Seit Jahren kämpfen Bürgerrechtler darum, Einblick in die Entscheidungsprozesse und Kriterien zu bekommen, nach denen in den Vereinigten Staaten die Befehle gegeben werden, Drohnen und deren Raketen gegen Menschen einzusetzen. Auch wie die Namen von Personen auf die „kill list“ gelangen, versuchen sie seit Jahren rauszukriegen. Es ist ein seit über einer Dekade laufender politischer und rechtlicher Streit um Zugang zu geheimen Dokumenten, die ihren Ursprung in der Zeit kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers haben.
In den Vereinigten Staaten gewährleistet der fünfte Verfassungszusatz (Fifth Amendment) jedem ein faires rechtliches Verfahren, das offenkundig durch geheime Prozeduren unterlaufen wird, nach denen Tötungsentscheidungen ohne rechtliches Gehör oder eine Verteidigung des Verdächtigen gefällt werden. Bestätigungen für Drohnentötungen sind sogar in einigen Fällen kurzerhand per Mobiltelefon gegeben worden, wenn sichere Kommunikationskanäle nicht greifbar waren.
Entsprechend stellen sich neben völkerrechtlichen auch prozedurale Fragen: Gegen wen genau richten sich Drohnenangriffe, wie sind die Kriterien für diese Gewaltanwendung und was sind die rechtlichen Vorgaben?
Einen Teil der Antworten auf diese Fragen hat die American Civil Liberty Union (ACLU) versucht, auf dem Rechtsweg zu erlangen – mit Erfolg. Die ACLU hat nun fünf Dokumente erhalten, darunter das vormals geheime sog. „Playbook“: die Presidential Policy Guidance (PPG) der US-amerikanischen Regierung.
Diese PPG soll rechtliche und methodische Standards für die Zielauswahl der Drohnentötungen festschreiben. Sie übertragen Regeln aus Kriegen auf Personen in Nicht-Kriegsgebieten, über die Tötungsentscheidungen gefällt werden, und unterscheiden zwischen US-amerikanischen Staatsbürgern und Nicht-Amerikanern. Diese PPG bietet die ACLU nun zum Download an (pdf).
Regeln und Ausnahmen von der Regel
Die ACLU kommentiert die PPG und weist darauf hin, wie selbstverständlich das Töten mit Drohnen geworden ist:
Most critically, the PPG’s length and numbingly bureaucratic tone make clear just how normalized the killing of terrorism suspects far from any battlefield has become inside the executive branch. Under the Constitution and international law, these kinds of strikes are supposed to be — at best — exceptional and rare. The „playbook“ belies that background, giving off the sense that these matters are business as usual.
(Am bedenklichsten verdeutlichen die Länge und der betäubend bürokratische Ton, wie sehr für die Regierung das Töten von des Terrorismus Verdächtigen weit abseits von jedem Schlachtfeld zur Normalität geworden ist. Nach der Verfassung und internationalem Recht sollen solche Arten von Angriffen – allenfalls – außerordentlich und selten sein. Das „Playbook“ täuscht über diesen Hintergrund hinweg, indem es diese Dinge als normalen Betrieb darstellt.)
Wie nun aber welche Regeln für oder gegen das Töten in der Praxis umgesetzt werden, geht aus den PPG nur begrenzt hervor. Substantielle Informationen sind geschwärzt, so dass kaum Aussagen dazu möglich sind, nach welchen Kriterien die Entscheidungen gefällt werden, eine Drohnenrakete abzufeuern oder alternativ eine Operation zur Gefangennahme des Betroffenen zu starten. Die Angaben dazu, wann Gewalt angewendet werden darf („relevant considerations for the use of force“), sind weitgehend geschwärzt.
Auch wer die Hoffnung hatte, bindende Kriterien, Festlegungen oder gar Ausschlussgründe darin zu entdecken, wird doppelt enttäuscht. Die PPG sind zwar voller (teils geschwärzter) Regeln, aber für den Präsidenten nicht stets bindend. Denn in Ausnahmefällen kann er sich entscheiden, auch jenseits der Anleitungen Befehle zu geben:
5.B Extraordinary Cases: Variations from the Policy Guidance Otherwise Set Forth in this PPG
Nothing in this PPG shall be construed to prevent the President from exercising his constitutional authority as Commander in Chief and Chief Executive, as well as his statutory authority, to consider a lawful proposal from operating agencies that he authorize direct action that would fall outside of the policy guidance contained herein, including a proposal that he authorize lethal force against an individual who poses a continuing, imminent threat to another country’s persons.
(5.B Ausnahmefälle: Abweichungen von der Policy Guidance, die anderweitig in diesem PPG festgelegt sind
Nichts in diesem PPG soll so ausgelegt werden, dass es den Präsidenten daran hindern würde, seine verfassungsrechtliche Stellung als Commander in Chief and Chief Executive wahrzunehmen, ebensowenig seine gesetzliche Autorität auszuüben, einen rechtmäßigen Vorschlag einer mitwirkenden Behörde zu autorisieren, welche außerhalb der hier beschriebenen Policy Guidance fällt. Dies beinhaltet Vorschläge, dass er tödliche Gewalt gegen ein Individuum autorisiert, welches eine anhaltende, unmittelbar drohende Gefahr für eine Person eines anderen Landes darstellt. (Seite 17))
Letztlich ist den lesbaren Teilen der PPG als tatsächliches Kriterium dafür, einem Menschen außerhalb des Territoriums der USA ferngesteuert eine Hellfire-Rakete auf den Kopf zu werfen, zu entnehmen, dass eine von ihm ausgehende „drohende Gefahr“ („imminence“) entscheidend ist. Aber selbst an dieses schwammige Merkmal muss sich kein Befehlshaber halten, denn in Ausnahmefällen binden ihn die Richtlinien ohnehin nicht.
Der Drohnenkrieg der Vereinigten Staaten hat einen direkten Bezug zu Deutschland, denn der US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz ist ein wichtiges Drehkreuz für die Vorbereitung und Durchführung der völkerrechtlich fragwürdigen Drohnenangriffe, findet aber in der PPG keine Erwähnung. Über die Abläufe in Ramstein ist die Bundesregierung über ein Verbindungskommando der Bundesluftwaffe zwar informiert, zieht sich aber offiziell auf den Standpunkt zurück, keine genauen Kenntnisse zu haben.
Heise hat eine ausführliche Analyse: http://heise.de/-3289548