Habt ihr schon einmal etwas Dummes gemacht? Und es dann wieder gemacht? Und wieder? Habt ihr mit Datensätzen herumgespielt? Und wurde daraus politische Kunst? Nein? Dann ist der folgende Artikel eine Inspiration, was man alles mit Datenbanken anstellen kann.
Letzten Mittwoch waren die Keynotes ja nicht das einzige, was auf dem Open Knowledge Festival so los war. Der Nachmittag wartete mit einigen spannenden Veranstaltungen auf. Die verheißungsvolle Überschrift: Just Do One Stupid Thing, and Other Secrets of Making Political Art with Data zog mich zu einer Session, wo zwei Künstler, Josh Begley und Ingrid Burrington, über ihre Leidenschaft sprachen: Kunst aus Daten.
Was investiert die USA in die Geheimdienste?
Ingrid interessiert sich besonders für Karten. Und für die Visualisierung von Daten. Sie wollte gern illustrieren, wie sich die steigende Bedeutung der nationalen Sicherheit der USA – und damit der NSA – auf die unmittelbare Umgebung des NSA-Hauptquartiers auswirkt. Dafür besorgte sie sich Kartenmaterial von ca 2001 bis zur Gegenwart und interessierte sich besonders für eine wachsende künstliche Stadt direkt in Nachbarschaft zur NSA. Die Satellitenbilder sprechen eine deutliche Sprache und stehen stellvertretend für die Millionen – oder Milliarden? – US-Dollar, die in die Geheimdienste und Mitgliederanwerbung gesteckt wurden. Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht – daher muss man sich mit solchen Annäherungen behelfen. Leider sind die Bilder dazu nicht online verfügbar, dafür aber jede Menge anderer Daten- und Kartenprojekte von ihr.
Wie sehen US-Gefängnisse aus? Wie oft sterben Menschen weltweit durch amerikanische Drohnen?
Josh übernimmt an dieser Stelle – unweit des NSA-Hauptquartiers befindet sich nämlich auch ein Gefängnis. Und Josh wollte unbedingt wissen, wie es eigentlich um Gefängnisraum auf der Welt bestellt ist. Seine Nachforschungen mündeten in unzähligen Satellitenbildern von Gefängnissen in den USA. Aufbauend auf einem Ortungswerkzeug für Gefängnisse und den offenen Koordinatendatenbanken von GoogleMaps konnte so unter der Nutzung von Open Data diese Prison Map entstehen. Oder auch die Information, wo überall auf der Welt Gefängnisse sind, und wie sie aussehen.
Aber damit nicht genug. Jetzt beginnen erst die Dummheiten. Denn Josh überlegte sich eines Tages: Wäre es nicht spannend, in Echtzeit zu wissen, wann wo ein amerikanischer Drohnenangriff geflogen wird? Würde ich das wissen wollen? Würde ich wollen, dass mein Smartphone mir dann Pushnachrichten sendet? Er sammelte Informationen über alle bekannten Drohnenangriffe, legte eine Datenbank und eine öffentlich zugängliche API (Programmierschnittstelle) an. Und entwickelte eine App namens Dronestream. Die wurde jedoch vom Apple Store abgelehnt, da sie abstoßendes Material enthalte und kein größeres Publikum ansprechen würde. Josh hätte sich vielleicht nicht so vertieft, wenn er nicht auf Gegenwind gestoßen wäre. Aber jetzt erst recht. Er legte also einen Twitteraccount an – dort kann man auch in Echtzeit Drohnenangriffe verfolgen. Und schrieb eine neue App, mit anderem Namen und schwammigerer Beschreibung. Diese wurde akzeptiert – und macht jetzt genau dasselbe wie die ursprüngliche Dronestream App. Sie ist hier erhältlich.
Ist das jetzt Kunst?
Was Ingrid und Josh uns mitteilen wollen: Oft stehen wir vor großen Datensätzen und können die vielfachen Informationen, die darin enthalten sind, gar nicht erkennen. Oder sie anderen nicht verständlich machen. Die beiden suchen Mittel und Wege, große, umfangreiche, meist öffentlich zugängliche Informationen neu zu ordnen und für Interpretationen zu öffnen. Deswegen versehen sie ihre Projekte nicht mit einer endgültigen Nachricht. Sie heben keinen mahnenden Zeigefinger, aber sie geben anderen die Möglichkeit, selbst nachzudenken. Das kann man fehlgeleiteten Aktivismus nennen, oder eben Kunst. Fragen aus dem Publikum stellten diese Frage – was daran eigentlich Kunst sei. Manchmal ist Kunst eine Kategorie, die vieles erlaubt, was andererseits nicht toleriert wird. Wie Echtzeitdaten von tödlichen Drohnenangriffen in Push-Benachrichtigungen. Manchmal ist Kunst ein Schutzschild, eine Narrenkappe. Kunst ist ein umfassender Begriff, über den sich niemand Bedeutungshoheit anmaßen würde, aber in diesem Fall meint er auch: Es wird keine eindeutige Nachricht mitgeschickt. Der Betrachter kann darüber sinnieren und sich eine Interpretation zurechtlegen. Eigene Fragen stellen. Das ist Ingrid auch wichtig, die eigentlich noch mit der Gruppe einen neuen Datensatz ansehen wollte: Die Daten eines Schiffes, das immer zwischen seinem Heimathafen in den USA und verschiedenen Orten in China verkehrt, wann es wo war, was es wann geladen hatte, von wem und wie viel. Und dass eine solche Excel-Tabelle in ihr Fragen weckt, die sie sofort anfängt zu stellen. Jeder der Anwesenden sollte das für sich mit nach Hause nehmen: Daten erzählen Geschichten. Sie lassen sich in jeder möglichen und unmöglichen Form wiedergeben. Ein künstlerischer Ansatz schafft neue Perspektiven. Und macht offene Daten auf ganz andere Art erfahrbar.
Vielleicht kann man über den Kunstbegriff streiten, aber notwendig ist die Arbeit auf jedem Fall !
Je nachdem, wie man den Kunstbegriff fasst kann man da natürlich x-beliebiges darunter verstehen. Daher ist es hilfreicher von Datenvisualisierung zu sprechen, wenn man betonen möchte, dass hierbei tatsächliche Daten widergespiegelt werden sollen, dh. insbesondere, dass in diesem Fall die Daten nicht einfach beliebig manipuliert werden, sondern möglichst realitätsnah veranschaulicht werden. Dh heisst hier, so wie ich die Aktion hier verstehe, dass wenn Fotos von Gefängnissen in zeitlicher Abfolge gezeigt werden, dann ist das eher eine Dokumentation, also in gewissem Sinne Datenvisualisierung (kann man natürlich auch Kunst nennen), pinselt man da noch phantasievoll was dazu, dann ist das eher keine Visualisierung mehr sondern nur noch Kunst.