Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.
Seit 1. Mai 2019 gelten neue Regeln für öffentlich-rechtliche Anbieter im Netz. Und auch wenn Anachronismen wie das Verbot presseähnlicher Angebote weiterhin Teil des sogenannten „Telemedienauftrags“ sind, gibt es doch auch große Verbesserungen im neuen Rundfunkstaatsvertrag. Zum Beispiel dürfen ab sofort auch ARD, ZDF und Deutschlandradio reine Online-Angebote unabhängig vom linearen Programm entwickeln. Bislang durfte das nur das öffentlich-rechtliche Jugendangebot funk.
In meinem diesjährigen re:publica-Vortrag (Video) beschäftige ich mich jedoch quasi ausschließlich mit einer anderen kleinen Änderung, die große Potentiale für ein zeitgemäßeres Angebot der Öffentlich-Rechtlichen im Netz liefert: ab sofort gibt es mehr Verlinkungsfreiheit. Bislang durften Verlinkungen nur „der unmittelbaren Ergänzung, Vertiefung oder Erläuterung eines Eigeninhalts“ dienen. Seit 1. Mai 2019 stehen nur noch Verlinkungen zu Kaufaufforderungen sowie „Verlinkungen ohne redaktionelle Prüfung“ auf der Negativliste jener Dinge, die öffentlich-rechtlichen Angeboten im Netz verboten sind.
Pünktlich zum Start der neuen Regeln haben auch ZDF-Intendant Thomas Bellut und ARD-Vorsitzender Ulrich Wilhelm in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der ZEIT skizziert, wie sie mit diesem mehr an Verlinkungsfreiheit ein öffentlich-rechtliches Netzwerk erlebbar machen wollen:
- „eine engere Vernetzung von ARD- und ZDF-Inhalten“
- „das Öffentlich-Rechtliche im Internet als einen großen, durchlässigen und intelligenten Kosmos“, inklusive des Jugendangebots funk, Deutschlandradio, 3sat, Phoenix und Arte
- „Wer den Tatort in der ZDFmediathek sucht, wandert ohne Hürden zum ARD-Krimi“
- „Zugang über ein Log-in kann ein gemeinsamer werden“
- „Angebote mithilfe datengetriebener Individualisierung zu personalisieren“
- „die Idee einer digitalen Infrastruktur für Europa mit transparenten Algorithmen und einem auf europäischen Werten basierenden Datenschutz“
- „eine eigene Infrastruktur für Plattformen in Europa“
Wie ich in einem Beitrag für epd Medien ausgeführt habe, sind es genau solche Vorschläge, die zur Entstehung öffentlich-rechtlicher Netzwerkeffekte und damit zu Relevanz und Reichweite im Netz beitragen. Für ein öffentlich-rechtliches Ökosystem braucht es aber mehr als die bloße Vernetzung bestehender öffentlich-rechtlicher Angebote. In meinem re:publica-Vortrag versuche ich Antworten auf drei diesbezüglich entscheidende Fragen zu skizzieren, die alle auf eine größere Offenheit der Öffentlich-Rechtlichen hinauslaufen:
1) Was bedeutet Verlinkung auf technisch-organisatorischer Ebene?
Die Gruppe um Jan-Hendrik Passoth am Digital Media Lab der TU München forscht bereits seit längerem intensiv zur Frage (z.B. hier), welche Infrastruktur für eine bessere Vernetzung öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz erforderlich ist. Die Bandbreite reicht von Schnittstellen über eine Vereinheitlichung von Metadatensystematiken bis hin zu gemeinsamer Hardware für schnelles Streaming.
Diese Infrastruktur aufzubauen, vor allem aber, sie kontinuierlich weiterentwickeln und zu managen, wird ohne neutralen Dienstleister nicht klappen. In der Organisationsforschung ist das, worauf es hinausläuft, ein dezentrales aber dennoch strategisches Netzwerk. Eines der bekanntesten strategischen Netzwerke auf horizontaler Ebene – das heißt, mit Partnern die eigentlich im Wettbewerb zueinander stehen – ist die Star Alliance. Auch da haben sich zu Beginn ein paar zentrale Airlines vernetzt. Schnell hat man begriffen, dass diese Vernetzung aber Verstetigung braucht und eine Service GmbH gegründet. Keine Holding, aber einen gemeinsamen Dienstleister, eine Art neutrale Vermittlungs- und Datensammelstelle. Erst diese Struktur hat es ermöglicht, weitere Partner aufzunehmen und zu wachsen.
Analog zur Star Alliance wird es für eine nachhaltige Kooperation unabhängiger Rundfunkanstalten auch neue Dienstleister brauchen, etwa ein gemeinsames Data Center für Datenaustausch und Schnittstellenmanagement. Gerade weil es eben nicht nur um einen einmaligen Abgleich sondern um einen dauerhaften Abstimmungs- und Weiterentwicklungsprozess im Bereich digitaler Medieninfrastruktur geht.
2) Was ist mit anderen gemeinnützigen Angeboten?
Ein starkes öffentlich-rechtliches Ökosystem braucht aber auch mehr als die bloße Vernetzung der öffentlich-rechtlichen Angebote untereinander. Es muss auch offen für Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Anbietern und Plattformen sein. Auch hier tut sich etwas. Das ZDF hat gerade mit ZDFKultur ein reines Online-Angebot in Kooperation mit über 30 Kultureinrichtungen aus Deutschland gestartet. Gleichzeitig ist hier das Problem, dass schon der Name „ZDFKultur“ es etwa den ARD-Anstalten schwermacht, dabei mitzutun. Auch wenn man sie dazu einlädt. Da steht das alte Silo-Denken dem Netzwerkgedanken noch im Weg.
Ökosystem heißt aber immer auch Geben und Nehmen: nicht nur Inhalte anderer gemeinnütziger Partner übernehmen, sondern diesen auch eigene Inhalte zur Verfügung stellen. Dazu passt einerseits das kürzlich in dieser Reihe veröffentlichte Plädoyer, die Öffnung und offene Lizenzierung von Archivinhalten als Investition in die digitale Zukunft zu verstehen. Warum stellt nicht jede Anstalt jährlich „1.000 Stunden für das Internet“ frei zugänglich und offen lizenziert ins Netz? So eine Initiative würde andererseits auch dazu führen, dass öffentlich-rechtliche Inhalte (endlich) auch auf offenen und gemeinnützigen Plattformen wie der Wikipedia stattfinden und nicht nur auf kommerziellen Plattformen wie YouTube und Facebook.
3) Was ist mit dem Publikum?
Auf Perspektive braucht es aber nicht nur eine größere Offenheit für Kooperationspartner, sondern auch eine stärkere Offenheit gegenüber dem Publikum. Wenn es ein gemeinsames Login gibt und damit jeder und jede registrierte Nutzer:in über ein Profil verfügt, warum dann nicht schrittweise Social-Media-Funktionen implementieren? Warum nicht in einem ersten Schritt den registrierten Nutzer:innen erlauben, öffentliche Playlists ihrer öffentlich-rechtlichen Lieblingsinhalte anzulegen und mit anderen zu teilen? Das ist bei Spotify mit Playlists schon lange möglich. Warum soll nicht eine Geschichtslehrerin ihre Lieblingsdokus kuratieren und anderen frei zugänglich machen können? Warum dürfen Eltern nicht Playlists mit ihren Lieblingskinderserien austauschen?
Am Ende dieser Entwicklung könnte eine „Public Media Option“, eine öffentlich-rechtliche Alternative zu YouTube für die Veröffentlichung nutzergenerierter Inhalte stehen. Gerade angesichts immer strengerer Regeln für den Upload nutzergenierter Inhalte – Stichwort Upload-Filterpflicht – dürfte der Bedarf nach solchen Plattformen stärker werden.
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