Antisemitismus findet sich mühelos auf jedem untersuchten sozialen Netzwerk, lautet eines der Ergebnisse einer aktuellen Studie. Besonders extreme Inhalte tauchen vor allem auf Diensten mit laxen Moderationsregeln wie 4chan oder Telegram auf. Dabei vermengen sich oft uralte Mythen mit neueren Verschwörungserzählungen, etwa rund um das Coronavirus oder 5G-Mobilfunk.
„Dass Antisemitismus im Jahr 2021 immer noch auf jeder Plattform mit wenigen Klicks und den plattesten Vorurteilen als Suchbegriffe zu finden ist, ist ein Armutszeugnis“, sagt Simone Rafael, Leiterin des Digital-Bereichs der Amadeu Antonio Stiftung, in einer Pressemitteilung. Die deutsche Stiftung hat die umfassende Studie gemeinsam mit der britischen Organisation Hope not Hate und der Expo-Stiftung aus Schweden durchgeführt.
In mindestens 120 Telegram-Gruppen sei das sogenannte „Manifest“ des rechtsextremen Massenmörders von Christchurch verbreitet worden, geht etwa aus der Studie hervor. Auf dem Videodienst Tiktok seien mit Hashtags wie #rothschildfamily oder #soros versehene Inhalte im letzten Halbjahr rund 25 Million Mal angesehen worden. Und auf dem Fotodienst Instagram gebe es Millionen an Resultaten für die Illuminaten, ebenfalls eine altgediente antisemitische Verschwörungserzählung. Die meisten antisemitischen Beschimpfungen finden sich laut der Untersuchung auf /pol/, einem Unterforum des kaum moderierten 4chan.
Langsames Umdenken
Lange Zeit hatten sich viele Online-Dienste dagegen gesträubt, gegen solche Inhalte vorzugehen und sich dabei auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Inzwischen hat bei den großen Anbietern ein Umdenken eingesetzt. So kündigte etwa Facebook im Vorjahr an, Holocaust-Leugnungen künftig löschen zu wollen. Das scheint sich der Studie zufolge in den Zahlen niederzuschlagen, wenn auch nur moderat.
Selbst auf sozialen Netzen, die mehr moderieren würden, ließen sich antisemitische Inhalte problemlos auffinden. Zudem seien einige der großen Anbieter „absolut zentral“ bei der Entstehung und Verbreitung von Verschwörungsideologien gewesen. Darunter fällt etwa die QAnon-Bewegung, die erst klein auf dem Nischenforum 8kun begonnen hatte, sich schließlich aber auf Facebook und Twitter rasant verbreitete. Inzwischen entfernen die beiden Mainstreamdienste solche Inhalte, wenn auch mit durchwachsenem Erfolg.
Im gesamten Tech-Sektor durchgreifen
„Es ist eigentlich unglaublich, dass wir trotz zehnjähriger Versuche, Hassrede auszurotten, auf jeder von uns untersuchten Social-Media-Plattform Antisemitismus finden konnten“, sagt Joe Mulhall, Leiter der Recherche Rechtsextremismus bei Hope not Hate. So konnte eine neue Generation von Social-Media-Nutzer:innen antisemitische Ideen online kennenlernen, mit denen sie sonst kaum in Berührung gekommen wären.
Weil die sozialen Netzwerke zu langsam reagiert hätten, gebe es nun auf allen Netzwerken Online-Räume, in denen Antisemitismus blüht, sagt Mulhall, mit „tragischen und langandauernden Effekten für die Jüdinnen und Juden, die davon bedroht werden“. Er fordert eine klare Zusage von den Anbietern, Antisemitismus endlich von den Plattformen zu verbannen, und zwar „im ganzen Tech-Sektor“.
Kritik am Staat Israel muss trotzdem weiterhin möglich bleiben. Die Politik dieses Staates gegenüber den Palästinenensern ist indiskutabel und gehört von der Weltgemeinschaft zurecht gerügt!