Die EU-Kommission will den Austausch von Einträgen in Strafregistern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union erweitern. Einen entsprechenden Vorschlag für den Ausbau des Europäischen Strafregisterinformationssystems (European Criminal Records Information System ECRIS) sowie mehrere begleitende Dokumente hat die Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, Věra Jourová, am Dienstag in einer Pressemitteilung veröffentlicht. Zur „Verbesserung der Bekämpfung von grenzüberschreitenden Straftaten und Terrorismus“ sollen auch Daten über Nicht-EU-Staatsangehörige gespeichert und übermittelt werden dürfen.
Das 2012 eingeführte ECRIS beruht auf einem Rahmenbeschluss des Rates von 2009. Das dezentrale System vernetzt derzeit 25 nationale Justizbehörden (Malta, Portugal und Slowenien nehmen bislang nicht teil). Aus Deutschland ist das Bundeszentralregister (BZR) angeschlossen, das vom Bundesamt für Justiz in Bonn geführt wird. Die Daten werden über das „europäische Verwaltungsnetzwerk“ sTESTA übertragen.
Über das ECRIS können für Strafverfahren oder andere behördliche Auskunftszwecke in anderen Mitgliedstaaten vorhandene Informationen über Vorstrafen der Betroffenen abgefragt werden. Bislang dürfen nur Daten über EU-Staatsangehörige angefordert werden. Wird beispielsweise eine Französin in Spanien für eine Straftat verurteilt, erhält die französische Justiz hierüber eine Benachrichtigung. Sofern die Person erneut im Ausland vor Gericht steht, kann das Urteil aus Spanien in das Strafmaß einfließen.
Sämtliche Vorstrafen auch in anderen Ländern werden im „Heimatmitgliedstaat“ gespeichert und bei Bedarf an anfragende Behörden weitergegeben. Auf diese Weise können EU-Angehörige aber auch ein EU-weites polizeiliches Führungszeugnis beantragen und nachweisen, dass sie in keinem anderen Mitgliedstaat verurteilt wurden.
Die neue Funktion soll zu einer „besseren und effizienteren Prävention von Kriminalität und terroristischen Handlungen“ beitragen. Auch der grenzüberschreitende Datentausch würde angekurbelt: Werde die Suche nach etwaigen Strafregistereinträgen von Nicht-EU-BürgerInnen vereinfacht, ermutige dies die nationalen Behörden zu noch mehr Anfragen im ECRIS.
Kleine Mitgliedsstaaten derzeit benachteiligt
Laut der Kommission wurden über das ECRIS im vergangenen Jahr 288.000 Anfragen gestellt. Sowohl die Abfragen als auch Benachrichtigungen nahmen in den letzten Jahren stetig zu:
Werden nun auch Nicht-EU-BürgerInnen erfasst, dürfte die Zahl erneut deutlich steigen.
Bisher müssen Abfragen der Daten von EU-AusländerInnen in allen 27 übrigen EU-Mitgliedsstaaten einzeln gestellt werden. 2014 habe die Zahl der Anfragen nach Vorstrafen von Drittstaatenangehörigen der Kommission zufolge bei 23.000 gelegen. Dies sei mit bürokratischem Aufwand und geschätzten Kosten von insgesamt 78 Millionen Euro verbunden gewesen. Das meiste Geld werde für die Beantwortung aufgewendet. Kleinere Mitgliedstaaten seien benachteiligt, da diese oft über wenig Angestellte zur Bearbeitung der Anfragen verfügten. Bei vielen Ersuchen handele es sich zudem um unnütze Anfragen.
Allerdings soll das ECRIS auch technisch erweitert werden. Als „Suboption“ wird vorgeschlagen, dass auch Fingerabdrücke abgefragt werden können. Die Kommission verspricht sich dadurch eine bessere Identifizierung von Beschuldigten aus Drittstaaten und die Erkennung gefälschter Ausweisdokumente. Die Verarbeitung der biometrischen könne aber auch helfen, fehlende Übereinstimmungen durch die unterschiedliche Schreibweise von Namen zu verhindern. Zudem seien manche Vor- und Nachnamen derart verbreitet, dass ein weiteres Identifikationsmerkmal notwendig sei.
Fingerabdrucksystem als Zusatzfunktion
Die für das aufgebohrte System veranschlagten Kosten liegen EU-weit bei 1,1 Millionen Euro. In den Mitgliedstaaten kämen weitere 768.000 Euro hinzu. Das Geld wird unter anderem für die Beschaffung einer Software verwendet, mit der die unterschiedlichen IT-Systeme der teilnehmenden Staaten synchronisiert werden. Nach einem Vorschlag der Kommission könnte hierfür die gerade bei der Polizeiagentur Europol eingeführte Anwendung „Ma3tch“ genutzt werden, die bislang für Finanzermittlungen eingesetzt wird. Deutlich kostspieliger sind jedoch die späteren Betriebskosten, die von der Kommission auf bis zu 13,5 Millionen geschätzt werden.
Jedoch könnten die tatsächlichen Kosten etwa das Vierfache betragen, wenn sich die EU-InnenministerInnen wie von der Kommission vorgeschlagen auf die „Suboption“ zur Verarbeitung von Fingerabdrücken einigen. Allein in den Mitgliedstaaten wären dann 37,5 Millionen für die Einrichtung des Fingerabdrucksystems fällig.
Vermutlich käme das Geld für dieses Automatic Fingerprint Identification System (AFIS) jedoch aus einem anderen Finanztopf. Denn die Verarbeitung von Fingerabdrücken wird derzeit in mehreren EU-Datenbanken implementiert, darunter im Schengener Informationssystem SIS II.
Die Pläne zum Ausbau des ECRIS werden mit dem Phänomen „ausländischer Kämpfer“ begründet, kursieren aber bereits seit einigen Jahren. Nach den Anschlägen von Paris wurde die Erweiterung im gemeinsamen Riga-Statement und schließlich in der EU-Sicherheitsagenda festgelegt. Allerdings soll das ECRIS auch zur Kontrolle unerwünschter Migration genutzt werden. Entgegen einer Bewertung der Grundrechteagentur sollen auch jene Vorstrafen von Nicht-EU-Angehörigen weitergegeben werden, die im Zusammenhang mit der illegalen Einreise verhängt wurden. Nicht in allen Mitgliedstaaten wird dies jedoch gleichermaßen verfolgt.
„Funktionale Lücke“ in polizeilichen Informationssystemen?
Es ist unklar, auf welche Option zum Austausch von Verurteilungen sich die EU-InnenministerInnen einigen werden. Möglich wäre auch die zentrale Erfassung Drittstaatsangehöriger. Der Vorschlag der Kommission wird am Dienstag auf der informellen Tagung des Rates für Justiz und Inneres diskutiert. Anschließend sollen sich der Ministerrat und das Europäische Parlament damit befassen. Ist das Legislativverfahren abgeschlossen, könnte die Richtlinie ein Jahr später in Kraft treten.
Außer dem ECRIS zum Austausch von Vorstrafen verfolgt die EU-Kommission auch eine Vernetzung der bei Polizeibehörden geführten Kriminalakten in den Mitgliedstaaten. Zur möglichen Einrichtung dieses Europäischen Kriminalaktennachweises (European Police Record Index System EPRIS) hatte die Kommission 2012 eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Anvisiert war, die Einrichtung eines solchen Systems mit der Verfolgung von „Reisenden Gewalttätern“ zu verbinden.
Gemeint sind vorwiegend linke AktivistInnen, die zu grenzüberschreitenden Protesten ins europäische Ausland reisen. Deutsche Bundes- und Landesbehörden unterhalten hierzu teilweise willkürliche Datensammlungen. Für eine Speicherung in der Datei „Politisch motivierte Kriminalität links“ muss beispielsweise keine Verurteilung vorliegen. Auch Kontaktpersonen der Betroffenen werden erfasst.
Im Ergebnis der Studie wurde der „grundsätzliche polizeifachliche Bedarf für einen EU-weiten Fundstellennachweis bestimmter polizeilicher Daten“ festgestellt. Dieser besteht laut der Bundesregierung darin, „eine Erstauskunft darüber zu erbringen, ob und wenn ja in welchem EU-Mitgliedstaat bzw. welchen Mitgliedstaaten zu bestimmten abgefragten Personendaten polizeiliche Informationen vorliegen“.
Die damals vorhandenen Systeme des polizeilichen Informationsaustauschs waren aber laut der Studie nicht geeignet für den Austausch von Daten, die beispielsweise in den Staatsschutz-Abteilungen gespeichert sind. Die Bundesregierung spricht sogar von einer „funktionalen Lücke in den bestehenden polizeilichen Systemen“.
„Kryptokommunikationssystem“ gegen linken Aktivismus
Das könnte sich ändern, denn der Austausch geheim eingestufter Informationen unter europäischen Geheimdiensten und Polizeien wird gegenwärtig neu organisiert. Auch Europol soll zukünftig höher eingestufte Information verarbeiten dürfen, allerdings ist das von Europol betriebene Netzwerk SIENA derzeit nur bis zum niedrigsten Grad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ (EU Restricted) zugelassen. Noch in diesem Jahr ist „Höherakkreditierung“ auf „VS – Vertraulich“ (EU Confidential) vorgesehen.
Laut der Bundesregierung würden auch die „rechtlichen und technischen Aspekte“ eines Europäischen Kriminalaktennachweises nach 2015 weiter geprüft. Bis dahin müssen die Staatsschutz-Abteilungen jedoch nicht auf den europäischen Datentausch verzichten. Eingestufte Informationen etwa über linke DemonstrantInnen werden derzeit auf Ebene der nicht zur EU gehörenden „Police Working Group on Terrorism“ (PWGT) ausgetauscht.
Die PWGT war von einigen europäischen Staaten ursprünglich als Antwort auf die militanten Gruppen der 1970er Jahre gegründet worden. Nachdem diese ihre Waffen niederlegten, erweiterte die PWGT ihren Zweck um die Jahrtausendwende von „Terrorismus“ auf „gewaltbereiten Extremismus“. Der Datentausch im Bereich der „Politisch motivierten Kriminalität“ wird über ein „Kryptokommunikationssystem“ abgewickelt, das Staatsschutz-Informationen bis zum Verschlussgrad „Geheim“ erlaubt.
Jeder, der einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, soll künftig lebenslänglich europaweit stigmatisiert werden. Als würde die Endlos-Stigmatisierung im Geburtsland nicht schon ausreichen. Künftig soll es schwieriger bzw. unmöglich werden, ein „neues Leben“ anzufangen.
Stellt sich die Frage: Wenn man Menschen derart in die Enge treibt, fördert das nicht sogar Straftaten bei diesen Menschen? Nach dem Motto: „Ist doch sowieso egal, ich habe ohnehin keine Perspektiven mehr!“
Noch dazu kann das dann von Hinz & Kunz europaweit abgerufen werden. Wir können also die Uhr danach stellen, bis solche Datensätze öffentlich bekannt werden, weil sie irgendwo abgesaugt wurden. Oder wer garantiert die absolute Sicherheit für ein solches System? Wie werden potentiell Geschädigte entschädigt? Was tut man für deren Schutz? Ach ich vergaß… Rechtsstaat, Demokratie und so: Nichts wird natürlich dafür getan!
Und natürlich sind solche Datensätze geheim. Betroffene erfahren davon erst, wenn sie an der Grenze eine Hand im A****loch spüren. Aber selbst dann wissen sie nicht, warum diese Kontrollen „notwendig“ waren, menschenverachtend, entwürdigend und demütigend sind diese sowieso nicht. Denn man schützt angeblich nur den Bürger. Kein Wunder, wieso gefühlt immer mehr Menschen „austicken“ und eine „finale“ Lösung in Kauf nehmen.
Ich dachte immer, wir bauen auf das Prinzip Resozialisierung. Auch Straftäter sollen nach Verbüßung der Haft eine zweite oder gar dritte Chance erhalten. Dem scheinen solche ausufernden Datenkranken aber nicht so.
„Nicht-EU-Staatsangehörige“ :D nach „Asylant“, „Flüchtling“, „Schutzsuchender“ mal wieder ein neues Wort dafür. Die lassen aber auch nichts aus, um die Situation für sich auszunutzen. Was jetzt, alle verurteilte Straftäter, „nur“ Vorbestrafte, auch Verdächtige (Linke), wie siehts mit eingestellen Verfahren (vergl. Edathy). Deutschland und die EU brauchen dringend einen Verfassungszusatz mit dem Thema >Bürgerdaten<
Irgendwie passend:http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hamburg-nazi-devotionalien-und-waffen-bei-polizist-entdeckt-a-1073403.html
Im Zweifel wissen dann die EU-Mitgliedstaaten besser bescheid, als die eigenen Behörden.
Eine Vernetzung der Kriminalakten ist eine ganz schlechte Idee. Eine kürzliche Prüfung des bayerischen Datenschutzbeauftragten hat ergeben, dass es eine strukturelle Rechtswidrigkeit bei der Polizei in Bayern bzgl. der Datenspeicherung gibt:
http://www.heise.de/ct/ausgabe/2016-13-Fragwuerdiger-Datenschutz-in-Polizeisystemen-3227333.html
Solange die Polizei rechtswidrig Daten speichert, muss eine europaweite Vernetzung ausgeschlossen bleiben.