Leitstelle und SchiffeEU-Kommission rüstet Überwachung in Libyen weiter auf – und sorgt sich um ihren Ruf

Aus Mitteln der Entwicklungshilfe finanziert die EU eine verlegbare Radaranlage für die libysche Küstenwache. Die für ihre Brutalität bekannte Truppe will damit Geflüchtete bei einer Überfahrt nach Europa aufspüren. Abgefangen werden sie dann mit drei neuen Patrouillenbooten.

Das Bild zeigt ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache, das den Weg eines voll besetzten Schlauchbootes kreuzt, dem wiederum ein Schlauchboot der Küstenwache folgt.
Libysche Küstenwache beim Abfangen eines Bootes mit Geflüchteten am 19. Februar 2022. Pilotes Volontaires

Seit 2017 investiert die Europäische Union in die verstärkte Überwachung der libyschen Seegrenzen. Im Rahmen des Projekts „Unterstützung des integrierten Grenzmanagements und der Migrationssteuerung in Libyen — SIBMMIL“ wurde Italien beauftragt, ein maritimes Koordinationszentrum in der Hauptstadt Tripolis zu installieren und eine Seenotrettungszone festzulegen, in der seitdem die libysche Küstenwache zuständig ist.

Die Einrichtung der Leitstelle finanzierte die EU zunächst mit 42 Millionen Euro aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika, für eine zweite Phase des Projekts wurden weitere 15 Millionen Euro bewilligt. Allerdings konnten weder die EU-Kommission noch der EU-Rat mitteilen, wo sich die Anlage befindet. Es ist also unklar, wofür das Geld ausgegeben wurde und wo die angeschaffte Ausrüstung verblieben ist.

Überwachungstechnik im Container

Im Dezember hat die italienische Marine weitere Technik zur Überwachung der Seegrenzen nach Libyen verschifft. Sie basiert auf insgesamt zehn Containern, ihre Lieferung erfolgte an die militärische Küstenwache in Libyen, die zur Marine gehört. Die meisten Container beinhalten Wohneinheiten, einer beherbergt die neue Leitstelle zur Seenotrettung. Der italienischen Zeitung Altreconomia zufolge wird sie entlang der Küste eingesetzt und an Überwachungssysteme der libyschen Marine auf dem Stützpunkt Abu Sitta in Tripolis angeschlossen. Dort ist auch Italiens Marine stationiert.

Das Bild zeigt mehrere graue Container, auf denen eine Antenne montiert ist.
Die mobile Leitstelle besteht aus Überwachungstechnik und Wohneinheiten. - RI Group

Die Ausstattung des Containers mit Überwachungs- und Kommunikationstechnik übernahm die aus Italien stammende Firma ELMAN. Die installierten Radaranlagen stammen von GEM elettronica aus Italien. Sie wird laut Altreconomia zu 30 Prozent vom italienischen Rüstungsgiganten Leonardo gehalten, der Konzern verfügt zudem über eine Kaufoption zur Übernahme der Kontrolle über das Unternehmen. Zur Ausrüstung gehören Systeme zum Empfang von Notfall- und Warnmeldungen von Inmarsat aus Großbritannien sowie Funkgeräte der Firma Rohde & Schwarz aus Deutschland.

Laut Altreconomia geht die Lieferung auf eine Kooperation zwischen der Grenzpolizei des italienischen Innenministeriums und einer Beschaffungsagentur zurück, die zum Verteidigungsministerium gehört. Gemäß einer im Oktober 2021 geschlossenen Vereinbarung ist die Agentur seitdem auch für Vorhaben in Ländern außerhalb der EU zuständig. Einer der Aufträge erfolgte zur Ausrüstung der libyschen Küstenwache mit weiteren „Mitteln und Materialien“.

EU-finanzierte Patrouillenboote bis zum Sommer einsatzbereit

Über das SIBMMIL-Projekt erhält Libyen außerdem drei neue Patrouillenboote. Sie wurden in der Werft der Firma Cantiere Navale Vittoria in Venetien gebaut und stehen kurz vor der Auslieferung. Zum Auftrag gehörte die Modernisierung eines weiteren Schiffs, das Italien bereits an Libyen geliefert hatte. Außerdem liefert die Werft fünf Motoren und Kommunikationsausrüstung an „Marineeinheiten“ der libyschen Seepolizei.

Laut Henrike Trautmann, die bei der EU-Kommission in der Generaldirektion „Nachbarschaftspolitik“ tätig ist, sollen die drei Patrouillenboote bis zum Sommer einsatzbereit sein. Außerdem bezahle die EU die Aufarbeitung von zwei weiteren Schiffen für die Küstenwache. Noch im Februar würden diese „in Gegenwart libyscher Behörden“ in Italien getestet.

Die EU-finanzierten Schiffe sollen „ausschließlich der Unterstützung von Such‐ und Rettungseinsätzen“ dienen, schreibt der für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi. Allerdings ist unklar, wie diese Verwendung kontrolliert werden soll. Ihr Betrieb dürfte jedoch mindestens mittelbar in Kooperation mit der EU-Grenzagentur Frontex erfolgen, die 2018 ihre Luftüberwachung vor der libyschen Küste in Betrieb nahm. Alle gesichteten Boote wurden seitdem an die EU-finanzierte Leitstelle in Tripolis gemeldet.

„Narrativ und Ruf der EU weiter beschädigt“

Das System ist aus Sicht der EU erfolgreich: 2021 wurden mindestens 32.425 Menschen von der libyschen Küstenwache abgefangen und in menschenunwürdige Lager in Tripolis gepfercht, unter ihnen 1.500 Minderjährige. Gegenüber 2020 hat sich diese Zahl beinahe verdreifacht. Gleichzeitig werden die Schiffe der Rettungsorganisationen von Italien weiterhin an der Ausfahrt gehindert. Über 1.500 Menschen sind deshalb laut der Internationalen Organisation für Migration im vergangenen Jahr im Mittelmeer ertrunken.

Eigentlich sollte der Nothilfe-Treuhandfonds der EU, aus dem Italien die Ausrüstung der libyschen Küstenwache finanziert, die Ursachen irregulärer Migration angehen. Tatsächlich werden die Gelder für ein neues Abschreckungsregime genutzt. Die libysche Küstenwache ist für ihre brutalen Übergriffe gegenüber Geflüchteten bekannt, mehrfach wurden zudem private Seenotretter:innen bedroht und beschossen.

In einem Dokument zu dem SIBMMIL-Projekt schreibt auch die Kommission, dass die Behandlung von Geflüchteten bei Such- und Rettungsaktionen verbessert werden müsse. Ansonsten könnte „das Narrativ und der Ruf der EU weiter beschädigt werden“.

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