Jeremy Rifkin über die Null-Grenzkosten-Gesellschaft

Jeremy Rifkin by Stephan Röhl – CC BY-SA 2.0

Sie können es einfach nicht lassen. Keine Berufsgruppe sagt so leidenschaftlich gern die Zukunft voraus wie die der Ökonomen. Und liegt dabei ständig falsch. Den aktuellsten Versuch hat Jeremy Rifkin, Wirtschaftsprofessor an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania, unternommen. Für sein neues Buch „Die Null-Grenzkosten Gesellschaft – Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus“ ist er aktuell auf Werbetour in Deutschland. Wir nehmen seinen gestrigen Auftritt in Berlin mal zum Anlass, uns etwas genauer mit seinem neuen Werk auseinander zu setzen.

Seine These: Das Super-Internet der Dinge schafft die Grenzkosten ab

Der Titel sagt eigentlich schon sehr genau worum es geht: Eine neue Form des Wirtschaftens wird entstehen, weil technologische Umwälzungen die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null reduzieren. Mit Grenzkosten bezeichnen Ökonomen die Kosten, die für jede zusätzlich produzierte Einheit eines Guts anfallen. Wenn die Grenzkosten gleich Null sind, kann man demnach quasi kostenlos produzieren, sobald die Fixkosten gedeckt sind. In der klassischen VWL geht man davon aus, dass der Preis für ein Produkt gleich den Grenzkosten ist. Rikfin dreht diese Argumentation nun weiter und behauptet: wenn die Grenzkosten fast Null sind, können Unternehmen auch keinen Profit mehr machen, und das führt langfristig in vielen Sektoren zu einem Rückzug des Kapitalismus.csm_9783593399171_2f723ad016_rikfin Diese Lücke füllt dann die Sharing Economy, die gemeinsam mit dem zurückgedrängten Kapitalismus ein hybrides Wirtschaftssystem bildet.

Rifkin untermauert seine Kernthese mit zahlreichen Beispielen, etwa der Niedergang der Medien durch eBooks und Blogs, die Ablösung klassischer Universitäten durch Massive Open Online Courses (MOOCs) oder erneuerbare Energien, die uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen. Tatsächlich sind das alles Bereiche, in denen die Grenzkosten der Produktion seit Jahren sinken, aber brandneu sind diese Erkenntnisse nicht. Rifkins Buch unternimmt daher den Versuch, aus diesen Trends eine übergeordnete Entwicklung abzuleiten und vorherzusagen. Er prognostiziert, dass ein „Super-Internet der Ding“ entstehen wird, das die globale Infrastruktur der Kommunikation, der Logistik und der Energie miteinander vernetzt. Obendrein wird Hardware stetig billiger, wodurch in vielen weiteren Bereichen die Grenzkosten gesenkt werden.

Sein Motto: Übertreibung veranschaulicht

Warum die Reduktion von Grenzkosten auf nahezu Null zwangsläufig zum Rückzug des Kapitalismus führen soll, bleibt meiner Meinung nach teilweise unklar. Kann man nicht eher eine Ausweitung der Ökonomisierung der Gesellschaft beobachten, wie es erst kürzlich wieder Byung-Chul Han in der SZ beschrieben hat? Er schreibt pointiert: Airbnb ökonomisiere sogar die Gastfreundschaft. Die Sharing Economy sei also keine emanzipatorische Entwicklung, sondern die radikale Kapitalisierung aller Lebensbereiche. Ein beschleunigter, kein gebremster Kapitalismus.

Diese Kritik ficht Rifkin nicht an, sein Buch ist konsequent optimistisch. Er proklamiert die collaborative commons, also das gemeinsame Wirtschaften, als die Wirtschaftsform, die sich durchsetzen wird. Die Sharing Economy werde zwar vorübergehend von Airbnb, Uber und anderen gehackt, das Konzept an sich ist aber wesentlich älter und grundlegender als ein paar Silicon Valley Apps. Der Autor ist überzeugt, dass wir über kurz oder lang wieder zum gemeinnützigen und befreihenden Gedanken der Gemeingutökonomie zurückkehren werden. Die Organisation durch Genossenschaften sei dafür am besten geeignet. Um das zu verdeutlichen, treibt er seine Argumente teilweise schamlos auf die Spitze. Das wirkt mitunter übertrieben, aber der Autor weiß eben wie man sich Gehör verschafft.

Das kann auch vorteilhaft sein, denn Rifkin profiliert sich auch als überzeugender Kämpfer für Netzneutralität. Die notwendige Grundlage für die ökonomische Revolution, wie er sie prognostiziert, ist ein neutrales, offenes Internet. Wenn er dazu beiträgt dieses Thema und seine enorme Bedeutung wieder auf die Tagesordnung und in die Medien zu hieven, kann das kaum schaden.

Seine Vorlage: Yochai Benkler

Zum Schluss die wichtigste Frage: Woher stammen eigentlich Rifkins Ideen? Der Autor ist geschickt darin, seine Thesen als neu und bahnbrechend darzustellen. Grundlage und Inspiration für sein Buch dürfte allerdings Yochai Benklers „The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom“ (PDF) gewesen sein. Benkler prägte den Begriff der „common based peer-production“ und beschreibt bereits 2006 wie das Internet neue, gemeinschaftliche Arbeitsprozesse ermöglicht, die zu einer tiefgreifenden Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft führen. Seine Beispiele: Freie Software, Creative Commons, Blogs, Wikipedia. Nicht ganz unähnlich zu denen Rifkins.

Nichtsdestotrotz war Jeremy Rifkins Buch alles andere als uninteressant. Wer auf den ökonomischen Jargon klarkommt und kein Problem mit einigen etwas zu unumstößlich formulierten Prophezeihungen hat, dem sei die Lektüre durchaus empfohlen.

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18 Ergänzungen

  1. Rifkin entwickelt seine ökonomischen Ideen schon etwas länger, insofern finde ich das mit der „Vorlage“ durch den Juristen Benkler ziemlich verquer. Aber man kann es ja noch weiter führen: Benkler erwähnt ausdrücklich Rifkins „Access“ aus dem Jahre 2000 :)

      1. Die Asche darf man wohl wieder wegpusten. Wenn ich das PDF von Benkler 2006 Wealth of Networks durchsuche, finde ich zu Rifikin genau null Treffer. Zu Access alle möglichen natürlich, aber keine, die auf Rifkin hindeuten. Gleiches gilt für seine Papiere 2001/2 Coase’s Penguin und 2004 Sharing nicely, mit denen er sein theoretisches Modell für Wealth of Networks entwickelte. Ich hatte Rifkin in 2000 gelesen, zumindest angelesen. In all der Zeit, die ich mit Benklers Oeuvre verbracht habe, habe ich mich jedenfalls nicht an Rifkin erinnert gefühlt. Umgekehrt war das schon eher der Fall.

        Auch wenn Benkler Jurist ist: Zu commons hat er schon in den 1990ern publiziert, auch aus einem ökonomischen Blickwinkel, wenn man denn die Anwendung von institutional economics und ihrer Fixierung auf Transaktionskosten denn Ökonomie nennen möchte. Es ist der Versuch, die soziale Welt mit mathematischer Präzision und einer schönen Variable erklärbar zu machen: den (marginalen) Transaktionskosten. Das ist schön, häufig auch plausibel, kehr aber viele unbekannte Faktoren unter den Teppich dieser vermeintlich klaren, eindeutigen Kosten.

        Prophezeiungen über den Gang der Geschichte auf Basis einer Variable (Achtung, unwissende Annahme; ich habe Rifkins Grenzkosten nicht gelesen) erscheinen mir etwas zugespitzt. Zu buchmarketingorientiert. Zu offensichtlich offensichtliche Gegenargumente ignorierend. (Ok, sollte man manchmal, damit man fertig wird mit einem Buch.) Für die hunderttausende Windmühlen- und Solarzellen-Eigner dürfte das etwas zuviel commons sein.

        Benkler hat auch Googles Page Rank und Amazons Leserrezensionen als Beispiel für „peer production of ranking“ bezeichnet (2002 u. 2006). Seine Definitionen von peer und social production waren und sind (2013 Practical anarchism) unscharf. Dabei unterscheiden sich diese Dinge fundamental darin, wer diese Produktionsplattform kontrolliert. Bauwens ist da etwas klarer, aber ansonsten ist sein theoretisches Modell auch etwas unterkomplex; so was braucht man als Aktivist auch nicht. Es gibt noch keine umfassenden Theorien und Modelle, um die Auswirkungen und Möglichkeiten dieser noch immer nicht sehr alten sozialen Produktionsformen zu erklären.

  2. Rifkin zieht ja einige sehr interessante Schlüsse. 1.) Das durch die Automatisierung Massenarbeitsllosigkeit entsteht. 2.) Das durch die Automatisierung die Produkte immer billiger werden (weil Lohnkosten wegfallen) also vieles sehr billig oder gar kostenlos wird.

    Das bedeutet dann aber nicht unbedingt bessere Lebensverhältnisse wenn die Leute mit Hartz4 dann unter die Kontrolle der Sozialbürrokratie und deren Überwachungs und Herrschaftsapperates fallen. Ich denke das diese Entwicklung ohne Bedingungsloses Grundeinkommen auch sehr schnell dystopische Züge annehmen kann in denen dann die sozialbürrokratische Kontrolle so eng ist das jedwede Potentiale der „Null Grenzkostengesellschaft“ wieder abgewürgt und unterbunden werden solange der Sozialstaat den Menschen dann keine Freiheit und Eigeninitiative zugesteht. Schade das Rifkin das alles sehr utopisch sieht und eher weniger auf die sozialen Probleme eingeht, daher die Notwendigkeit zur Entkopplung von Arbeit und Einkommen nicht näher diskutiert wird.

  3. Der Borchers :-) natürlich setzt Rifkin auf „Access“ auf, das ich damals mit großer Freude gelesen habe. Gedankenexperiment: mit Harry Potter ist die Autorin zur Milliardärin. Heute flattern die Privatkopien bei hoher Bandbreite zu Grenzkosten von Zero durchs Netz. Ist deswegen der Kapitalismus zu Ende? Da wird mal schon genauer hinsehen müssen. War Rifkin nicht auch für Clinton und sein Informationsuperhighway unterwegs, den die CDU bis heute nicht verstanden hat und folgerichtig Autobahnen und Glasfaser im selben Ministerium managed? Was kostet das neue Buch?

      1. Auf englisch ist es interessanterweise bei Amazon.De auch als eBook noch relativ
        teuer Eur 14,99, wer es kaufen will, Barnes & Nobel bietet das EPUB für US$ 14,99 an ( = 11,58 Eur), DRM entfernt, und mit Calibre gewandelt nach Mobi oder AZW3.
        Barnes & Nobel: Einkaufen geht mit deutscher Kreditkarte, aber VPN oder ähnliches notwendig, neulich haben die mir Probleme beim Kauf gemeldet, VPN mit US-IP, dann funktionierte der Kauf.
        Für den gebraucht-Kauf einer Druckausgabe ist es zu neu, lohnt noch nicht. Bis das lohnt, ist es nicht mehr aktuell.

        The Age of Access liegt bei mir halbgelesen als Reserve auf dem Klo, seine Schlussfolgerungen haben mir damals nicht gefallen, der Unter-Titel sagt es ja schon „… Where All of Life Is a Paid-for Experience“. Das ist ja eher die 180 grad-Gegenthese zu dem, was er jetzt sagt. Müsste das direkt nochmal querlesen und dann vergleichen.

  4. Schön gesagt.

    Weitere „Vorlagen“ erwähnte Rifkin auch im Vortrag: Elinor Ostrom
    (Commons, nebenbei bemerkte er die alte Tradition der Commons z.B. in der DACH-Region)
    oder John Maynard Keynes – Economic Possibilities for our Grandchildren (1930)
    http://www.econ.yale.edu/smith/econ116a/keynes1.pdf

    bookreviews FT |Richard Waters http://www.ft.com/intl/cms/s/2/7713c7fc-b07a-11e3-8efc-00144feab7de.html#axzz3Cpej9euu mehr Details http://www.integralworld.net/berge7.html
    bzw. Aufzeichnung eines Vortrags http://blog.p2pfoundation.net/jeremy-rifkin-on-the-zero-marginal-cost-society/2014/04/12

    Übrigens bzgl. vorigen Link, Michel Bauwens von P2Pfoundation.net war auch vor Ort bzw. stellte am Nachmittag seine Erfahrungen von FLOK Free/Libre Open Knowledge Society in Ecuador vor. Auch nicht unspannend. http://en.wiki.floksociety.org/w/Main_Page

      1. Oh. Danke für die Info.

        „Schön gesagt.“ geht übrigens an Detlef Borgers für den dezenten Hinweis. (falschen thread erwischt)

  5. Was ist eigentlich das Internet der Dinge was so besonders neu und toll sein soll? Es gibt es doch schon das Internet, welches die Dinge miteinander verbindet. Haben hier Firmen mit einer schweren Marketing-Schädigung mal Unbedingt wieder was angeblich „neues“ raushauen müssen?

    1. Nur das im Internet der Dinge eben nicht mehr Menschen miteinander kommunizieren sondern Maschinen mit Maschinen und Maschinen kann man eben auch als „Ding“ beschreiben, steckt ja kein Leben drinn.

    2. Toll daran ist, dass eine Frau den Kühlschrank ihres Alkoholiker-Ex hacken kann, der daraufhin automatisch zwei Kästen Bier und zwei Flaschen Huntermaster bestellt, und ihr Ex säuft sich dann zu Tode…

      Überspitzt formuliert, aber die Grundzüge dürften klargeworden sein…

  6. RIFKIN ist naiv das es kracht und auch ein sehr geschickter plagiator. Ich kann nur raten sich nicht ernsthaft wissenschaftlich mit ihm auseinsnderzusetzten. Ich habe es getan und bin der Verzweiflung nahe. Sein Gesamtwerk ist eine relativ naive Nacherzählung des Urmarx wobei er alle wesentlichen Probleme umgeht. Das Grenzkosten Problem heißt bei Marx und Smith tendenzieller Fall der profitrate. Da braucht man kein Internet. Es ist die Folge einer irrationalen Produktionslogik des Kapitalismus.

  7. Was im Internet geschieht ist eine weitere Landnahme dieser Produktionslogik, commens gab es in der virtuellen Sphäre der 90er.Heute wird auch dort alles kommerzialisier, und der Staat als Garant der gesellschaftlichen Verhältnisse, schützt die copyright Mafia beim durchsetzen ihrer Monopole

  8. 1. Man muss es nicht kaufen – ich habe nur Cent-Beträge gezahlt, für die Ausleihe in meiner örtlichen Stadtbibliothek. Die „old-school“-Methode des „sharing“ – ist die Ausleihe und das ist ja nicht neu. Die Plattformen für die Leihe (auch anderer Dinge, wie Leihauto, Leihwerkzeug usw.) ist nur verlagert ins Netz und digitalisiert.
    2. Habe es angefangen zu lesen: was mir aber schon auffällt ist, das es die altbekannte Thesen von Marx und Engels über das „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ als Grundlage nimmt und Rifkin sich hier mal (wie in seinem Buch beschrieben) g´schwind über das Urheberrecht dieser beiden hinwegsetzt bzw. das deren Schriften schon über 100 Jahre alte sind, frei zugänglich sind. Da sollte er doch wenigstens den akademischen Standard einhalten und die Quellen benennen. Er kennt sie mit Sicherheit. Aber er will halt unbedingt seine „eigene Theorie“ schaffen und mit seiner Firma (TIR Consulting Group) Geld scheffeln. Wie „gemeinnützig“ er doch da ist – als Multi-Millionär!
    3. Besser hat es ARTE-TV gezeigt in der Doku über die „sharing economy“ vom 14.10.2014. Dort wird eindeutig gezeigt, wie die neue entstandenen „Nischen“ – den Kapitalismus beleben, ihn erweitern, modernisieren und eben nicht in Frage stellen.
    4. Im Endeffekt wollen alle Start-ups-Gründer mal so werden wie Gates, Zuckerberg oder Jobs und eben Profit machen (sicher nicht nur die Fixkosten reinholen). Alles andere ist Wunschdenken.
    5. Er vergisst ganz den Raubbau an der Natur in Kosten ein zurechnen, er erwähnt zwar die Frage des Klimawandels oder die Frage der Kreislaufwirtschaft, aber letztere ist eben nur Zukunftsmusik. Denn statt Mülltonnen mit Sensoren auszustatten, um den Mülltransport – und abholung zu optimieren, wäre ein wirklich neues PARADIGMA, von vorneherein Müll zu vermeiden und die Produkte und Dienstleistungen schon von Anfang an so zu planen und zu konstruieren, dass sie lange halten, nicht die Umwelt und die Gesundheit schädigen und kein Konsumrausch entsteht.
    6. Zum Schluß muss er noch erklären, wie er die Eigentumsverhältnisse (bei Banken, Finanzindustrie, Rüstungskonzernen, bei den Weltmonopolen usw. bändigen will) … ohne „Revolution“ wohlgemerkt. Er nennt es gesellschaftliche Evolutionstheorie, was immer das auch sei.
    7. Warum braucht es dann noch TTIP? Wenn die Wirtschaft nach Rifkin doch „demokratisiert“ wird?
    8. Ich empfehle Rifkin mal hier nachzulesen, was wirkliche gesellschaftliche Paradigmenwechsel sind: http://www.amazon.de/Katastrophenalarm-mutwillige-Zerst%C3%B6rung-Einheit-Mensch/dp/388021400X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1451557936&sr=8-1&keywords=katastrophenalarm

    Wenn ich fertig bin mit Lesen von Rifkins Buch, werde ich dazu ein Resumé ziehen und hier posten.
    Guten Rutsch allen und „keep smart“ ;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.