Hallo,
die größte netzpolitische Lobbyschlacht der 20er Jahre hat ihren ersten kleinen Höhepunkt erreicht. Die EU-Kommission hat nach Jahren der Vorbereitung und Lobbying heute ihre beiden Gesetzesentwürfe für das Digital-Services-Paket veröffentlicht. Das Gesetzespaket besteht aus zwei Teilen: Das Digitale-Dienste-Gesetz und das Digitale-Märkte-Gesetz sollen einen faireren Wettbewerb gegen Konzerne wie Google, Facebook und Amazon ermöglichen.
Alexander Fanta und Tomas Rudl haben für uns eine erste Analyse der heute präsentierten Gesetzesentwürfe geschrieben: EU-Kommission schlägt Plattformgrundgesetz vor.
Es ist noch recht früh, um alles in diesen vielen Seiten Papier/PDF genau analysiert und verstanden zu haben. Der Teufel steckt bei solchen komplexen Gesetzespaketen häufig im Detail und die dazugehörige Pressekonferenz mit zwei Kommissar:innen war an vielen Stellen auch nicht erhellender.
Gut ist, dass die bestehenden Regeln der e-Commerce-Richtlinie aus dem Jahre 2000 endlich mal ein Update erhalten. Damals war Google eine kleine Suchmaschine, Amazon verkaufte Bücher und Facebook war nicht mal gegründet. Es war seinerzeit auch nicht absehbar, dass es später mal solche Tech-Riesen geben würde, die zwischen bestehenden Regulierungen ihre Wege durchsurfen und ihre Marktmacht massiv ausbauen konnten.
Auf den ersten Blick positiv sieht es hier aus:
Jetzt soll es besondere Regeln für marktdominante Unternehmen geben, wobei die EU-Kommission hier die Grenze bei 45 Millionen Nutzer:innen im europäischen Binnenmarkt setzt.
Diese Unternehmen sollen auch verpflichtet werden, Schnittstellen für eine interoperable Kommunikation zu Wettbewerbern zu ermöglichen. Konkret könnte das Whatsapp verpflichten, eine Schnittstelle für alternative Messenger wie Signal oder Threema bereitstellen zu müssen. Wie das genau passieren soll, ist bisher noch unklar.
Forscher:innen und Regulierungsbehörden sollen einen besseren Zugang zu den Daten der Plattformen erhalten, auch um deren Agieren besser unabhängig überprüfen zu können. Das fordern wir seit langem, denn es gibt bisher eine riesige Machtasymmetrie: Die Tech-Riesen wissen durch den Zugriff auf die eigenen Daten und ihren großen Forschungsabteilungen sehr genau, welche Wirkungen ihre Werkzeuge wo haben. Eine effektive Kontrolle ist bisher nicht möglich gewesen, da musste man darauf vertrauen, dass die PR-Abteilungen schon nicht lügen. Das ist damit vergleichbar, dass Zigarettenhersteller im 20. Jahrhundert über die Zusammensetzung ihrer Produkte und damit verbundene Krebsrisiken sehr genau Bescheid wussten, der Öffentlichkeit davon aber nichts sagen wollten.
Es soll mehr Wettbewerb auf App-Märkten ermöglicht werden, möglicherweise werden so auch bessere Regeln gegen vorinstallierte Apps auf Smartphones und Tablets geschaffen.
Auf den ersten Blick sieht das nicht so gut aus:
Es soll einen europäischen Ausschuss für digitale Dienste mit Koordinierungsstellen in jedem Mitgliedsstaat geben. Für die Durchsetzung soll jeweils die Koordinierungsstelle des Landes zuständig sein, in dem das betreffende Unternehmen seinen EU-Sitz hat. Das sind vor allem Irland und Luxemburg. Das wird so ähnlich auch schon in der EU-Datenschutzgrundverordnung gehandhabt, läuft aber eher nicht so zufriedenstellend. Diese Staaten sind natürlich nicht besonders motiviert, weil sie von den Arbeitsplätzen und Steuern der Konzerne profitieren und die eigenen Regulierungsbehörden daher nicht ausreichend ausstatten. Auch wenn die EU-Kommission bei großen Unternehmen das letzte Wort haben möchte, könnte das die Achillesferse dieses Gesetzespaketes werden.
Die Tech-Konzerne sollen zudem selbst untersuchen, ob sie systemische Risiken für unsere Gesellschaften enthalten. Klingt wie eine Schnapsidee, ich hab den Sinn noch nicht so ganz verstanden, einen Tabakkonzern selbst untersuchen zu lassen, ob man vielleicht Risikoprodukte herstellen könnte. Und erst anschließend zu ermitteln, ob das so korrekt war.
Einen weiteren Aspekt zum Umgang mit algorithmischen Entscheidungssystemen hat sich Chris Köver angeschaut: Neues Grundgesetz für Onlinedienste nimmt Algorithmen ins Visier.
Die EU-Kommission will die Macht der Online-Konzerne bändigen und nimmt dabei auch deren Empfehlungsalgorithmen in den Blick. Wer Facebook und Twitter nutzt, soll künftig besser steuern können, was im eigenen Feed erscheint. Auch die Forschung soll etwas mehr Einblick bekommen.
Was heute schon klar ist: Das wird die größte Lobbyschlacht der kommenden Jahre werden. Die Europäische Union wird sich im Gesetzgebungsprozess auf einheitliche Regeln einigen müssen. Die Tech-Konzerne werden ihre riesigen Lobbyressourcen dafür einsetzen, Zwietracht zu sähen und ihre eigenen Interessen durchzusetzen.
Wir bleiben dran und werden dieses Gesetzespaket auch die kommenden Jahre sehr intensiv begleiten.
Kurze Pausenmusik:
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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl und Ingo Dachwitz unterstützt.
Neues auf netzpolitik.org
Eine schöne Story hat Leonard Kamps recherchiert, er hat untersucht, wie aktuell die Datenschutzerklärungen auf den Webseiten aller Bundestagsmitglieder sind: 289 Bundestagsabgeordnete scheitern am Datenschutz.
Gut 40 Prozent der Bundestagsabgeordneten verweisen auf ihren Websites immer noch auf das vom EuGH gekippte Privacy Shield. Das zeigt eine Datenanalyse von netzpolitik.org. Die Seiten haben kuriose, peinliche und teils illegale Datenschutzmängel.
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Ingo Dachwitz hat sich neue Pläne für den Ausbau der Videoüberwachung an Bahnhöfen, insbesondere am Berliner Südkreuz, angeschaut: Seehofer will wieder mit Videoüberwachung experimentieren.
Die Deutsche Bahn investiert im großen Stil in den Ausbau der Überwachung von Bahnhöfen. Bundesweit sollen tausende neue Kameras installiert werden. Das Berliner Südkreuz soll als „Sicherheitsbahnhof“ erneut zum Labor für neue Technologien werden.
Was sonst noch passierte:
Politico zeichnet die Rivalität zwischen dem französischen Kommissar Thierry Breton und der dänischen Vize-Kommisisonspräsidenten Vestager nach: How Vestager and Breton collided over Europe’s digital agenda.
Demnach prallen zwei verschiedene Führungsstile aufeinander, Breton ist eher durch seine früheren Industriejobs auf Top-Down eingestellt, die ranghöhere Vestager hat in der dänischen Politik das Schmieden von Kompromissen gelernt. Dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf die Art der Regulierung. Vestager möchte einen einheitlichen Wettbewerbsrahmen schaffen, während Breton geopolitisch mehr auf digitale Souveränität achtet, was auch zu einem Streit hinter den Kulissen geführt hat, als NVIDIA den britischen Chip-Hersteller ARM übernehmen wollte. Interessanter Nebenaspekt: In dem Artikel findet man (ohne Adblocker) ganze 13 Anzeigen von Facebook, wo dieses dafür wirbt, wie es Regierungen in der Corona-Pandemie hilft.
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Die Linke Fraktion im Europaparlament (GUE/NGL) hat eine Studie zur Regulierung von Vermietungsplattformen wie Airbnb in Auftrag gegeben: Report into Airbnb impact on cities calls for strong EU rules to protect housing. Hier gibt es die Studie (PDF).
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Die e-Patientenakte soll bald starten, aber Forscher:innen haben „IT-Sicherheitslücken in Praxen“ gefunden. Darüber berichtet BR-Recherche. Die Forscher:innen konnten Arztbriefe, Diagnosebefunde, Röntgenbilder und mehr finden, „was ja im Zweifelsfall eine komplette Historie der Krankheitsgeschichte der Patienten darstellt“.
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Der Video-Blogger Knossi (Jens Knossalla) ist mit der Abzocke von Menschen reich geworden, weil er auf Videoplattformen für Online-Glücksspiel wirbt. Spiegel-Online fragt tatsächlich, was sein Erfolgsrezept ist, das halte ich für etwas verantwortungslos: Die bizarre Welt von König Knossi. Zu dem Thema hatte das ZDF Neo Magazin von Jan Böhmermann vor drei Wochen ausführlich berichtet und sein „Erfolgsmodell“ kommentiert. Hier gibt es davon ein Video.
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Viele Bildungspolitiker:innen liebäugeln gerade mit Microsoft-Lösungen von der Stange, weil man das ja schon immer (also die vergangenen 20-25 Jahre Monopol) gekannt hat. Die Futurezone berichtet darüber, wie Microsoft for Education eine gute Lösung zum Ausspionieren von Schüler:innen ist: Kritik an Überwachung in Microsoft Teams für Schüler und Studierende.
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Gute Nachrichten von Signal: Der Datenschutzfreundliche Messenger bietet jetzt auch verschlüsselte Gruppen-Video-Calls. Mehr wird im Blog erklärt: Adding Encrypted Group Calls to Signal. Derzeit sind fünf Teilnehmer:innen möglich, an mehr wird derzeit noch gearbeitet.
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Die Corona-Warn-App läuft jetzt auch auf älteren iPhones, konkret auf den Reihen 5s, 6 und 6plus. Apple hat dafür ein Update der älteren Betriebssystemversion iOS 12.5 veröffentlicht, dass diese Geräte kompatibel macht. Bevor sich jetzt jemand wieder beschwert, warum das nicht auf noch älteren iPhones läuft: Die haben gar nicht die genutzte Bluetooth Low Energy – Technologie eingebaut, da hilft dann auch kein Softwareupdate.
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Der Tagesschau-Moderator Jan Hofer hat gestern nach 36 Jahren seine letzte Sendung moderiert. Damit war er für viele meiner Generation das Gesicht der Tagesschau, weil der einfach immer da saß, zumindest seit Boris Becker in Wimbledon und Tschernobyl. Im Interview mit dem Deutschlandfunk reflektiert Hofer seine Karriere und erzählt, dass er zukünftig aus dem Home-Studio weitersenden will. Hier gibt es seine letzten Minuten in der gestrigen Tagesschau zu sehen. Ich werde seine Stimme vermissen.
Video des Tages: Wo kommen die vielen Nazis im Osten her?
Die ARD-Dokumentation beleuchtet die Frage „Rechts und Radikal – Warum gerade im Osten?“ und findet Antworten. Die Nazis gab es schon in der DDR und wurden dort trotz antifaschistischer Staatspropaganda teilweise geduldet. Auf den Nährboden konnte dann vieles nach der Wende gedeihen.
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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Eine schöne neue Wortkreation aus alter und neuer Sendung ist da entstanden, das muss ich mir merken. ;-)
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