarbeitung des Vorschlags [Anm. der Red.: der Chatkontrolle-Verordnung] schließen“.

Besonders besorgniserregend seien die Behauptungen, dass die im Legislativvorschlag zur Bekämpfung von CSAM vorgesehenen Lösungen angeblich die von diesen Gruppen entworfenen Lösungen wiederholen und damit zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen beitragen, heißt es weiter in dem Brief.

Der Ausschuss bittet deswegen die EU-Innenkommissarin um „Klarstellungen und Erklärungen“ zu den Behauptungen – und fordert eine Antwort innerhalb von einer Woche.

Abstimmung vertagt

Johanssons Chatkontrolle-Verordnung hat derweil auch in den Verhandlungen des EU-Ministerrates einen schweren Stand. Eine kleine Gruppe EU-Staaten lehnt den aktuellen Gesetzestext zur Chatkontrolle ab. Weil die für diesen Monat geplante Abstimmung scheitern würde, hat die spanische Ratspräsidentschaft das Thema vertagt.


Hier der Brief aus dem PDF befreit:


  • Date: 28.09.2023
  • From: Juan Fernando López Aguilar, LIBE Committee
  • To: Ylva Johansson, Commissioner for Home Affairs

Dear Commissioner Johansson,

I am writing on behalf and by mandate of LIBE coordinators to express concern about recent reports published in press outlets that allegedly indicate a conflicts of interest with regard to the proposal for a Regulation laying down rules to prevent and combat child sexual abuse (2022/0155(COD)).

Those aforementioned media reports point to alleged close working relationships between the European Commission and a broad network of tech companies, foundations, security agencies and PR agencies, including Thorn and WeProtect Global Alliance, indicating possible undue influence in the drafting of the proposal.

Of particular concern are the allegations that the solutions laid down in the legislative proposal to fight CSAM supposedly replicate the solutions designed by those groups, contributing thereby to furthering their economic interests.

Therefore, I would kindly request to receive clarifications and explanations concerning the allegations described above. The LIBE coordinators would appreciate to receive a reply at your earliest convenience and ideally no later than one week from the receipt of this letter.

We consider that your cooperation and timely reaction to this request would benefit transparency and accountability, values that are at the heart of the European Union’s actions.

Yours sincerely,

Juan Fernando López Aguilar

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11 Ergänzungen

  1. Bei mir kommen da leichte Erinnerungen an „Augustus Intelligence“ hoch: ein Unternehmen mit engen Kontakten in die Politik, das „irgendwas mit KI“ macht, für einen Markt der noch gar nicht existiert und erst noch per Gesetz erschaffen werden muss. Nur war man hier anscheinend schlau genug den Umweg über eine NGO für den guten Zweck zu gehen – das Unternehmen das der NGO die Software bereitstellt ist dann allerdings doch wieder auf Gewinne aus.
    Ich habe mich ja sowieso immer gefragt warum zum Teufel es eine NGO wie „Thorns“ braucht, um Polizeiarbeit zu machen. Solche Aufgaben gehören in staatliche Hand, und wenn es da dann nicht reicht muss man eben das Budget erhöhen.

  2. Es tut trotzdem weh, dass so ein Vorhaben nicht frühzeitig aus Demokratiegründen in der Versenkung verschwunden ist.

    Einige US-Player, die nicht unbedingt die offizielle Linie der Regierung repräsentieren, sind vielleicht daran interessiert alle Daten zu kriegen, auf Weisen, die dort gegenüber der eigenen Bevölkerung illegal durchzuführen sind. Andere Länder zu dummen Sachen zu bewegen, von denen man dann profitieren kann… manch einer mag das sportlich sehen. Aber bei so einem Vorhaben mitmachen, und die eigene Bevölkerung zu verkaufen… finde ich für Parlamentarier, egal ob national oder EU, schon ziemlich rattenscharf. Da möchte man doch gleich zubeißen, als demokratische Katze, versteht sich…

  3. Statt
    „Johanssons Chatkontrolle-Verordnung hat derweil einen schweren Stand auch in den Verhandlungen des EU-Ministerrates.“
    eher
    „Johanssons Chatkontrolle-Verordnung hat derweil auch in den Verhandlungen des EU-Ministerrates einen schweren Stand .“

  4. So ist es halt in einer kapitalistischen Welt. Da ist es auch verständlich warum „CSAM“ ununterbrochen ausgeweitet wird. Je mehr Fälle es gibt, oder Möglichkeiten sich strafbar zu machen, umso mehr Bedarf an entsprechender Software und Überwachungsstrukturen wird es geben.

    Es geht nicht um Kinderschutz. Man braucht einfach einen Grund seine Technik zu verkaufen.

  5. Tja. Was das wieder für ein Licht auf die Europa-Bürokraten wirft.

    Und das üble Geschmäckle bleibt, dass neben den reinen Verflechtungen auch eine Menge Geld in diskreten Umschlägen und Köfferchen klimpert und vermutlich noch viel mehr knistert.

  6. Das Verhalten passt doch genauso zum Verhalten von Politik und Presse, wenn es um die Ausbeutung der tausenden Leiharbeiter durch Google in der EU geht.

    Das Thema mag ebenfalls niemand anfassen.

    Selbst die informierten Abgeordneten des EU-Parlaments gehen auf Tauchstation. Der volkswirtschaftliche Schaden geht in die Mrd. und die Gewinne fließen gen Google. Die Mitarbeiter werden willkürlich ohne Gehaltsbezug auf die Straße gesetzt. Und nichts passiert.

    Hat sich jemand schon einmal die Frage gestellt, aus welchem Grund Google, Facebook und Co. derzeit bei Firmen wie Cognizant, Teleperformance, Tech Mahindra, Majorel (ex Bertelsmann) und Co. die widerrechtlich ausgelagerten Arbeitsplätze der Inhaltskontrolle hochfahren?

    Anscheinend rechnen die Interessierten Kreise sehr wohl damit, dass die Chatkontrolle kommt. Zwar wird die nach drei, vier Jahren vom EuGH gestutzt aber bis dahin ist die KI erst einmal mit Daten angelernt worden.

    Das Juncker-Prinzip.

    Mehr Infos zur Ausbeutung der Google Leiharbeiter unter der Kampagnenseite:
    https://weact.campact.de/p/google

    Das selbst der ÖRR bei der Ausbeutung der Leiharbeiter durch Google in der EU wegschaut, dürfte deutlich zeigen, wohin die Reise geht:
    https://www.firmenpresse.de/pressinfo2065234.html

    Schade, dass manche Bürger seit Jahren in der EU gegen Konzerne wie Google und deren Auftragnehmer auf einsamen Posten gegen die seit dem Jahr 2018 bekannte Ausbeutung kämpfen, und niemanden interessierts:
    https://www.gofundme.com/f/bitte-um-unterstutzung-gegen-ausbeutung

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