Die Bundesregierung kommt der Einführung des Warnsystems „Cell Broadcast“ einen weiteren Schritt näher. Das Bundeskabinett hat sich dazu gestern auf eine „Formulierungshilfe“ zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) geeinigt. Wird es vom Bundestag beschlossen, können alle Mobilfunktelefone, die in einer bestimmten Mobilfunkzelle eingebucht sind, mit einer Textnachricht vor einem bevorstehenden Ereignis gewarnt werden. Das System ist nicht an bestimmte Rufnummern gebunden, jedoch muss der Empfang von „Cell-Broadcast“-Nachrichten auf einigen Handys manuell aktiviert werden.
Der Standard von „Cell Broadcast“ ist vom 3rd Generation Partnership Project (3GPP), in dem sich weltweite Standardisierungsgremien zusammengeschlossen haben, definiert. Demnach kann der anfangs nur in GSM-Netzen verfügbare Dienst nunmehr auch mit LTE und 5G genutzt werden. „Cell-Broadcast“-Nachrichten umfassen nur maximal 93 Zeichen. Die neueste Spezifikation erweitert dies auf 1.395 Zeichen, indem insgesamt 15 fortlaufende Nachrichten zu je 93 Zeichen versandt werden können. Zusätzlich gibt das Handy einen Alarmton aus und vibriert, auch wenn es stummgeschaltet ist.
Erweiterung auf 1.395 Zeichen
Im Mai hatte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bereits eine Machbarkeitsstudie zur Einführung von „Cell Broadcast“ beauftragt, deren Ergebnis noch diesen Monat vorliegen soll. Laut heise.de hat sich das Bundeswirtschaftsministerium hierzu bislang als „Bremser“ betätigt. Die jüngste Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat jedoch dafür gesorgt, dass die Bundesregierung die Technik nun schnell auf den Weg bringen will.
Das BBK erarbeitet derzeit mit den Mobilfunknetzbetreibern Anforderungen an ein solches System. Anschließend soll die Bundesnetzagentur eine entsprechende technische Richtlinie für das deutsche „Cell Broadcast“ erstellen. Unter anderem müssen die Firmen eine Schnittstelle in ihre Netze einrichten. In weniger als einem Jahr soll die Technik schließlich startklar sein.
Allerdings muss im Telekommunikationsgesetz noch geregelt werden, wer einen derartigen Alarm auslösen darf.
Empfang von Warnungen bislang nur nach Anmeldung
Bislang warnen deutsche Behörden ausschließlich Menschen, die das auch wollen, vor bevorstehenden Ereignissen. Das BBK betreibt dazu die Informations- und Nachrichten-App „NINA“, die zehn Millionen Abonnent:innen haben soll. Mehrere Bundesländer sowie Bundesbehörden betreiben außerdem die vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) entwickelte App „Katwarn“, die neben Katastrophenwarnungen auch über Bombenfunde und andere Ereignisse informiert. Auf Wunsch kann eine Katwarn-Nachricht auch per Mail oder SMS erfolgen. In Deutschland soll das System über rund 3,8 Millionen Nutzer:innen verfügen.
„Katwarn“ wird in der Europäischen Union als „EUWARN“ vermarktet, allerdings ist das vom ehemaligen EU-Kommissar Günther Oettinger symbolisch am 11. September 2019 gestartete System bislang kaum verbreitet.
Jede Meldung, die Behörden von Bund und Ländern über „NINA“, „Katwarn“ und andere Warn- oder Wetter-Apps verteilen, wird über das „modulare Warnsystem des Bundes“ (MoWaS) eingegeben. Das Format und die Einstufung der „Meldungskategorien“ soll dem internationalen „Common Alerting Protocol“ (CAP) entsprechen, das entsprechende Standards vorschlägt. Derzeit haben mit dem Bundesinnenministerium, dem BBK, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Deutschen Wetterdienst vier Einrichtungen des Bundes „schreibenden“ Zugriff auf das MoWaS. Über den Zugang des BBK versendet außerdem das Gesundheitsministerium Informationen zur Corona-Lage.
EU-Richtlinie von 2018
Mit den Apps wird nur ein kleiner Teil der Bevölkerung erreicht, außerdem sind die Meldungen nicht grundsätzlich ortsgebunden. Deshalb hatten sich die EU-Mitgliedstaaten 2018 auf die Einführung von niedrigschwelligen Bevölkerungswarnungen geeinigt. Einzelheiten dazu sind in der Richtlinie für einen „europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation“ (EECC-Richtlinie) festgelegt. Welches Verfahren die Mitgliedstaaten dabei einsetzen, bleibt ihnen überlassen.
Zu den Vorgaben gehört aber, dass sich die Empfänger:innen wie bei „Cell Broadcast“ für eine Benachrichtigung nicht bei Behörden oder Firmen anmelden oder registrieren müssen. Der EU-Kodex regelt auch, wer eine Katastrophenwarnung erhalten soll. Als notwendigerweise Betroffene gelten demnach alle Personen, die sich im fraglichen Zeitraum „in den möglicherweise von den drohenden oder sich ausbreitenden größeren Notfällen und Katastrophen betroffenen geografischen Gebieten“ befinden. Diese Gebiete sollen von den zuständigen Behörden bestimmt werden.
Mit der nun beschleunigten Einführung von „Cell Broadcast“ setzt die Bundesregierung also letztlich nur die EECC-Richtlinie um. Am 21. Juni 2022 endet die Frist, zu der alle Mitgliedstaaten ein solches Warnsystem eingeführt haben müssen.
Warnungen auch durch Polizei?
Laut der Richtlinie sollen die Behörden nicht erfahren können, wer die Meldung erhält. Der Dienst darf für die Empfänger:innen außerdem nichts kosten. Möglich wäre aber, dass die Netzanbieter oder die Betreiber von Basisstationen – ähnlich wie bei dem Versand technisch eigentlich trivialer SMS – von den Behörden Geld für die verteilten Nachrichten verlangen. In Deutschland soll dies jedoch kostenlos sein. Vergangene Woche hatte das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt, dass die deutschen Mobilfunknetzbetreiber nach derzeitigem Stand keine Lizenzgebühren für den Betrieb von „Cell Broadcast“ erheben wollen.
Schließlich schreibt die EECC-Richtlinie vor, dass die EU-Kommission die Einrichtung eines unionsweiten öffentlichen Warnsystems prüfen soll. Dann könnten die zuständigen Behörden vor „größeren Notfällen“ in verschiedenen Mitgliedstaaten warnen. Die Formulierung lässt offen, ob es sich dabei auch um polizeiliche Meldungen, etwa bei einem Anschlag, handeln könnte.
Einige Polizeien in EU-Mitgliedstaaten und im Schengen-Staat Schweiz haben außerdem Apps zum „Predictive Policing“ eingeführt, die einen möglicherweise bevorstehenden Einbruch ankündigen. „KatWarn“, das nach dem Willen der EU-Kommission zukünftig EU-Standard werden soll, bindet solche Meldungen beispielsweise im Bundesland Nordrhein-Westfalen bereits ein. Diese beruhen allerdings auf statistischen Prognosen und nicht auf Tatsachen.
Da sind sie aber mal wieder ganz früh dran. Ist ja nicht so dass das schon ganz viele andere Länder benutzen: https://de.wikipedia.org/wiki/Cell_Broadcast#Beispiele
Hat auch noch den Vorteil, dass es Lastspitzen besser aushält, siehe gescheiterter Warntag: https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilschutzsignale#Bundesweiter_Warntag
Ich hab seit ein paar Monaten die NINA App und kann verstehen, warum die App sich nicht wirklich durchsetzt. Da sind eigentlich immer mindestens 3Daierwatnmrldungen für Corona und meistens ein bis zwei Warnmeldungen wegen bevorstehenden Gewittern. Bei dem Daueralarmismus ignorier ich die Meldungen mittlerweile meistens.
Ich hoffe es wird untersagt das Werbung auf diesem Weg versendet wird?
Seit einigen Tagen bekomme ich auf mein Samsung beim Betreten eines Supermarktes oder neulich eines Zuges eine 12 stellige Ziffern unter CB-Nachrichten zugeschickt ohne Absender.
Das nervt natürlich.
Ich finde jedoch nur Anleitungen wie man dieses CellBoardcast ausschalten kann, aber nicht was das soll.
Soll das vielleicht das System schon mal vorsorglich töten, in dem man die Bürger nervt und die CB deaktivieren?
Sept. 2020: Bundeswarntag zeigt, dass deutschlandweit sämtlich Katastrophenwarnsysteme versagen. Der Verantwortliche Bundesinnenminister Seehofer identifiziert als Sündenbock BBK-Chef Christoph Unger, den er hochkantig rauswirft.
Nov. 2020: Als Nachfolger installiert Horst Seehofer Armin Schuster, einen Parteisoldaten, der dem Innenminister in NSU-Ausschuß und der Geheimdienst-Kontrollkommission den Rücken freigehalten hat.
August 2021: Armin Schuster genießt seinen wohlverdienten Urlaub, während Deutschland absäuft. Keines des Warnsysteme funktioniert, weil Herr Schuster es in einem knappen Jahr nicht geschafft hat, Warnsysteme auf den Weg zu bringen. Oder wenigstens Governance und Prozessketten, damit im Katastrophenfall die Verantwortlichen zügig aktiviert und informiert werden können. Und damit wenigstens klar ist, wer etwa Warnungen über Radio und Fernsehen auslösen kann.
18 August 2021: Das Bundeskabinett beschließt, bis zum Herbst 2022 in Deutschland Cell Broadcast zu aktivieren. Die Technik ist bei allen Providern lange verfügbar, und kostet im schlimmsten Fall 26 Mio Euro – wenn die Provider nicht zwangsverpflichtet werden oder den Dienst als eigenen Beitrag zum Retten von Menschenleben gratis oder zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen. Egal, die Bundesregierung muss erst einmal prüfen und bewerten und Informationen einholen.
Herbst 2022: Wenn die Verantwortlichen keinen neuen Ausreden finden, wird – wie schon lange in fast allen anderen Ländern dieser Erde – die Bevölkerung in Deutschland per SMS vor Katastrophen gewarnt. Jedenfalls in Gegenden, wo es schon Mobilfunk gibt.
Weswegen werden nicht – wenigstens zusätzlich – diese alten ‚Kriegs‘-Sirenen beibehalten?
Ich habe oft mein Handy ausgeschaltet.
Selbst, wenn es vibrieren würde, bekomme ich es nicht mit, sollte es in einem anderen Raum liegen.
Was ist mit Schwerhörigen oder Menschen, die immer noch ein Handy haben und kein Smartphone?
Ich würde mich über ein Update-Artikel zu Cell Broadcast freuen, denn nach Medienberichten von WirtschaftsWoche soll die deutsche Implementierung nur ab iOS 16 oder Android 11 funktionieren. Die Artikel geben aber keinerlei Gründe dafür an, denn eigentlich ist das ja ein 20 Jahre alter Standard.
Auf Twitter gab es das Gerücht, das es an 4 statt 3 Stellingen IDs liegt. Andere entgegnen aber das 4 stellige kein Problem seien: https://twitter.com/WIStudent/status/1528102910751559681
https://twitter.com/HonkHase/status/1528263371577077761
Würde mich über eine Einordnung freuen, ist der Wiwo Artikel falsch?