#netzohnegewalt: Neue Kampagne gegen digitale Gewalt

Mobbing, Einschüchterung und Drohungen: Digitale Gewalt an Frauen darf nicht straflos bleiben. 20 teils prominente Frauen fordern in einem gemeinsamen Aufruf härterte Strafverfolgung, mehr Geld für Berater:innen und das Eingeständnis, dass es sich nicht um Bagatellen handelt.

Eine Gruppe von Frauen steht auf einem Hof zusammen
Wer ist dabei im öffentlichen Raum und wer wird verdrängt? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Samantha Gades

Mehr als 20 Politikerinnen und Expert*innen haben einen gemeinsamen Aufruf gegen „digitale Gewalt“ veröffentlicht. Darin fordern sie, digitale Gewalt gegen Frauen im Netz endlich ernst zu nehmen. „Wir benennen die im Internet stattfindende und darüber ausgeübte Gewalt klar und deutlich als das, was sie ist“, steht in dem am Freitag veröffentlichen Appell. Digitale Gewalt im Netz sei eine Fortsetzung und Verstärkung der körperlichen und psychischen Gewalt, die sich auch offline gegen Frauen und andere marginalisierte Geschlechter richte – und müsse ebenso entschlossen bekämpft werden.

Die Unterzeichner*innen, darunter die Grünen-Politikerin Renate-Künast, die SPD-Politikerin Sawsan Chebli und die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg, wissen gut, wovon sie sprechen. Als öffentliche und im Netz aktive Frauen sind sie selbst regelmäßig mit Drohungen und Beleidigungen konfrontiert. Viele Unterzeichner*innen arbeiten mit ihren Initiativen seit Jahren zum Thema. Sie bezeichnen diese Entwicklung als eine Gefahr für die Demokratie und fordern eine „öffentliche Debatte, die die geschlechtsspezifischen Aspekte von digitaler Gewalt und Hate Speech zum Schwerpunkt hat“.

Gewalt als „Angriff auf die Meinungsfreiheit“

Die Hetze und Bedrohung gegen Frauen und andere marginalisierte Geschlechter führe letztlich dazu, dass diese aus dem öffentlichen Raum verdrängt würden. Gerade Frauen of Color, trans Personen und Menschen jenseits des zweigeschlechtlichen Rasters würden besonders zur Zielscheibe der Angriffe. „Wenn ganze Personengruppen in ihrer Teilnahme an gesellschaftlichen Debatten und Entwicklungen eingeschränkt werden, handelt es sich aber auch um einen Angriff auf die Meinungsfreiheit unserer Gesellschaft insgesamt,“ schreiben die Autor*innen.

Um digitale Gewalt besser zu bekämpfen, fordern die Verfasser*innen unter anderem Schwerpunktanwaltschaften, eine bessere Ausbildung der Polizei, der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte sowie den Abbau der Hürden für Zivilklagen. Das bereits bestehende Netz an Beratungsstellen für Frauen, die auch Betroffene von digitaler Gewalt unterstützen, müsse finanziell besser ausgestattet werden. Dafür sollten auch die Social-Media-Plattformen, auf denen diese Gewalt oft stattfinde, mit in die Pflicht genommen werden und einen Teil der Kosten übernehmen.

Fall Künast war nicht der Auslöser

Der Veröffentlichung des Appells vorausgegangen war ein Beschluss der Landgerichts Berlin aus der vergangenen Woche gegen Renate Künast. Die Richterinnen und Richter hatten geurteilt, die Grünen-Politikerin müsse sich selbst derbste sexistische Beleidigungen anonymer Facebook-Nutzer gefallen lassen, rechtlich seien diese zulässig. Der Fall war bundesweit auf Unverständnis gestoßen.

Die gemeinsame Arbeit an den Forderungen habe allerdings schon viel früher begonnen, berichtet die Aktivistin Anne Wizorek, die ebenfalls zu den Unterzeichnerinnen gehört. Bereits vor der Sommerpause sei die Idee entstanden, all die verschiedenen Personen und Expertinnen, die zum Thema arbeiten, gemeinsam an einen Tisch zu bringen. Der Beschluss gegen Künast sei nicht der Auslöser gewesen, sondern lediglich ein aktueller Anlass, um mit den Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Gleichzeitig soll der Appell nicht das Ende, sondern erst der Auftakt der gemeinsamen Arbeit werden, sagt Wizorek.

Dass der Fall von Künast in der Erzählung der Medien als Startpunkt für den Aufruf und sie selbst als Urheberin geframet wurde, kritisierten viele der Unterzeichnerinnen: Es brauche kein einzelnes Ereignis als Auslöser für einen solchen Aufruf. Die Beteiligten arbeiteten kontinuierlich zum Thema.

Digitale Gewalt ist mehr als Hatespeech

Ursprünglich sei der Appell vor allem auf Hatespeech gerichtet gewesen, berichtet Wizorek. Gemeint sind damit die öffentlichen verbalen Angriffe auf Frauen und andere marginalisierte Geschlechter im Netz, wie sie etwa Sawsan Chebli, Kübra Gümüsay und Anke Domscheit-Berg regelmäßig erleben. Später haben die Verfasserinnen den Appell erweitert, um auch weniger sichtbare Formen geschlechtsspezifischer Gewalt mit einzuschließen.

„Uns ist es wichtig, dass die Diskussion nicht beim Thema Hatespeech stehen bleibt“, sagt Ans Hartmann, Referent*in zum Thema beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen. Man müsse über die Rolle der Digitalisierung bei geschlechtsspezifischer Gewalt generell reden. Bei allen Gewaltformen spielten mittlerweile technische Geräte und digitale Medien eine wesentliche Rolle.

So nutzen Partner oder Ex-Partner, aber auch fremde Stalker inzwischen vermehrt digitale Kanäle zur Kontrolle, Einschüchterung und Machtausübung. Stalking mit Hilfe von Spionage-Apps auf dem Mobiltelefon oder gehackten Social-Media-Accounts, die unerlaubte Veröffentlichung von intimen Bildern, pornografische Videomontagen oder die Organisation gezielter Mob-Angriffe – viele neue Technologien und Aktionsformen im Netz werden zunächst an Frauen und marginalisierten Gruppen erprobt, bevor sie sich gegen eine breitere Öffentlichkeit richten.

Unsichtbar, aber ebenso bedrohlich

Diese Fälle sind weniger sichtbar als die öffentlich auf Social Media stattfindende Hetze und Gewalt, deswegen aber nicht weniger bedrohlich. Hartmann fordert daher auch dringend aktuelle Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt, die sowohl digitale Gewalt als andere marginalisierte Geschlechter jenseits von Frauen einbeziehen.

Den Einwand, Männer seien doch schließlich ebenso von Gewalt im Netz betroffen, der auf solche Forderungen unweigerlich folgt, lässt Hartmann nicht gelten. Sie weist auf die strukturellen Bedingungen hin: Wenn Frauen, nicht-binäre Personen, trans Männer und andere marginalisierte Geschlechter Gewalt erfahren, dann gehe es dabei um „Machtungleichheit, Diskriminierung, existentielle Bedrohungen und das Absprechen von Identitäten“. „Cis-Männer sind davon nicht betroffen, gleichwohl sie auch Beleidigungen im Netz erfahren können“, sagt Hartmann.

Künast: „Sexistische Dimension von Hass wird belächelt“

Renate Künast macht eine Parallele auf zu den früheren feministischen Kämpfen um die Anerkennung geschlechtsspezifischer Gewalt in der Partnerschaft. „Die sexistische Dimension von Hass oder Gewalt im Netz stieß in der Öffentlichkeit oft auf Ignoranz oder wurde belächelt“, sagte sie gegenüber netzpolitik.org. Nun sei es an der Zeit, das Problem als gesellschaftliche Aufgabe anzuerkennen. „So wie vor Jahrzehnten darum gerungen wurde, die im Alltag von Frauen erlittene Gewalt auch im sozialen Umfeld wahrzunehmen, muss heute endlich wahrgenommen werden, dass sich gegenüber Frauen ähnliches alltäglich im Netz abspielt.“

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