Zensurheberrecht: Internet Archive steht in Russland vor der Sperre

Das Internet Archive ermöglicht seinen Nutzer*innen weltweit den Zugriff auf große Mengen von Medien und auf Milliarden gespeicherte Internetseiten. Wegen einer Urheberrechtsklage könnte es in Russland nun zur Sperrung der gesamten digitalen Bibliothek führen. Es wäre nicht das erste Mal.

Server vom Internet Archive
„Wo sind die russischen Nutzer*innen?“ – wenn Urheberrechtsklagen zur Einschränkung des Zugriffes auf Wissen führen. (Symbolbild) CC-BY 2.0 Jason Scott

Das Internet Archive, eine der weltweit beliebtesten Websites, könnte durch eine Gerichtsentscheidung Mitte September in Russland komplett gesperrt werden. Die russische „Organisation zum Schutz des digitalen Urheberrechts“ (AZAPI) hatte Anfang des Jahres die Veröffentlichung von zwei Hörbüchern durch das Internet Archive vor Gericht gebracht. Das Gerichtsverfahren in Moskau könnte nun in der kompletten Sperrung der digitalen Bibliothek enden. Nutzer*innen in Russland würden den Zugriff auf die weltweit größte und in ihrer Form einzigartige digitale Bibliothek verlieren.

Internet Archive ist ein 1996 gegründetes gemeinnütziges Projekt, das als reines Webarchiv startete und in den USA mittlerweile offiziell als Bibliothek anerkannt ist. Neben der sogenannten Wayback Machine, mit der man über 340 Milliarden archivierte Websites betrachten kann, bietet das Archiv Zugriff auf Millionen Textdokumente, Bücher, Filme, Bilder und Software. Das Internet Archive versteht sich nicht nur als Archiv, sondern auch als aktivistische Plattform für ein freies und offenes Internet.

AZAPI vertritt in Russland unter anderem die Rechte von Autor*innen. Dazu gehören angeblich auch die Rechte für die Hörbücher des Romans „Metro 2033“ von Dmitry Glukhovsky und „Third Eye Diamond“ von Daria Dontsova. Diese waren laut AZAPI von Internet Archive zu Verfügung gestellt worden, ohne eine Erlaubnis der Rechteinhaber*innen einzuholen.

Ob AZAPI die digitale Bibliothek formell um eine Löschung bat, ist nicht bekannt. Letztendlich landete der Fall um „Metro 2033“ im Mai vor dem Moskauer Stadtgericht. Dort wurde Internet Archive durch einen Beschluss zunächst dazu angewiesen, die Ermöglichung des Zugriffs auf das Hörbuch zu unterlassen.

Einschränkung des freien Wissenszugriffs

RosKomSvoboda, eine russische Nichtregierungsorganisation zum Schutz der digitalen Rechte von Nutzer*innen, vertritt Internet Archive in dem Fall. Wie die Organisation berichtete, war das Internet Archive vom Moskauer Gericht weder angehört, noch über die Entscheidung informiert worden.

Während RosKomSvoboda nun Berufung gegen das Urteil einlegt, geht AZAPI einen entscheidenden Schritt weiter: Weil Internet Archive auch das Hörbuch von „Third Eye Diamond“ veröffentlicht habe, verlangt AZAPI vor dem Moskauer Stadtgericht nun die russlandweite, komplette Sperrung der Seite. Weil AZAPI bisher nicht beweisen konnte, dass es die Rechte am Hörbuch von „Third Eye Diamond“ besitzt, wurde die Entscheidung auf den 21. September verschoben.

RosKomSvoboda zufolge sind das Internet Archive und seine Wayback Machine nicht nur eine wichtige Quelle für russische Journalist*innen, Forscher*innen und Politiker*innen, die dort auf gelöschte oder Zensur zum Opfer gefallene Seiten zugreifen können. Es diene auch vielen Schiedsgerichten als zuverlässige Beweisquelle im Streit um digitale Inhalte und würde nicht selten während einer Gerichtsverhandlung aufgerufen. Mit ihrer Anfrage auf eine komplette Sperrung würde AZAPI also mehr Schaden anrichten, als ihr bewusst sei.

Internet Archive hat Erfahrung mit Sperrungen

Internet Archive ist bereits in der Vergangenheit gesperrt worden. 2015 waren russische Internet-Service-Provider von der Staatsanwaltschaft dazu aufgefordert worden, die Domain zu blockieren, weil die russische Polizei eine einzelne, sich auf der Domain befindende Seite als terroristisch eingestuft hatte. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor setzte daraufhin das gesamte Internet Archive auf seine Liste zu sperrender Internetseiten: Angeblich sei es den Providern wegen der Anwendung von HTTPS-Verschlüsselung nicht möglich, nur eine Seite der Domain sperren zu lassen.

Russland ist wiederum nicht der einzige Staat, in dem das Internet Archive auf einer Zensurheberliste ist. Auch in Indien war das Internet Archive 2017 wegen Urheberrechtsverstößen blockiert worden. Dabei ging es um Urheberrechtsklagen von Filmproduktionsfirmen aus Bollywood.

Das Internet Archive wäre nicht die erste gesperrte Website in Russland. Im Jahr 2012 trat ein Internet-Zensur-Gesetz in Kraft, mit dem angeblichen Schutz vor Kinderpornografie und Drogen Seiten blockiert werden können. Seiten mit verbotenen Inhalten kommen auf eine Sperrliste. Die Sperrung durch Internet-Provider wird von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor überwacht. 2014 kam ein Gesetz hinzu, das Blogs mit mehr als 3.000 täglichen Leser*innen dazu verpflichtet, sich bei der Presseaufsichtsbehörde zu melden und ihnen verbietet, „extremistische“ Inhalte und „Online-Propaganda“ zu verbreiten.

Die Gesetze sind breit gefasst und werden, wie vorauszusehen war, auch gegen Kritiker*innen der Regierung von Präsident Wladimir Putin eingesetzt. 2017 wurden täglich 244 Seiten blockiert, es häufen sich kleinlich anmutende Aufforderungen, bestimmte Facebookseiten oder Twitteruser*innen in Russland zu sperren und es werden Maßnahmen angedroht, sollten gewisse Videos nicht von YouTube gelöscht werden.

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