Im Rahmen des Projekts „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) fand am 20. Juni der Kongress #digidemos in Berlin statt. Grundwerte, Teilhabe, Wirtschaft und Arbeit stehen im Fokus des Projektes. Der Kongress #digidemos konzentrierte sich dabei darauf, wie es möglich ist, eine gute digitale Gesellschaft zu gestalten. Nach dem Selbstverständnis des Kongresses ist die digitale Gesellschaft „mehr als Technik“ und um sie zu gestalten, muss sich mit Begriffen wie „Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ beschäftigt werden. In über einem Dutzend Diskussionen zu Demokratie, Öffentlichkeit und Arbeit wurde sich den Begriffen genähert.
Die Frage nach der Zivilgesellschaft stellten sich dabei Prof. Dr. Sigrid Baringhorst (Uni Siegen), Jutta Croll (Stiftung Digitale Chancen), Carolin Silbernagl (gut.org gAG & betterplace lab) gemeinsam mit dem AK Bürgergesellschaft und Demokratie der FES. Unter dem Titel „Digitale Partizipation – Rettung der Demokratie? Veränderungen politischer Teilhabe und Zivilgesellschaft im Netz“ und der Moderation durch Dr. Serge Emerbacher vom AK Bürgergesellschaft.
Es gäbe noch keine wirklich wissenschaftlich fundierten Aussagen dazu, ob die digitale Partizipation die Krise der Repräsentativdemokratie löse oder gar die Digitalisierung zu neuer gesellschaftlicher Spaltung führe. Geklärt werden sollte, ob momentan eine digitale Zivilgesellschaft geboren wird, aus was diese besteht und ob die Digitalisierung die Zivilgesellschaft verändert. Auch besprochen werden sollte, ob analoges Engagement sich vom digitalen unterscheidet und welche Chancen und Risiken dies birgt. Immerhin könnte die Gefahr bestehen, es handele sich nur um ein neues technisches Dispositiv und keine transformierte Teilhabe.
Silke Baringhorst bezog sich in ihrem Input-Vortrag auf den amerikanischen Parteienforscher Robert D. Putnam und sein in der vergleichenden Politikwissenschaft bahnbrechendes Werk „Making Democracy Work“. Mit dieser Referenz versuchte Baringhorst den Zusammenhang von Medien und Partizipation zu illustrieren. Mit Putnam lässt sich zeigen, dass Sozialvertrauen und Gemeinsinn in Gesellschaften stärker sind, wenn die Medien nicht nur kommerzialisiert sind, sondern auch – so Baringhorst – Plattform für Ideen, gegenseitige Hilfe und Protest seien.
Für Protest sei unter anderem die Informationsbeschaffung wichtig, welche durch die Digitalisierung gestärkt werde. Motivation und Gemeinschaftsbildung verortete Baringhorst dagegen eher im Analogen. Die Selbstwirksamkeit werde durch die Digitalisierung jedoch gestärkt, weil es wenig Aufwand koste, über Plattformen wie Facebook einem Solidaritätsaufruf beizupflichten und sich selbst sichtbar zu machen. Mobilisierung und Zielgruppenansprache über digitale Medien sei für NGOs zudem vorteilhaft. Gleichzeitig entstehe eine Veralltäglichung des Protests und seiner Problemfelder.
Baringhorst folgerte daraus, dass das Misstrauen der Gesellschaft zunehme. Die Menschen würden gegenüber Informationen kritischer, wie sich an den Reaktionen auf das Plagiat in der Dissertation des ehemaligen Verteidigungsministers Guttenberg zeigte. Als weit konstruktiveres Beispiel führte Baringhorst zudem die Dokumentation rassistischer Polizeigewalt im Netz durch die Initiative „Black Lives Matter“ in den USA an.
Ob die Demokratie durch die Digitalisierung direkter wird, konnte Baringhorst nicht beantworten. Die Politik werde durch die Petitionskultur im Netz unberechenbarer, da über die Urheber*innen der Petitionen oftmals wenig bekannt sei und Unklarheit über deren Priorisierung von Kampagnen bestehe. Welche Datenanalysten und welche Weltbilder in den Kampagnen agierten, sei kaum nachzuvollziehen, habe aber unabsehbare Effekte auf die Demokratie.
Grundrechte können aktualisiert werden
Jutta Croll behandelte in ihrem Input-Vortrag rechtliche Fragen. Digitale Rechte sind nach Croll auf Grundrechte zurückführbar. Daraus folge, dass die Grundrechte nur richtig interpretiert werden müssen an Stelle der Schaffung neuer Gesetze. Dies sei eine Chance, um die Grundrechte wirksamer zu machen.
Croll forderte, Teilhabe, Integration und Zugang zum Digitalen müsse für alle gesellschaftlichen Gruppen möglich sein, um keine Spaltung zu erzielen und Chancen für die Demokratie zu nutzen. Der bereits von Baringhorst thematisierten Selbstwirksamkeitserfahrung liege Medienkompetenz, Transparenz und barrierefreie Gestaltung der digitalen Medien zugrunde. Letztere hieße schließlich auch etwa in der Verwaltung auf verständliche Sprache zu achten, da bereits ein zu hohes Sprachniveau diskriminierend wirken könne. In Europa gäbe es noch starke Differenzen in der Medienkompetenzförderung und der Unterstützung der Bevölkerung zu digitalem Engagement.
Technologie ist nicht gleich Repräsentation
Der Input von Carolin Silbernagl wurde durch den Rekurs auf den arabischen Frühling eröffnet. Der Weltöffentlichkeit erschien es nach Silbernagl während dieser kurzen Periode des Protests so, als könne die Digitalisierung die Demokratie retten. Doch spätestens 2016 habe dieser Glauben einen harten Rückschlag erfahren, wegen der Überhandnahme durch rechte Populist*innen.
Dabei müsse die Verbindung von Technologie und Politik nach Silbernagl vielmehr die positiven Potentiale nutzen. Die Medien müssten im Sinne des Gemeinwohls hinsichtlich Teilhabe und gemeinschaftlicher Willensbildung gestärkt werden. Technologie müsse richtig und bewusst eingesetzt werden, um das Institutionenvertrauen, Initiativen und die Legitimität des politischen Systems zu stärken. Vertrauen ließe sich durch Open Government und Open Data schaffen. Initiativen wie der weit bekannte Wahlomat zeugten von den Chancen der Digitalisierung. Legitimität werde über die Inputs und Outputs im politischen System geregelt.
Bei der Beteiligung und Repräsentation im Netz sei auffallend, dass es sich vornehmlich um junge, technikaffine Männer handele. Diese Selektivität müsse überwunden werden, um alle Bürger*innen zu repräsentieren und damit einen positiven Beitrag gegen die Krise der Repräsentativdemokratie zu leisten.
Und wer hat die Macht?
Es folgte auf die Inputs eine kontroverse Diskussion. Aus dem Publikum wurde kritisiert, das Podium habe sich mit seiner Debatte zu stark nutzerorientiert. Die Produktionsverhältnisse und Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft sollten mehr in den Fokus genommen werden. Bei einem deliberativen Ansatz, wie er auf dem Podium vertreten worden sei, drehe es sich zu wenig um abstraktere Fragen wie die nach Machtkonstellationen oder Ökologie. Diese Punkte würden durch die Digitalisierung nicht gelöst und auch zu wenig beachtet. Dementsprechend sei die Technologie keine Lösung, sondern nur ein Mittel. Die Politik laufe Gefahr, Problem-Externalisierung auf die Technologie zu betreiben. Daraus müsse folgen, sie nicht voneinander getrennt zu betrachten. Das Politische bestünde nicht nur in Agonie und Streit und müsse alles, das zu Gemeinwohl und sozialer Resonanz führe, umfassen.
Schlussendlich konnte das Podium die Frage, ob sich die Digitalisierung positiv auf zivilgesellschaftliche Partizipation und Demokratie auswirkt, nicht generell bejahen. Dennoch waren die Inputs der Referent*innen hinreichende Hilfestellung, um ein wenig Tumult im Publikum entstehen zu lassen. So wurde der Verweis aus dem Publikum auf die mangelnde Herrschaftskritik im ersten Moment als Angriff der Veranstaltung aufgefasst und versucht, die Stimme zu drosseln. Die FES scheint die offene demokratische Debatte bereits mit Systemschranken vertauscht zu haben. Ob sich Demokratie mittels technischen Fortschritts automatisch mitentwickeln wird, bleibt jedoch zu bezweifeln.
Von der Veranstaltung selbst sind noch keine Mitschnitte online. Die Vorbereitungsrunde wurde aufgezeichnet und findet sich hier im Youtube-Kanal der FES:
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