Entscheide dich und bleib dabei. Erlebnisbericht eines Neulings auf dem Chaos Communication Congress

Teil I:
Es gibt viele Gründe, zum Chaos Communication Congress zu fahren. Ebenso viele sprechen dagegen. Vermutlich stimmt beides. Ein Erlebnisbericht von ebenjenem.
26. Dezember – noch ein Tag bis zum Congress.

Ein niedlicher Mops in einer fremden Umgebung, eingehüllt in eine Decke. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Photo by Matthew Henry

„In diesem Jahr bin ich auf jeden Fall dabei!“
[Eigentlich würde ich lieber chillen.]
„Und wenn ich drei Tage in dieser Halle schlafe – ich fahre auf jeden Fall!“
[Ich fühle mich doch gar nicht wohl, wenn ich pausenlos von Menschen umgeben bin.]
Aber es ist vielleicht eine einmalige Gelegenheit, mit ihm zu … – kann es sein, dass es kein schönes Wort für physische Annäherung gibt? Klops und Wurst sind auch schlimme Wörter.

Vorüberlegungen

Es fällt mir schwer, mich für eine Veranstaltung zu entscheiden, die ausgerechnet die Tage ausfüllt, auf die ich mich alljährlich freue, da diese Tage in süßes Nichtstun gehüllt sind. Bis auf den Vorsatz, schon im Januar meine Steuerklärung zu machen. Etwas zu viel Spießigkeit oder einfach Kontrolle über mein Leben – allerdings nur, wenn ich es tatsächlich täte. So bleibt die Spießigkeit und die Kontrolle nur gedanklich, und im Mai wird ein formloses Schreiben an das Finanzamt geschickt, um nach einer Fristverlängerung zu fragen. Punk! Ich gehe davon aus, dass der Congress das Gegenteil von Spießigkeit sein wird. Was auch immer das genau sein mag.

Heute ist der Tag vor dem Congress und ich sitze im Zug nach Leipzig. Eine der schönen Langzeitfolgen der einstigen Piratenpartei-Mitgliedschaft ist die deutschlandweite Möglichkeit, auf einen Schlafplatz zurückgreifen zu können. So auch in diesem Fall. Den Großteil der temporären Wohngemeinschaft kenne ich noch nicht. In meinen Zwanzigern ein Jackpot. Da ich jedoch im Alter kauzig geworden bin, weiß ich nicht, ob und wie lange ich es mit mehreren unbekannten Menschen aushalte. Und dann fahre ich auf einen Congress, auf dem ich den ganzen Tag von etwa 16.000 fremden Menschen umgeben bin. Ich muss wahnsinnig sein. Aber es nützt nichts.

„Muss ich noch auf irgendwas achten, wenn ich hinfahre?“, frage ich meine liebe Redaktion eine Woche zuvor zwischen Frühlingsrolle und Papayasalat. Es entbrennt eine lautstarke Diskussion darüber, ob HTTPS-Webseiten wirklich sicher sind. Sojasoße kleckert genau neben die Serviette auf meine Hose. „VPN!“, „TOR!“ – „Geh mit Deinem Laptop am besten gar nicht ins WLan auf dem Congress!“

Zwei Stunden später habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen VPN-Client. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.

Programmauswahl

Wenn ich auf dem Congress bin, kann ich natürlich nicht nur am Späti oder im Bällebad abhängen. Genauso wenig kann ich mich wagemutig in irgendeinen Saal setzen. Also wälze ich das Programm. Mit ausführlicher Beschreibung immerhin 42 Seiten im Hochformat. Wenn ich alles richtig verstehe, gibt es acht Themenfelder. Wenn ich gut aufpasse, weiß ich nach dem Congress, wie ich einen Chip baue, was das Problem mit Künstlicher Intelligenz ist, welche Kaufgewohnheiten Bots im Darknet haben [Spoiler: Sie kaufen wohl Drogen] und wie ich keine böswillige Ladesäulenbetreiberin werde. Auf jeden Fall habe ich Ingo versprochen, dass ich mir seinen E-Privacy-Vortrag gleich am Mittwoch anhöre. Zudem ist es ein guter Einstieg, weil ich verstehen werde, worum es geht. Der Rest meiner Liste ist gefüllt mit Titeln, die hysterische Lachanfälle auslösen, weil ich keine Ahnung habe, was auch nur ein Wort in ebenjenem Titel bedeutet und – nun ja – den anderen.

Ganz besonders freue ich mich auf den Vortrag „Relativitätstheorie für blutige Anfänger“. Vor allem, nachdem ein gewisser S. beim letzten Mal, als ich mit ihm über Raum und Zeit sprach, meinte, dass mein Verständnis davon mittelalterlich sei. Nicht beim nächsten Mal [gewesen sein wird]!
Ich klingele bei meinen neuen Mitbewohnis. Es geht los.

Infos zum 34. Chaos Communication Congress:
Wann? 27.12.2018-30.12.2017
Wo? Leipziger Messe

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

5 Ergänzungen

          1. Wann? 27.12.2018-30.12.2017
            Retrospektativ betrachtet ist nüchtern gesehen betrunken besser gewesen. Stefanie, halt durch!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.