Ganz abgesehen von der berechtigten Frage, „was Wissenschaftsverlage heute eigentlich noch leisten?“, sind es vor allem die Geschäftspraktiken der großen Verlage wie Springer und Elsevier, die unter Wissenschaftlern und Bibliothekaren für Unmut sorgen. Fantasiepreise für wissenschaftliche Zeitschriften und exorbitante Preissteigerungen in den letzten Jahren haben der Journalbranche nicht nur „Gewinnraten wie der Waffen- und Drogenhandel“ (Fröhlich, S. 185) verschafft, sondern auch „Zeitschriftenkrise“ zum geflügelten Wort in Bibliotheken gemacht.
Vor allem Marktführer Elsevier hat einen besonders schlechten Ruf. Die Bibliothek der Universität Erlangen-Nürnberg hatte beispielsweise 2013 eine Liste der 20 teuersten Zeitschriftenabonnements veröffentlicht – 19 davon waren Elsevier-Zeitschriften. Bereits 2012 hatte Field-Medaillen-Gewinner Tim Gowers in seinem Aufruf „The Cost of Knowledge“ Wissenschaftler zum Boykott von Elsevier aufgerufen. Tatsächlich sind die Wissenschaftsverlage nämlich angewiesen auf Wissenschaftler, die für Verlage kostenlose Tätigkeiten wie Begutachtung von Aufsätzen und Mitarbeit in Herausgebergremien übernehmen.
Neue Petition gegen „Sharing Policy“
Seit kurzem gibt es auf der Seite von „Cost of Knowledge“ den Hinweis auf eine neue Petition mit dem Titel „Defend your right to share“. Anlass und Adressat ist neuerlich Elsevier. Der Verlag hatte Ende April diesen Jahres eine neue „sharing policy“ betreffend Autorenrechte in wissenschaftlichen Zeitschriften in Kraft gesetzt. Zur Veröffentlichung akzeptierte Manuskripte von Elsevier-Publikationen dürfen demnach erst nach Sperrfristen von bis zu 48 Monaten in Repositorien frei zugänglich gemacht werden; zuvor war das ohne Frist möglich.
Die Confederation of Open Access Repositories (COAR), ein internationaler Verband von Repositorien, hat deshalb eine Stellungnahme gegen diese Änderung verfasst und um Unterstützungserklärungen gebeten. Bis dato haben über 270 Organisationen und über 2600 Einzelpersonen unterzeichnet.
Ausweg Open Access?
Die beste Lösung für das Problem wäre natürlich die (stärkere Förderung von) Publikation in Open-Access-Zeitschriften, die ihre Inhalte sofort frei zugänglich veröffentlichen – Sperrfristen gibt es dann logischerweise keine. Der Grund für die nur langsame Verbreitung von Open-Access-Zeitschriften ist die Reputation etabliert-traditioneller Zeitschriften. In den allermeisten Disziplinen entscheidet die Veröffentlichung in möglichst anerkannten Zeitschriften über Karrierewege, d.h. den Verbleib in der Wissenschaft („publish or perish“), und die Vergabe von Forschungsförderungsmitteln.
Die Bedeutung des Verlags für die (Aufrechterhaltung der) Reputation einer Zeitschrift ist dabei sehr gering. Einmal etablierte Zeitschriften können ihre zentrale Stellung auf Grund von sich selbst stabilisierenden Effekten meist sehr einfach gegen Newcomer verteidigen – Open Access hin oder her. Denn etablierte Zeitschriften verfügen in der Regel über prominent besetzte Herausgeber- und Gutachterkreise, werden viel gelesen und zitiert, was wiederum zu vielen Artikeleinreichungen und entsprechend hohen Ablehnungsraten führt – alles Kriterien für die Reputation einer wissenschaftlichen Zeitschrift.
Open-Access-Zeitschriften, die es trotz dieser Pfadabhängigkeit wissenschaftlicher Reputation geschafft haben, sich zu etablieren, waren deshalb auf das Engagement besonders angesehener Akteure wie, im Fall der Public Library of Science, Nobelpreisträger angewiesen. Der zweite Hebel, um Open-Access-Zeitschriften zum Durchbruch zu verhelfen, sind Open-Access-Verpflichtungen bei überwiegend öffentlich finanzierter Forschung. Klarerweise hat Elsevier auch dagegen etwas einzuwenden und spricht sich in einer Erklärung klar gegen jede Form der Verpflichtung zu Open Access aus.
Persönliches Fazit
Ich persönlich würde mir als betroffener Wissenschaftler Open-Access-Verpflichtungen wünschen. Derzeit ist es nämlich so, dass ich bei der Veröffentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften in der Regel gezwungen bin, mittels standardisierter Formulare weitreichende und exklusive Rechte einzuräumen. Ausnahmen davon gibt es in diesen Formularen interessanterweise nur für jene Fälle, in denen staatliche Stellen wie die große US-Forschungseinrichtung NIH Open Access vorschreiben. Alternativ würde eine Ausdehnung und Stärkung von unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechten im Wissenschaftsurheberrecht helfen, das Problem (überlanger) Sperrfristen zu vermeiden.
[Nachtrag, 01.09.2015] Weitere Einblicke in die Geschäftspraktiken von Elsevier & Co liefert ein Beitrag von Christian Gutknecht bei wisspub.net, der seit kurzem öffentlich zugängliche Zahlungen der ETH Zürich an Elsevier, Springer und Wiley analysiert. Er kommt zum Schluss, dass mit den bestehenden Mitteln ein Umstieg auf Open Access möglich wäre und verweist auf erfolgreiche Verhandlungen in den Niederlanden:
Dass man aber diesen Druck aufbauen muss und kann, zeigen die Niederländer, die mit Springer einen wegweisenden Deal erreicht haben, von dem man hört, nur 8% teurer zu sein, als was bisher jährlich bezahlt wurde. Neben Zugang zu SpringerLink können niederländische Autoren seit Anfang 2015 ohne zusätzliche Kosten Gold/Hybrid Open Access publizieren.
Das niederländische Beispiel zeigt jedoch auch wieder, dass es vor allem kollektiver Anstrengungen braucht, um der Verhandlungsmacht der Verlage etwas entgegensetzen zu können.
[/Nachtrag]
Open Access ist sicherlich eine gute Idee. Es darf jedoch nicht dazu führen, dass Standards herunter geschraubt werden.
Im englischen juristischen Bereich habe ich mich mal länger damit beschäftigt. Da gibt es hunderte Projekte mit Open Access. Aber: viele veröffentlichen einfach alles (Qualität) oder nur Online (noch nicht unbedingt überall zitierfähig).
Open Access muss aus meiner Sicht oft noch stark an der Professionalität arbeiten. Das wird sich auch leider von heute auf morgen nicht ändern lassen. Verlage verdienen sicherlich gutes Geld und die oben genannten nehmen es vielleicht auch nicht immer zu genau mit der Qualität, aber dennoch gibt es natürlich auch keine ernstzunehmende Fachzeitschrift mit Online-Hobby-Redaktionen. Da müssten schon wie im Artikel beschrieben „Zugpferde“ aus der Wissenschaft wie Nobelpreisträger mit einsteigen um ein gewissen Fundament zu ermöglichen.
Open Access ist zunächst einfach nur ein anderes Geschäftsmodell, wie das vielfach kritisierte Abo-Modell, das auf Subskription der Inhalte durch Bibliotheken basiert. Es gibt mittlerweile hunderte, wenn nicht tausende etablierte Fachzeitschriften oder Periodika, die – auch – Autoren die Möglichkeit geben, Open Access zu publizieren. (Umgekehrt gibt es unter den ca. 20.000 „klassischen“ Fachzeitschriften allein im STM-Bereich sicher einen nicht kleinen Prozentsatz, der sehr mässige oder auch schlechte Arbeiten publiziert.) Mit der Qualität oder dem redaktionellen Prozess hat das also rein gar nichts zu tun, wie die Liste der OA-Verlage zeigt: zum Beispiel Nature, Science oder der renommierte Springer Wissenschaftsverlag. Warum wird in der Diskussion also immer wieder der „Qualitäts“-begriff aus der „Mottenkiste“ der Anti-Open-Access-Bewegung der 2000er Jahre geholt, manchmal sogar von denen, die OA befürworten (sollten)?
Ich hab ja nicht die Qualitätsdebatte aus der Mottenkiste geholt, sondern auf konkrete Erfahrungen verwiesen. Die machen nun mal leider den Ruf kaputt. Explizit eingeschränkt auf den mir bekannten juristischen Bereich habe ich es auch. Ich denke man darf durchaus zwischen OpenAccess als guter Idee und der bisher noch nicht grade erfolgsversprechenden Umsetzung unterscheiden.
Vielleicht bin ich dem Thema nicht genug drin, aber was ist denn bitte ein OpenAccess Verlag? Einer der neben der Veröffentlichung auch OpenAccess erlaubt?
Ok, aber das ist ja nur ein erster Schritt in einer sehr langen Kette. Wichtig ist ja, dass ich nachher auch an das Endprodukt ran komme. Und da sehe ich eben das Problem.
Irgendwer müsste eben eine Datenbank oder ähnliches pflegen und ggf. bei Wegfall der Verlage ja auch für eine Begutachtung und somit für Qualität sorgen. Gibt es denn relevante OpenAccess Projekte die so etwas anbieten?
Die angesprochenen Sperrfristen gab es bei Springer (Heidelberg) schon vor Jahren.
In einer Demokratie verdienen die Menschen die Regierung, die sie gewählt haben. Dieser Spruch lässt sich für die Publikationspfade im Wissenschaftsbetrieb abwandeln.
Man mag nicht gleich an Betrug und Täuschung in der Wissenschaft denken, aber auch die gibt es, und davon waren immer auch Top-Zeitschriften betroffen. Die Probleme wissenschaftlichen Publizierens sind subtiler Natur. Längst geht es nicht nur um wissenschaftliche Erkenntnis und deren Verbreitung. Die Niederungen menschlichen Daseins auf der einen Seite, und die Gipfel betrieblicher Gewinnmaximierung auf der Seite der Wissenschaftsverlage, stecken die Nebenschauplätze der Akteure ab.
Zudem gibt es auch noch systembedingte Einflüsse, wie Allokation von Fördermitteln und informelle ideologische Einflussfaktoren. All dies zusammengenommen hat einen gewaltigen Einfluss nicht nur auf die Art und Weise wie und was publiziert wird, sondern auch auf die Auswahl von Forschungsfeldern und Methoden wissenschaftlichen Arbeitens. Man kann es auch „bias“ nennen.
Das Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen kann man als gegenseitiges Schmarotzerverhältnis zum Zweck der Bildung einer symbiotischen Verbindung bezeichnen. Die Pflege von persönlichen Eitelkeiten war schon immer etwas teurer, wie auch die Kaschierung von Unzulänglichkeiten. Dienstleister, die dies Bedienen wissen, dass sie dafür fast alles verlangen können. Dass hier der Gedanke an Prostitution gepflanzt wird, ist nicht ganz unbeabsichtigt (vgl. Frey, 2004, Publizieren als Prostitution?)
Publizieren ist immer auch Filtern und Selektieren. Dieser Aspekt wird gerne und oft verschwiegen. Was und wie wird gefiltert? Darüber sollte mehr gesprochen werden, der Verdacht subtiler, informeller Steuerung steht im Raum und steht im Widerspruch zum Selbstverständnis von Wissenschaft. Würden Top-Zeitschriften etwa an Exklusivität verlieren, wenn sie 50 Seiten mehr Inhalt umfassten (bei gleichem Vk-Preis!), oder wären die Leser ob des Umfangs überfordert?
Der Muff unter den Talaren hat sich in die Wissenschaftsverlage verzogen. Dort wird er kultiviert und stinkt unvermindert weiter. Open Access reißt Türen auf und sorgt für Frischluft.
Müsste man wohl die großen etablierten Journals boykottieren, bis die auf ein Open Access-Modell umsteigen. Aber übergeordnet macht es wenig Sinn für die Wissenschaft das erarbeitete Wissen durch profitorientierte Unternehmen verwalten zu lassen. Man sollte grundsätzlich nur mit nonprofits zusammenarbeiten.
Ich weiss nicht so recht, ob das niederländische Modell wirklich als Vorbild taugt. Letztlich führt das dazu, dass zentralisiert entschieden wird, wo Forschungsergebnisse veröffentlicht werden können und wo nicht. Und dass so eine zentrale Steuerung missbraucht werden kann, um missliebige Forschungsfelder zu schikanieren, versteht sich von selbst.
Ein weiterer Unterschied zwischen Artikeln in closed-access Zeitschriften und Open Access sind die Möglichkeiten für den Konsumenten. Restriktive Verlage benutzen starkes oder schwaches DRM und können so beispielsweise auch das Ausdrucken einschränken oder digitale Wasserzeichen ins PDF machen (vgl. aktuell dazu bei E-Books: http://www.heise.de/newsticker/meldung/E-Books-Auch-Random-House-Deutschland-rueckt-von-hartem-DRM-ab-2783033.html ). Bei Open Access Artikeln kenne ich so etwas nicht. Ebenfalls verbieten Verlage häufig Data Mining bzw. legen hier sehr restriktive Regeln fest. Da die Menge der publizierten Literatur aber immer weiter ansteigt, werden solche automatisierten Ansätze für gewisse Aufgaben immer wichtiger. Kürzlich hat Elsevier hier seine Policy geändert und wurde daraufhin auch von der europäischen Vereinigung der Forschungsbibliotheken (LIBER) kritisiert: http://libereurope.eu/blog/2014/03/28/liber-responds-to-elseviers-text-and-data-mining-policy/ .
Doktoranden stehen bei der Veröffentlichung ihrer Artikel ebenso vor folgendem banalen Problem: bei den etablierten Journals können sie mitunter wählen. Für die OA-Variante müssen sie aber selbst (viel) zahlen; für die closed-access-Variante nicht(s). Jetzt könnte jeder Doktorand kalkulieren, dass OA mehr gelesen & damit ggf. mehr zitiert & somit diese Investition aus Reputationsgründen gerechtfertigt wäre. Aber Geld ist und bleibt ein knappes Gut & Entscheidungen unter Unsicherheit (wie hier) werden tendenziell mit „nein“ getroffen. Sprich, die OA-Variante ist mit finanziellen Hürden verbunden.
„mit den bestehenden Mitteln ein Umstieg auf Open Access möglich wäre“
Man braucht weder Einstein sein, noch eine gross angelegte Studie zu lesen, um zu sehen, dass man mit ca. 2% der zurzeit gezahlten Subskriptionskosten komplett auch Open Access umstellen könnte:
lt. Outsell, Inc. zahlen wir in etwa 10Mrd Dollar pro Jahr an Abonnements. Bei 2M publizierten Artikeln sind das gut US$5000 pro Artikel. Seit über 15 Jahren publiziert das Konsortium SciELO (ursprünglich Brasilien, mittlerweile fast ganz Südamerika und Teile Afrikas) für ca. 60-200 Dollar pro Artikel vollständig Open Access. D.h. wenn wir morgen auf SciELO umsteigen würden, hätten wir grobe 9,8Mrd Dollar übrig und alle Zugangsprobleme gelöst.
„Ich persönlich würde mir als betroffener Wissenschaftler Open-Access-Verpflichtungen wünschen. “
Dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen. Wenn bei Förderung durch bestimmte Institutionen DFG/ERC etc. eine OA-Verpflichtung auferlegt würde, dann könnten diese Förderer auch den Preis drücken. Bei einer zentralen Verhandlung würde Elsevier sicherlich nicht so stark auftreten, da die Drittmittel nicht von schlechter Qualität herrühren.
Normale (Konsum-) Güter haben nur einen Zahler, nämlich den Nutzer. Medien können bis zu drei Bezahler haben: Auftraggeber (Firma, Institution, Herausgeberin, Autor), Nutzer (Leserin, Bibliotheken etc.) und Werbetreibende. Oft gibt es eine Mischfinanzierung wie bei Magazinen oder auch dem konventionellen wissenschaftlichen Publizieren. Aber bei Belletristik zum Beispiel ist es nur der Leser und beim Open Access Publishing (OAP) eben nur der „Auftraggeber“, weil ja keine Kauf-/ Nutzungsentgelte geleistet werden und Werbung hier (bisher) eher verpönt ist.
Was gibt der nun beim OAP „in Auftrag“, d. h. worin besteht die Wertschöpfung? Nicht in den (Roh-) Inhalten, sondern in der Informationsaufbereitung und der Dissemination. Dies sind ganz überwiegend technische Leistungen und damit verbundene Prozesse (Aufbereitung von Dateien jeglicher Art, Redaktions- oder Content-Management-Systeme, Erarbeitung von Metadaten, Betreiben von Datenbanken und Webservern, Entwicklung von Nutzeroberflächen usw.). Hinzu kommen die Begutachtung durch Peer Review durch (meist unbezahlte) Dritte oder auch das Editorial Review, die aber prozessual auch unterstützt sein wollen.
Das ist alles unabhängig von der Frage, wer diese Leistung erbringt. Vergessen kann man den Begriff Verlag, denn es wird nichts „vorgelegt“, es geht um Informationsdienstleistung. Grob gesprochen gibt es drei Anbietergruppen: staatliche Einrichtungen, Großverlage, mittelständische Verlage. Letztere wurden im Artikel und in den Kommentaren bedauerlicherweise nicht erwähnt. Was können die Kriterien zur Auswahl des/der Dienstleister(s) sein: Servicefreundlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Preis, Qualität der Prozesse und Ergebnisse, Reichweite, Renommee, Unabhängigkeit, Vielfalt der Anbieter, Innovationskraft usw.
Je nach dem, worauf man Wert legt, wird man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen – zumindest bei undogmatischer Betrachtung. Jedoch haben mittelständische Informationsdienstleister erstaunlich flexible Modelle entwickelt – auch was die Verwertungsrechte einschließlich OAP angeht. Hinschauen lohnt sich, wenn man nicht nur in den Trampelpfaden der Vorgänger laufen möchte.