Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hätte die Handydaten einer afghanischen Geflüchteten weder auslesen noch auswerten dürfen. Das sagt das Bundesverwaltungsgericht in einer heutigen Entscheidung. Damit steht die langjährige Praxis der Asylbehörde in Frage.
Seit 2017 darf das BAMF die Handys Geflüchteter auslesen, wenn sie keinen gültigen Pass oder Passersatzpapiere vorlegen können. Das BAMF macht das standardmäßig bei allen Geflüchteten ohne Papiere und speichert die Auswertungsberichte auf Vorrat. Im Asylverfahren kann es diese Informationen dann nutzen, um nach Hinweisen auf die Identität und das Herkunftsland der Antragstellenden zu suchen. Die Praxis ist umstritten, schon während des Gesetzgebungsprozesses äußerte etwa die frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) griff die Praxis der Datenträgerauswertung im BAMF vor Verwaltungsgerichten an. In einem von drei Verfahren entschied das Verwaltungsgericht Berlin bereits 2021: Die Durchsuchung des Handys einer afghanischen Geflüchteten war rechtswidrig. Das BAMF legte Revision ein, die das Bundesverwaltungsgericht nun zurückwies.
Andere Mittel standen zur Verfügung
„Die Auswertung digitaler Datenträger zur Ermittlung von Identität und Staatsangehörigkeit eines Ausländers ist erst zulässig, wenn der Zweck der Maßnahme, bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Anordnung, nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann“, heißt es in der Pressemitteilung des Leipziger Gerichts. Das war bei der Klägerin aus Afghanistan laut dem Gericht nicht erfüllt. Das BAMF erkannte in seiner bisherigen Praxis nur einen Pass oder gleichwertige Papiere als ein solches milderes Mittel an. Diese Praxis wird das Bundesamt nach der heutigen Entscheidung nicht fortführen können.
Es hätten bei der Klägerin andere Mittel zur Verfügung gestanden, so das Gericht. Dazu gehörten etwa Heiratsurkunde, Registerabgleiche und Nachfrage beim Sprachmittler zu sprachlichen Auffälligkeiten. „Damit erweist sich die an die Klägerin gerichtete Aufforderung, ihre Zugangsdaten für die Auswertung ihres Mobiltelefons mitzuteilen, als unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig“, so das Gericht weiter.
Lea Beckmann hat das Verfahren für die GFF koordiniert. Die Anwältin sagt zu der Entscheidung: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist ein großer Erfolg für den Datenschutz und die Privatsphäre von Geflüchteten. Es ist klar rechtswidrig, dass das BAMF Handydaten auf Vorrat auswertet. Diese Praxis muss jetzt aufhören.“
Was das Urteil bedeutet
Das Leipziger Gericht entschied nicht darüber, ob es generell rechtmäßig ist, die Handys von Geflüchteten auszuwerten. Es bezieht sich lediglich auf die jetzige Praxis des BAMF, die Handydaten von Geflüchteten schon vor einer Anhörung auf Vorrat zu speichern, sofern diese keine Papiere vorlegen können. Für den Anwalt Matthias Lehnert ist das noch nicht alles: „Wir sind zudem überzeugt, dass das Auslesen von Handys nicht mit der Datenschutzgrundverordnung und der EU-Grundrechte-Charta vereinbar ist. Für uns ist deshalb klar: Das BAMF muss die Handydatenauswertungen vollständig einstellen.“
Mit dieser Vereinbarkeit könnte sich noch eine andere Stelle beschäftigen, denn zusätzlich zu den Klagen legte einer der Kläger auch Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragten ein. Dieser hat dazu bisher noch nicht entschieden.
Offenlegung: Die Autorin des Texts hat in Zusammenarbeit mit der GFF die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ erstellt. Die Co-Autorin Lea Beckmann koordiniert die Klage- und Beschwerdeverfahren zur Handydatenauswertung des BAMF.
Besser wäre es, wenn alle Verfahren der Handydatendurchwühlung für Geflüchtete (und alle anderen) ganz gestoppt werden würde, aber darauf braucht man wohl kaum zu hoffen. Trotzdem erst mal eine erfreuliche Sache, da sich der Staat mit seinen Überwachungswerkzeugen immer gerne als erstes an Menschen vergeht, die in besonders prekärer und wehrloser Lage sind – seien es Geflüchtete, Hartz4-Empfänger:innen (heißt jetzt anders, ist aber exakt das selbe) und nun auch an Student:innen in Geldnöten mit dem BundID-Zwang.