Mehr als 150.000 Menschen demonstrieren in vielen deutschen Städten für ein offenes Netz

In vielen Städten in Deutschland und in der Europäischen Union sind heute junge und alte Menschen auf die Straße gegangen, um für eine lebenswerte digitale Gesellschaft zu demonstrieren. Der Protest richtete sich gegen die drohenden Uploadfilter im Rahmen von Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform.

Demonstration gegen Uploadfilter: „Wir sind keine Bots“

In über 50 Städten in Deutschland sind Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Uploadfilter und für ein offenes Netz zu demonstrieren. Das sind wahrscheinlich die größten Netz-Proteste, die jemals in Deutschland auf der Straße gesehen wurden. Bis jetzt ist unklar, ob München oder Berlin mehr Demonstranten mobilisiert hat. In Hamburg sollen zur Stunde mehr als 10.000 Menschen auf der Straße sein, Köln geht von 15.000 Menschen aus und Stuttgart sowie Frankfurt von über 8.000. In Berlin und München sollen nach Schätzungen um die 40.000 – 50.000 Menschen aktiv sein. In vielen kleineren Städten gab es ebenfalls Demonstrationen. In Kiel sollen es 1.500 Menschen gewesen sein und in Karlsruhe rund 5.000. (Update: Wir haben eine Liste mit allen Städten und Zahlen.)

In Berlin war der Demonstrationszug rund eine halbe Stunde lang, wenn man am Wegesrand vom Anfang bis zum Ende wartete. Wir haben viele Netz-Proteste in Berlin erlebt. Das war heute größer als alle zuvor, auch wenn man die großen Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung oder ACTA mitzählt.

Die Polizei war von der Teilnehmerzahl etwas überfordert und musste die Route ändern:

#Artikel13Demo: Da mehr Demonstrierende da sind als erwartet, ist unsere Einsatzleitung im Einvernehmen mit der Demonstrationsleitung zur Entscheidung gekommen, die Demoroute zu ändern. Die Spitze ist am Willy-Brandt-Haus. Das Ende steht immer noch am Antreteplatz.

In vielen gemeinsamen Sprechchören hieß es „Wir wollen keinen Artikel 13“, „Ja zur EU, nein zur 13“ oder „Wir sind keine Bots“. Ebenfalls beliebt war „Nie wieder CDU“ als Warnung an die CDU, die jetzt als Partei ebenfalls gegen verpflichtende Uploadfilter ist, diese aber mit ihren Abgeordneten kommende Woche im EU-Parlament durchdrücken will. Dieses Manöver wurde in vielen Reden kritisiert und als demokratiefeindlich bezeichnet.

Auch in anderen Staaten sind Proteste entstanden, wenn auch nicht so groß wie bei uns. In Zürich und Wien sollen jeweils rund 1.000 Menschen protestiert haben.

Update: Es dürften insgesamt mehr als 150.000 Menschen auf den Straßen gewesen sein! Wir sagen danke an alle Beteiligten und freuen uns, dass dieser Protest und die Kritik an dieser unzeitgemäßen Urheberrechtsreform so sichtbar wurde.

Im Sommer vergangenen Jahres versammelten sich in Berlin rund 200 Menschen, um gegen Uploadfilter zu demonstrieren. Die CDU/CSU lachte damals darüber, dass nur so wenige Menschen auf die Straße gingen. Dabei waren es damals schon mehr Menschen, die auf die Straße gingen, als es die Befürworter dieser Reform jemals geschafft haben. Dann fingen mehr Menschen an, sich im Netz zu organisieren und ihren Protest zu kommunizieren. Das waren dann laut Unions-Politiker und FAZ-Schreiberlingen „Bots“. Die EU-Kommission nannte die Kritiker dieser Reform einen „Mob“. Dann sollten die ganzen Protest-Tweets aus den USA geschickt worden sein, nur weil FAZ-Autoren zu blöd waren, die dafür verwendeten Analyse-Tools richtig zu verstehen.

Neuer Höhepunkt in der Diffamierungsstrategie: Alles gekaufte Demonstranten. Das wird teuer!

Heute gab es einen neuen Höhepunkt in der Diffamierung der Netz-Proteste. Über die Bild-Zeitung kommunizierte der Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dass die Demonstranten gekauft seien:

„Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten. Das Geld scheint zumindest teilweise von großen amerikanischen Internetkonzernen zu stammen. Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht.“

Währenddessen versuchte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Abstand zu Uploadfiltern zu nehmen und die Unions-Nebelkerze erneut zu zünden, dass bei einer nationalen Umsetzung Uploadfilter nicht gelten würden:

Wir brauchen keinen Uploadfilter in Deutschland. Wir wollen dies bei der nationalen Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie sicherstellen und Meinungsvielfalt, Urheberschutz und Rechtssicherheit zusammenbringen.#uploadfilters

Das ist nach Ansicht vieler Experten einfach europarechtswidrig. Wer Uploadfilter verhindern will, muss am kommenden Dienstag im EU-Parlament gegen Uploadfilter und damit gegen Artikel 13 (neue Fassung: Artikel 17) stimmen. Nur so können Uploadfilter verhindert werden. Wir werden genau beobachten, wie sich die CDU/CSU-Abgeordneten verhalten werden.

Am Nachmittag stimmte die SPD auf ihrem Parteikonvent dann gegen Uploadfilter, die sie vorher als Teil der Bundesregierung noch durchgestimmt hatte. Ein Plakat brachte die Kritik vieler auf den Punkt: „Hätte die SPD Rückgrat, hätte ich heute ausschlafen können“.

Hier gibt es ein kurzes Statement von mir am Ende der Demonstration:

In diesem Fenster soll ein Twitter-Post wiedergeben werden. Hierbei fließen personenbezogene Daten von Dir an Twitter. Aus technischen Gründen muss zum Beispiel Deine IP-Adresse übermittelt werden. Twitter nutzt die Möglichkeit jedoch auch, um Dein Nutzungsverhalten mithilfe von Cookies oder anderen Tracking-Technologien zu Marktforschungs- und Marketingzwecken zu analysieren.

Wir verhindern mit dem WordPress-Plugin „Embed Privacy“ einen Abfluss deiner Daten an Twitter so lange, bis Du aktiv auf diesen Hinweis klickst. Technisch gesehen wird der Inhalt erst nach dem Klick eingebunden. Twitter betrachtet Deinen Klick als Einwilligung in die Nutzung deiner Daten. Weitere Informationen stellt Twitter hoffentlich in der Datenschutzerklärung bereit.

Zur Datenschutzerklärung von Twitter

Zur Datenschutzerklärung von netzpolitik.org

Diese Bilder können gerne frei verwendet werden, über eine Quellenangabe freuen wir uns.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

18 Ergänzungen

  1. In Frankfurt spricht die Polizei von 8000 Demonstranten, der Veranstalter selbst sagte was von 10.000 durch während der Demo.

  2. Wissenswertes zu Teilnehmerzahlen auf Demos (Polizei vs Veranstalter):

    Debatte über Zahl der Demonstranten Wie man Teilnehmerzahlen berechnet
    https://faktenfinder.tagesschau.de/schaetzung-teilnehmerzahlen-101.html
    29.05.2018

    Warum übernehmen wir Medien die Zahlen der Polizei 1:1 und riskieren, die Realität zu verzerren?
    https://tilleckert.com/2018/06/01/warum-uebernehmen-wir-medien-die-zahlen-der-polizei-11-und-riskieren-die-realitaet-zu-verzerren/
    1. Juni 2018

  3. Könnt ihr das bitte auch der Zeit-Online Redaktion stecken. Die haben das irgendwie nicht so ganz mitbekommen:
    „Zehntausende Menschen in Deutschland haben gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform und eine mögliche Beschränkung des Internets demonstriert. In München protestierten nach Angaben der Polizei rund 40.000 Menschen. In Köln gingen nach Schätzungen der Veranstalter 10.000 auf die Straße – die Polizei sprach von nur 4.500. Auch in Hamburg, Köln, Düsseldorf und Hannover kamen Tausende zum Protest zusammen.“
    Von Berlin ist in dem ganzen Artikeln in eine Bildunterschrift die rede.

  4. In Innsbruck waren deutlich mehr als 80 Demonstranten anwesend.
    Auf den Foto was Sie hier als Beispiel genommen haben sollten hauptsächlich nur die Menschen mit Plakaten drauf.
    Ich hätte die Zahl auf ca 300 Demonstranten geschätzt.

  5. Nur damit das klar ist (media coverage):
    Berichterstattung im Internet kann durchaus auf Basis von Tracking passieren, aber auch mit prozentualer Gewichtung und sonst welchen Gemeinheiten. Es kann also sein, dass z.B.eine Nachrichtenseite einfach bei 75% der Benutzer die Demo weit nach unten setzt oder sogar garnicht auf der ersten Seite zeigt. Eine Zeitung könnte bestimmten (trackingmässig eindeutig identifizierten) Lesern einfach eine halbgefakte fast noch ausgewogene Darstellung unterjubeln, den meisten aber irgendeine total gemeine Propaganda. Das ganze nach Benutzern und Zeiten differenziert.

    Alleine die Diskussion, was berichtet wurde, könnte dann schon wunderbar Verwirrung stiften. Das Internet ist so gemein :(:(:(.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.