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Trotz europaweiter Proteste stimmte eine Mehrheit der EU-Abgeordneten für die umstrittene Reform des Urheberrechts. Abgesehen von der Kritik an Upload-Filtern kommentiert Markus Beckedahl, dass die Reform falsche Antworten für eine veränderte digitale Welt bietet, denn sie zementiert die Rechte großer Verwerter und nur weniger Urheber:innen. Gegner:innen der Reform reagierten nach der Abstimmung mit spontanen Demonstrationen, aber auch mit Ernüchterung.
In Europa gibt es noch andere Möglichkeiten, um große Plattformen zu regulieren, darunter die ePrivacy-Verordnung zum Schutz vor Werbetracking. Sie wird allerdings von Presseverlagen wie dem Axel-Springer-Verlag abgelehnt und hat laut Bundesregierung kaum eine Chance, vor der Europawahl fertig verhandelt zu werden.
Starke Proteste
Am vergangenen Wochenende gingen europaweit mehr als 170.000 Menschen für ein freies Internet und gegen die Urheberrechtsreform auf die Straße, wozu wir Orte und Zahlen aller Demonstrationen gesammelt haben (also in English). Die vielen Menschen auf der Straße zeigten neben ihrer Ablehnung gegenüber der Reform, dass eine junge Protestbewegung entstanden ist. Viele haben gemerkt, dass Brüssel der Hebel ist, um Politik zu ändern und mitzugestalten.
Eine ähnliche Position teilt der kanadische Science-Fiction-Autor, Aktivist und Blogger Cory Doctorow. Er hat mit Markus Beckedahl über das EU-Urheberrecht auf der SXSW-Konferenz in Texas gesprochen und machte deutlich, dass es bei einem zeitgemäßen Urheberrecht auch um Gerechtigkeit und Demokratie gehen muss.
Umso erschreckender, dass Befürworter:innen der Reform vor der Abstimmung mit falschen Vergleichen auffuhren und von „gekauften Demonstranten“ sprachen, um die Proteste zu diskreditieren. Es schadet der Demokratie, wenn eine Volkspartei wie die CDU gleiche Strategien wie autoritäre Herrscher und Rechtspopulist:innen nutzt.
Noch mehr Upload-Filter?
Um die Filterung von Uploads geht es auch bei einem anderen europäischen Gesetzentwurf. Die EU-Kommission will mit Upload-Filtern und kurzen Löschfristen die Ausbreitung terroristischer Propaganda im Internet eindämmen. Dazu übt sie heftigen Druck auf das EU-Parlament aus, welches die entscheidende Abstimmung wiederholt verschoben hat.
Laut Justizkommissarin Věra Jourová hätte man damit den Terroranschlag von Christchurch und die Radikalisierung des Täters unterbinden können. Warum wir das für unwahrscheinlich halten, haben wir bereits kommentiert.
Auch auf EU-Ebene bauen Interpol und Europol die Gesichtserkennung aus. Dafür sollen neue Fähigkeiten zum Durchsuchen biometrischer Bilder genutzt werden und das Europäische Geheimdienstzentrum mit neuen Fähigkeiten besser auf „böswillige“ Cyberaktivitäten reagieren können.
Staatstrojaner für den Verfassungsschutz
In Deutschland gibt es Neues zur Überwachung. Verfassungsschutz und BND soll zukünftig der „Eingriff in informationstechnische Systeme“ erlaubt sein. Die Geheimdienste dürften dann Geräte wie Computer und Smartphones hacken, aber auch in andere Geräte im „Internet der Dinge“ eindringen. Wir veröffentlichten dazu den Gesetzentwurf aus dem Innenministerium. Nicht nur Opposition und Zivilgesellschaft haben große Bedenken, auch der Koalitionspartner SPD sieht die Vorschläge aus dem Innenministerium als „nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“.
Die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat den ersten Jahresbericht seit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung vorgelegt. Insgesamt hat sich die Zahl der Beschwerden vervierfacht, einen sprunghaften Anstieg gab es vor allem bei meldepflichtigen Datenpannen.
Neues IT-Sicherheitsgesetz in Planung
Nicht nur beim Verfassungsschutz, auch bei der IT-Sicherheit wird das Innenministerium zurzeit aktiv. Der Innenminister legte eine Digitale Agenda für sein Haus vor, sie legt die Prioritäten für die kommenden Monate fest. Insbesondere IT-Sicherheit soll Priorität haben, weswegen es erste inhaltliche, wenn auch vage, Hinweise zum geplanten „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“ gibt.
Das Innenministerium möchte auch sogenannte Cyber-Kriminalität besser verfolgen können. Der Bundesrat hat den Entwurf für ein „Darknet-Gesetz“ bereits vorgelegt. Dieses führe allerdings zu beträchtlichen Risiken für Anbieter:innen von „internetbasierten Leistungen“ und bedrohe sozial wünschenswerte Internet-Dienste, betonen die Rechtswissenschaftler Matthias Bäcker und Sebastian Goller in einem Gastbeitrag.
Um das Vertrauen der Verbraucher:innen in IT-Systeme zu stärken, haben sich Tech-Firmen selbst ein Gütesiegel für Künstliche Intelligenz gegeben. Sie wollen damit signalisieren, dass sie Ethik, Transparenz und Datenschutz berücksichtigen. Doch es ist fraglich, ob dafür selbstauferlegte und -kontrollierte Regeln reichen.
Auskünfte brauchen einen langen Atem
Außerdem veröffentlichten wir diese Woche die vormals als geheim eingestufte Teilnehmer:innen-Liste des Bundeskabinetts bei der Entscheidung zum Leistungsschutzrecht in Deutschland aus dem Jahr 2012. Dafür mussten wir uns durch drei Instanzen bis vor das Bundesverwaltungsgericht klagen.
Falls ihr in den nächsten Tagen ein bisschen Zeit habt: Wir haben sieben Dinge zusammengetragen, die ihr für eine erfolgreiche Selbstauskunft wissen solltet. Sie helfen dabei, herauszufinden, was Behörden über euch wissen. Im Selbstversuch haben wir festgestellt, dass sie gespeicherte Daten nicht immer gleich schnell oder bereitwillig herausrücken. Und was sind eure Erfahrungen dabei? Schreibt sie hier in die Ergänzungen.
Wir wünschen ein schönes Wochenende.
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