tatütata.failPolizei nimmt Straftaten im Netz nicht ernst

Hakenkreuze bei Telegram, Mordaufrufe auf Facebook – strafbare Inhalte, könnte man meinen. Manche Polizist:innen der Länder nehmen das Problem aber nicht ernst, wie ein Test des ZDF Magazin Royale zeigt.

jan böhmermann sitzt an einem tisch. neben ihm ist eine deutschlandkarte eingeblendet mit ländergrenzen
Zwei Jahre hatte die Redaktion des ZDF Magazin Royale recherchiert. – Alle Rechte vorbehalten ZDF Screenshot

Mittlerweile sollte allen klar sein: Wer Hass und Hetze im Internet verbreitet, macht sich womöglich strafbar. Allein bei deutschen Polizeien scheint die Botschaft nicht ganz angekommen zu sein. Das ZDF Magazin Royale hatte dazu ein Experiment durchgeführt und in allen 16 Bundesländern Anzeige wegen mutmaßlich strafbarer Inhalte im Netz gestellt. Nur von elf der 16 Behörden kam die Rückmeldung, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. In drei Ländern wurden die Anzeigen laut dem Satiremagazin gar nicht erst aufgenommen.

Anonymität oft nicht erwünscht

Die Ergebnisse des Experiments zeigen vielerorts mangelndes Problembewusstsein für Hassrede im Internet. In Sachsen-Anhalt etwa verweigerte ein Polizist die Aufnahme einer Anzeige und fragte, ob die anzeigende Person „keine anderen Sorgen“ habe. Stattdessen solle sie die Inhalte bei den jeweiligen sozialen Netzen melden. In Bremen wiederum ließ sich keine Anzeige erstatten, da das Computersystem ausgefallen war. Erst nach einer Nachfrage zwei Monate später wurden offenbar Ermittlungen aufgenommen.

Auch das Aufgeben anonymer Anzeigen war laut dem Magazin oft nicht möglich. In Brandenburg etwa sei die Beamtin in der Polizeiwache schockiert gewesen über den Inhalt der Hasspostings, hätte aber keine anonyme Anzeige aufnehmen wollen. Auch in Schleswig-Holstein blieb laut Böhmermanns Sendung der Wunsch nach anonymer Anzeige unerfüllt. Der dortige Polizist habe behauptet, die Adresse könne man sich „eh vom Einwohnermeldeamt geben“ lassen. Mittlerweile wird in mehreren Ländern wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt.

Redakteur:innen des ZDF Magazin Royale hatten in allen Bundesländern mutmaßlich strafrechtlich strafbare Inhalte der jeweiligen Landespolizei vorgelegt und versucht, diese zur Anzeige zu bringen. Die Personen zeigten den Behörden Screenshots, etwa von Hakenkreuzbildern, Morddrohungen oder antisemitischen Inhalten in sozialen Netzwerken. Der weitere Verlauf wurde anschließend dokumentiert. Bislang scheinen nahezu alle Fälle eingestellt oder versandet zu sein, in lediglich einem Fall kam es zu einer Verurteilung des Täters.

Faeser: „Noch mehr Aufklärung“

Die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft auf die Mängel in der Strafverfolgung ließen nicht lange auf sich warten. So kommentierte Irene Mihalic, grüne Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion: „Wenn wir bei der Strafverfolgung in der analogen Welt die gleichen Zustände hätten wie im Netz, müssten Innenminister reihenweise zurücktreten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte der ARD, sie habe die Recherche „mit großem Interesse gesehen“. Ermittlungsbehörden vor Ort müssten „geschult werden“. Dafür will die SPD-Politikerin „noch mehr Aufklärung“.

Personen des öffentlichen Lebens teilten vielfach die Erfahrungen, die in dem Experiment geschildert wurden. Der Comedian Shahak Shapira etwa habe angesichts von Morddrohungen gegen seine Mutter von einer Staatsanwältin den Rat bekommen, sich nicht „so prominent in den Medien“ zu äußern. Der Satiriker positioniert sich im Netz offen gegen Rechtsextremismus.

Expert:innen kritisieren immer wieder mangelnde Aufklärung über digitale Hassrede und Gewalt und gehen von einem weiteren Anstieg der Fälle aus. Sie fordern unter anderem eine funktionierende Strafverfolgung. Immer wieder führt Hass im Netz zu realer Gewalt, etwa im Fall Walter Lübcke. Der Kasseler Regierungspräsident wurde massiv im Internet angefeindet und 2019 von einem Rechtsextremen ermordet. Besonders von digitalem Hass betroffen sind laut Studien Migrant:innen und Politiker:innen.

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13 Ergänzungen

  1. > in lediglich einem Fall kam es zu einer Verurteilung des Täters.

    Wenn ich dem Link folge, steht da nichts von einer Verurteilung.

    1. danke für den Hinweis! Der Link führte zum Bericht von Hessen, die Verurteilung eines Täters wird allerdings auf der Seite zu Baden-Württemberg thematisiert. Wir haben das angepasst.
      Viele Grüße

      1. Kein Problem. Vielleicht sollte man den Teil eures Artikels aber mal komplett überarbeiten. Auch in Bayern gibt es einen Fall, der zu einer Verurteilung führte. „in lediglich einem Fall“ ist daher auch nicht korrekt.

        1. Das stimmt, allerdings war das derselbe Täter. Von den sieben verschiedenen Fällen kam es also, wie im Artikel beschrieben, in lediglich einem zur Verurteilung des Täters.

  2. Vor ein paar Jahren habe ich auch die Erfahrung machen müssen, dass man das null ernst nimmt.

    Ich wurde sogar auf die Hauptwache gerufen um dann von einem Kriminalen Täter-Opfer-Umkehr miterleben zu müssen und mir wurde dann drohend klar gemacht, ich soll aufhören, die Dienststelle mit unnötigem Mist zu überfluten und … dann kamen sogar rassistische Anspielungen.

    Nein, ich habe damals nichts gemacht, auch keine Anklage erhoben, weil – mir wurde ja schon das Wort im Mund herumgedreht, aus mir Täter gemacht, samt strukturellem Rassismus.

    Ist nichts Neues.

    Die Polizei vor Ort hat bei uns nicht mal eine Anzeige wegen Stalking mit gewalttätigem Übergriff aufgenommen, wir mussten dann zum Amtsgericht pilgern, die haben uns dann ernst genommen.
    Die Polizei meinte zu meiner Frau: „Gehen se halt woanders einkaufen.“ und „Sind se halt mal ein bisschen mutiger.“ und „Der ist bekannt, der macht nix.“

    Obwohl er was gemacht hatte.

    Ich habe noch nie Vertrauen in die deutsche Polizei gehabt.

  3. Das ist ja eben das Problem, die Behörden kommen schon jetzt ihrer Aufgabe nicht nach. Zusammenarbeit zwischen den Ländern funktioniert bis heute nicht. Die Anhänge bei Onlineanzeigen scheitern am Datenschutz. Da man keine Landeseigenen Rechenzentren betreibt. Dann sorgt die Politik mit einer grundlegenden Überwachung für noch mehr Arbeit. Bürgerrechte weiter beschneiden, wenn Rechtsstaatliche Dinge nicht funktionieren.

    1. Und mit Gesetzen die wahlweise schwammig oder übermäßig kriminalisierend daherkommen.

      Schön ist das nicht…

      1. Gerade kam noch ein Urteil von vor 14 Jahren rein, irgendwas mit Urheberrecht?

        Wenn das mal vergleichbar ist… die Basis für das Urteil ist doch längst weg, und dann kommen die mit „geeigneten Maßnahmen“? Im Geiste ist unser Digitalhirn auch 1. 14 Jahre alt und 2. aus den 90ern oder sowas.

  4. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat nach jahrelangen Ermittlungen ein Verfahren gegen 57 mutmaßliche Mitglieder des deutschen Ku-Klux-Klans eingestellt. Darunter war auch ein Verdächtiger aus Mayen.

    Drei Jahre sind seit einer großen Razzia der Polizei in acht Bundesländern vergangen. 200 Beamte hatten damals, im Januar 2019, Wohnungen von 17 Menschen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Niedersachen, Sachsen-Anhalt und Thüringen durchsucht.

    Nachgewiesen werden konnte den Beschuldigten nach den jahrelangen Ermittlungen allerdings offenbar wenig Belastbares. Die Stuttgarter Staatsanwältin Stefanie Ruben teilt auf Anfrage des SWR mit, das Hauptverfahren gegen die insgesamt 57 Beschuldigten sei eingestellt worden.

    Es habe keinen „hinreichenden Tatverdacht“ gegeben, um Anklage zu erheben. Die Staatsanwaltschaft konnte nach eigenen Angaben nicht mit Sicherheit feststellen, ob die „National Socialist Knights of the Ku-Klux-Klan“ vorhatten, Straftaten zu begehen oder ihre rassenideologischen Ziele mit Gewalt umzusetzen.

    https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/kuklux-klan-mayen-ermittlungen-eingestellt-100.html

    1. Die Stuttgarter StA hat einen Punk-Versand dafür mit Prozessen wegen Verbreitung von NS-Symbolen überzogen…es ging um Sticker, auf denen ein Hakenkreuz in die Tonne geworfen wird.

      Das Ergebnis des Versuchs sähe vermutlich anders aus, wenn die angezeigten Taten gegen Rechts gewesen wären.

      1. ja, zum Runterladen ist der direkte Link zum mp4 bequemer (obwohl es vom ZDF mit einem Browser-Addon auch geht).
        Man kommt zu dem DL-Link auch über https://mediathekviewweb.de/#query=magazin%20royale – dann muss man halt wissen, dass es die Sendung vom 2022-05-27 war. Hier gibt es auch unterschiedliche Auflösungen.
        Am bequemsten haben es natürlich die Menschen, die sich https://mediathekview.de/ installiert haben (gibt es für alle Plattformen!).
        Und wenn nach einem Jahr das ZDF gezwungen ist, die Sendung zu entfernen, ist man immer noch nicht auf Google angewiesen. Es gibt eine Reihe von Proxies, die YT-Inhalte ohne Googles Spitzelei ausliefern: https://redirect.invidious.io/. Ich verwende meistens https://yewtu.be, also hier https://yewtu.be/watch?v=Xdm8SG8_v0I (einfach den Code des YT-Links übernehmen).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.