Kommentar: Sigmar Gabriel und das Feindbild Silicon Valley

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Die SPD hat bemerkt, dass man “Netzpolitik als moderne Gesellschaftspolitik verstehen” muss. Auf einem Parteikonvent #DigitalLeben wurde am vergangenen Samstag ein Diskussionspapier auf den Weg gebracht. Der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, hielt dort eine 35-minütige Rede. Sie war “Das Digitale ist politisch” betitelt.

So sprach der Vizekanzler:

„Und wenn wir uns heute anschauen, wer im Besitz der neuen Währung ist, nämlich Daten, dann sind das einige wenige amerikanische Konzerne. Ich finde es geht schon auch um die Frage, wie wir den Freiheitsanspruch gegenüber dem Staat – Stichwort Geheimdienste und anderes – aber auch gegenüber dem Markt und monopolistischen Unternehmen jedes Menschen rechtfertigen.“ [Gabriel weicht vom Manuskript ab, Video ab 19.45 min]

Das klingt schon etwas lachhaft aus dem Munde eines Mitglieds einer Regierung, die unlängst dem parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschuss viele Seiten komplett geschwärzter Unterlagen übergab.

Aber lassen wir das Thema Geheimdienste mal beiseite. Das Bild von Daten als Währung ist zwar griffig, aber falsch. Die Daten sind eher als Rohstoff zu verstehen. Doch Gabriel geht es eben um das Plakative. Und das ist das unangenehme, weil er so unverfroren Ressentiments heraufbeschwört.

Gabriel meint:

„So, wie wir damals den Manchester-Kapitalismus für die Menschen gebändigt haben, ohne als Maschinen-Stürmer die Industrie zu verteufeln und abzuschaffen, so müssen wir heute den Silicon-Valley-Kapitalismus zähmen!“ [13.55 min]

Und später:

“Die Zähmung des Silicon-Valley-Kapitalismus, die Zivilisierung und Humanisierung des digitalen Wandels ist eine historische Herausforderung.” [29.12 min]

Sonst, so legt es zumindest die Rede von Gabriel nahe, bräche sich “ungebremste Kommerzialisierung und totalitäre Tendenzen” die Bahn.

Der Begriff “Silicon-Valley-Kapitalismus”, soweit ich das überblicke, tauchte im Rahmen der Debatte über das Leistungsschutzrecht erstmals 2012 in der FAZ auf und war selbstredend vor allem auf Google gemünzt.

Eben dort in der FAZ, im Mai diesen Jahres, ließ sich Gabriel über “Die Demokratie im digitalen Zeitalter” aus und stieß in ein ähnliches Horn wie jetzt auf dem Parteikonvent. Damals schrieb er über einen “Datenkapitalismus”, der für ihn offenbar ebenfalls von Google versinnbildlich wird:

“Aufgabe der europäischen Politik ist es, mit der Kraft einer kristallklaren Analyse, aber auch mit der Eingriffsmacht eines großen Wirtschaftsraums in der Lage zu sein, die demokratisch legitimierte Rechts- und Marktordnung des digitalen Zeitalters neu zu formulieren und dann durchzusetzen, ja durchzukämpfen, wo es sein muss.”

Was will Gabriel sagen? Ist die Rechts- und Marktordnung in den USA nicht demokratisch legitimiert? Was meint er mit totalitären Tendenzen? Die Geheimdienste? Und hat die Bundesregierung mit dem Thema nicht mindestens genauso viel zu tun wie das Silicon Valley? Kommen Roboter sowie Software nur aus Kalifornien und werden wirklich nur dort Daten gehortet? Sind die Arbeitsbedingungen an der amerikanischen Westküste tatsächlich so schlimm oder bezieht er sich auf die Fertigung der Hardware in China? Warum wäre ein “rheinischer” oder ein europäischer Kapitalismus hier die bessere Wahl? Werden die Rahmenbedingungen des herrschenden Kapitalismus nicht durch die Welthandelsorganisation WTO bestimmt – und durch Handelsabkommen wie etwa das umstrittene TTIP? Und ist es nicht ausgerechnet Gabriel, der als Wirtschaftsminister dieser Tage für eben dieses Abkommen die Trommel rührt?

Wir erfahren es nicht. Weil Gabriel sich hier offenbar in den Dienst der nationalen oder europäischen Wirtschaftsförderung stellt. Nehmen wir mal an, dass es ihm (bzw. seinen Redenschreiber) dabei gar nicht um einen plumpen Anti-Amerikanismus geht. Sondern er sich hier nur dem Feindbild “Silicon Valley” einer Verlegerlobby bedient. Weil es so schön simpel gestrickt ist.

Dem beschworenen Aufbruch der SPD in eine netzpolitische Zukunft tut Gabriel damit keinen Gefallen; der leidet darunter und erhält einen dunklen Unterton. Gabriel konterkariert seine in der Rede getroffene Behauptung, keine „Angstdebatte“ führen zu wollen. Seine ganze Rede ist durchzogen von einem unheilvollen Unterschwang. Von einer Idee, welcherlei Gestalt die „Zukunftschancen des Digitalen Wandels“ annehmen könnten, ist vom SPD-Vorsitzenden kein Wort zu vernehmen. Nur mit Leerformeln kann Gabriel kaschieren, dass er davon offenbar keinen blassen Schimmer hat.

9 Ergänzungen

  1. Vielen dank für die Einbettung des Videos. Das fand ich dann doch überzeugender, als dieses gebashe hier.

    1. Wenn man das Video sieht, bekommt man nur aufgewärmten SPD Pathos (Freiheit, Fortschritt für alle) von jemanden der gerade aktuelle Verhandlungen über genau dieses Thema mit etwas anderen Vorzeichen führt … Lustigerweise geht er auf diese dabei gar nicht ein, seltsam, oder?

  2. Ich kann leider nur zustimmen. Mir ging es ähnlich. Ich erkenne auch keinen Unterschied zwischen Gabriel und Merkel mehr. Beide reden inhaltslosen Phrasen und hängen am Ende noch ein „und das ist das, wofür wir uns als $PARTEI immer eingesetzt haben“ dahinter … Am schlimmsten finde ich, dass Gabriel keine klaren Ziele nennt, die er in der Digitalen Gesellschaft verteidigen will und die Handelsabkommen in die er als Bundeswirtschaftsminister involviert ist ausklammert. Ich habe da leider keine netten Worten für …. auch wenn ich andere Parteien hier gar nicht mehr kommentieren möchte. Von der SPD erwarte ich einfach mehr. Zum Beispiel mal einfach „NEIN“ sagen und gucken was dann passiert …

  3. Naja, ein Optimist könnte vermuten, dass die SPD endlich aufgewacht ist und das Thema „Zukunft der Arbeit“ entdeckt hat. Vielleicht hat ja jemand „Humans need not apply“ bei Youtube gesehen, oder das Buch von Frank und Constanze gelesen.

    Aber „glücklicherweise“ wissen wir ja alle, dass solch eine sinnvolle Wendung seitens der SPD völlig unrealistisch ist. Deswegen schmettern wir dem Optimisten aus voller Kehle entgegen: Willkommen in Deutschland! Alles ist Scheiße!

  4. Es sieht so aus, als wenn Sigmar Gabriel mit der Netzpolitik die SPD zerstören will, wie er es vorher schon der Kohlewende gemacht hat. In Thüringen hat die SPD dann auch letzte Woche ein Drittel ihrer Wähler verloren und ist nur noch in der Größenordnung der AfD. In Brandenburg haben die Wähler seit vielen Jahren die Nase voll und bleiben zur Hälfte zu Hause.

    Der Hammer war dann am Wochenende die Heuchelei mit dem #digitalleben. In den 1990ern hatte die SPD den Virtuellen Ortsverein und es gab die erste Netzenquete. Folgenlose Schrankware. Dann kam drei Jahre lang die zweite Enquete mit folgenloser Schrankware. Ein weiteres vertanes Jahr mit der GroKo, aus der nur eine katastrophale Digitale Agenda herauskam. Die Enquete-Mitglieder wurden in einen bedeutungslosen Ausschuss ohne Federführung für gar nichts gesteckt. Wie zynische Eltern: „Kinder, geht spielen. Aber stört die Erwachsenen bei der richtigen Politik nicht. Wir müssen Waffen in alle Kriegsgebiete der Welt schicken. Arbeitsplätze mit dem Töten anderer.“ Am Rande: Krupp hat nach dem Krieg auf die Produktion von Waffen verzichtet. Die Waffenhändler von der SPD schicken neuerdings direkt in brennende Kriege hinein und verzichten auf jede Diplomatie. Sie lassen nur noch Waffen sprechen wie im Irak.

    Und dann kommt Gabriel und faselt seine Hasspropaganda gegen Apple, Google und das Valley. Schwafelt davon, dass die keine Steuern hier zahlen. Als ob wir vergessen hätten, dass die SPD in den 2000er Jahren neoliberale Steuerpolitik gefahren hat, de die Schlupflöcher aufgemacht und verbreitet hat, die andere jetzt nutzen. Seit 1997 wird z.B. die Vermögenssteuer nicht mehr erhoben. Wie oft hätte die SPD das ändern können? Tat sie nicht. Sie versteift sich nun auf antiamerikanische, nationalistische Hasspredigten als Ablenkung von ihrer asozialen Umverteilung. Pispers gucken!
    https://www.youtube.com/watch?v=OpFNlNK8j20

    Der Hammer ist eigentlich ein anderer: Vorne spielt die SPD im Stream für die Dummen „Warten auf das Internet“ mit Tante Gesche und hinten wird dann auf dem selben Parteikonvent geheim ohne Stream über TTIP verhandelt. Aber selbst die 200 Abgeordneten werden vom zuständigen Minister verarscht: es wird nicht über den aktuellen Vertragsentwurf diskutiert, der ist ja geheim und soll zu Abschaffung der Demokratie durch Sigmar Gabriel geheim bleiben. Es wir nur über ein Positionspapier geredet. Positionen, die man gerne hätte, wenn man wüsste was verhandelt wird, das man aber nicht wissen darf, weil es geheim wird. Es wird geheim über Geheimes verhandelt, das die nicht kennen, die geheim darüber verhandeln. Absurder und undemokratischer geht es kaum.

    Diese SPD ist nicht mehr von dieser Welt. noch. Sie hat mit der alten nichts mehr zu tun. Es sind Plünderer, die geheim die Bürger undemokratisch plündern. Beim Mindestlohn, den es gesetzlich in dieser ach so kapitalistischen USA seit den 1930ern gibt und der dort nicht zum Bankrott der Wirtschaft geführt hat, hat man selbst das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ fallen gelassen, mit der die Frauenbewegung sich noch mit der SPD arrangieren konnte. Heute gibt es Mindestlohn nach Sozialstatus nicht mehr nach Leistung: bist du Hartz4er, bekommst du weniger, als jemand der vorher eine andere Arbeit hatte. Bis Du Schüler, bekommst Du weniger, weil du Schüler bist. Leistung ist egal bei der SPD. Bezahlt wird Arbeit jetzt nach Sozialstatus vorher. Eine Verhöhnung von Schülern, H4ern, Frauen und anderen. Insbesondere wenn die in die kapitalistischen USA sehen, wo der Mindestlohn für alle gleich ist.

    Sigmar Gabriel macht mit seinen irrationalen Hasspredigten die SPD und das Land kaputt,.

  5. Mir fällt mittlerweile kein Politiker mehr ein, der verlogener als Gabriel daherkommt. Ich hoffe, die Wähler bauen bei den nächsten Wahlen einen so großen Druck auf die SPD auf, dass deren Mitgliedern gar nichts anderes übrigbleibt, als die jetzige Kamarilla zum Teufel zu jagen.

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