Immer mehr Funkzellenabfragen in Nordrhein-Westfalen: Jeden Tag elf Handy-Rasterfahndungen für Strafverfolgung

In Nordrhein-Westfalen wird die umstrittene Funkzellenanfrage immer häufiger eingesetzt – derzeit jeden Tag elf Mal. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung hervor. Wie anderswo machen Straftaten gegen Leib, Leben und die sexuelle Selbstbestimmung nur einen Bruchteil der Handy-Rasterfahndungen aus.

Bei einer Funkzellenabfrage werden sämtliche Handy-Verbindungen innerhalb einer oder mehrerer dieser Funkzellen an die Polizei gegeben. CC-BY-SA 3.0 Erwin Krauß

Letztes Jahr berichten wir über Zahlen zur Funkzellenabfrage in Nordrhein-Westfalen. Jetzt hat die Landesregierung neue Zahlen auf eine große Anfrage der Piratenfraktion geliefert. Eine Kernaussage: trotz vermehrter Kritik wird die Massenüberwachung aller Handys in einer bestimmten Region immer häufiger eingesetzt:

Funkzellenabfragen in NRW

Schade ist, dass sich die Landesregierung nur auf Maßnahmen der Strafverfolgung bezieht. Die präventive Gefahrenabwehr und die Arbeit der Geheimdienste bleiben dabei gänzlich unberücksichtigt. Das könnte auch ein Grund sein, warum die Zahlen von 2011 und 2012 niedriger sind als in der letzten Statistik.

50 Funkzellenabfragen pro Tag

Doch auch so sind die Zahlen beeindruckend. Die 4.145 Abfragen im letzten Jahr ergeben mehr als elf Rasterfahndungen pro Tag. Rechnet man anhand der Bevölkerung hoch, ergeben sich 52 Funkzellenabfragen in Deutschland – jeden Tag. Ohne Gefahrenabwehr und ohne Geheimdienste. Das ist natürlich keinesfalls exakt, aber deckt sich mit bisherigen Recherchen.

Auch die zugrunde liegenden Straftaten zeigen decken sich mit denen anderer Bundesländer: Straftaten gegen Leib, Leben und die sexuelle Selbstbestimmung sind die Minderheit, mit weniger als sechs Prozent im letzten Jahr. Es überwiegen Eigentumsdelikte wie Raub und Diebstahl:

Straftatbestand Anzahl  Prozent
Straftaten des Raubes und der Erpressung 911 22%
Bandendiebstahl 853 21%
Keine Zuordnung erfolgt 625 15%
Straftat von erheblicher Bedeutung, nicht in §100a Absatz 2 StPO 453 11%
Schwerer Bandendiebstahl 373 9%
Betrug und Computerbetrug 299 7%
Gemeingefährliche Straftat 289 7%
Mord 117 3%
Totschlag 66 2%
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 53 1%
Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz 41 1%
Geld- und Wertzeichenfälschung 26 1%
Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde 15 0%
Straftaten gegen die persönliche Freiheit 8 0%
Gewerbsmäßige Bandenhehlerei 6 0%
Gewerbsmäßige Hehlerei,Bandenhehlerei 6 0%
Straftaten nach dem Waffengesetz 4 0%
Geldwäsche und Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte  0 0%
Straftaten nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen 0 0%
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften 0 0%

 

Dafür gibt NRW stattliche Summen aus: mehr als 834.000 Euro in 2012 und fast eine Millionen Euro im letzten Jahr.

Mord und Totschlag nur Bruchteil

Das war es so ziemlich, was aus der Antwort an euen Fakten zur Funkzellenabfrage herauszubekommen ist. Zu vielen weiteren wichtigen Fragen verweigert die Landesregierung die Antwort, weil die Erhebung zu aufwändig wäre. Wie oft wurden verschiedene Tatorte abgeglichen? Welche Zeiträume decken die Abfragen ab? Wie viele Anschlussinhaber wurden festgestellt? Gab es Anhaltspunkte, dass Tatverdächtige Mobiltelefone verwendet haben? Wie oft wurden die Daten für andere Fälle verwendet? Wie oft wurden die Daten mit anderen abgeglichen? Wie oft wurden neue Ermittlungsansätze gewonnen, Verfahren aufgeklärt, eine Verurteilung herbeigeführt oder Verfahren eingestellt? Alles unbekannt.

Das Gesetz schreibt vor, dass betroffene Personen benachrichtigt müssen. Laut Wiktionary bedeutet „betroffen“ beteiligt, jemanden betreffend, sich auf jemanden beziehend. Man würde annehmen, dass Menschen, deren Daten an die Polizei übermittelt werden, unter diese Definition fallen. Doch um das zu umgehen, wird kurzerhand erklärt, dass man auch „nur unerheblich betroffen“ sein könne, und dann kann eine Benachrichtigung unterbleiben. Das erinnert an „ein bisschen schwanger“. Ein Fall von und für Neusprech.

Das 25-seitige Dokument enthält auch noch Zahlen zum Einsatz von Stillen SMS (309.316 in 2013), WLAN-Catchern (zwei) und IMSI-Catchern (154).

Piraten fordern unabhängige Überprüfung

Die anfragenden Piraten fordern eine wissenschaftliche Evaluierung der Maßnahmen:

Zahlen zu aufgeklärten Fällen und Verurteilungen im Kontext dieser Maßnahmen könnten aber ein erstes Bild zum Nutzen der Maßnahmen geben – zumindest sollte man meinen, dass sie das bei Maßnahmen wie der Funkzellenabfrage können, die als letztes Mittel gelten sollen. Wissenschaftlich kann die Effizienz diverser Ermittlungsmethoden ermittelt werden. Das Max-Planck-Institut und andere Forschungsinstitute haben es vorgemacht. Mithilfe von Aktenanalysen und Expertengesprächen lässt sich herausfinden, ob das Verhältnis zwischen Mittel und Erfolgen das Richtige ist. Mittel sind bei der Telekommunikationsüberwachung der starke Grundrechtseingriff in die Privatsphäre, die Techniken selbst, der Aufwand der Beteiligten, und die Kosten für die (sichere) Speicherung und Übermittlung der Daten durch die Provider – immerhin kostet jede Funkzellenabfrage auch bares Geld. Mehr als 230€ pro Abfrage oder eine knappe Million insgesamt in 2013. Erfolge ließen sich durch die das Entstehen neuer Ermittlungsansätze, der Aufklärung der Taten oder der Verurteilung messen. Machbar wären solche Studien.

Wir gehen noch ein bisschen weiter und fordern die Abschaffung der Funkzellenabfrage. Eine Rasterfahndung mit sensiblen Daten von Millionen Unbeteiligten kann nicht verhältnismäßig sein.

7 Ergänzungen

  1. hallo frau meister,

    ihr artikel zeigt mir, dass sie keine arbeit von polizeilicher arbeit haben und aber wohl auch keinen sinn in der ermittlung von straftätern sehen. wie soll der bürger vor verbrechen geschütz werden, wenn der polizei das handwerkszeug weggenommen wird. sie haben offfensichtlich auch keine ahnung wie die, nach richterlichen beschluss, übermittelten funkzellendaten ausgewertet werden. es geht hier meist um überschneidungen mit anderen tatorten und den den dort aufgelaufenen daten. aus dieaem grund ist meist nur die schnittmenge interessant und den rest der daten wir überhaupt nicht weoter angeschaut. vielleicht müssen sie ja erst mal opfer mehrer raube, wohnungseinbrüche und weiterer delikete werden, bis sie die arbeit der polizei schätzen lernen. verkehrsdaten-und funkzellenauwertungen sind viel arbeit und keiner macht dies aus langeweile. wenn sie die schaffen abzuschafffen, wird mir und meinen kollegen viel arbeit erspart, weil wir wesentlich öfter die ermittlungen früher als unklärbar abgeben bzw. die staatsanwaltschaft diese einstellen kann. wenn das ihr ziel sein sollte, machen sie weiter so!!!

    mit freundlichen grüßen,
    martin hhirtz

    1. abgesehen davon, dass es hier keine Frau Meister gibt, folgendes:

      Wo bitte wird ein Bürger geschützt, bei einer Funkzellenabfrage? Sofern eine Tat passiert ist, hilft eine Abfrage höchstens zur Aufklärung.
      Gleichzeitig nimmt man in Kauf, dass Berufgeheimnissträger (Ärtzte, Journalisten, etc) und tausende Unschuldige betroffen sind. So wie es z.B. in Berlin oder Dresden passierte….

    2. ja, da gebe ich ihnen recht. die aufklärungsquote ist ja auch himmelschreiend hoch!! sie sind ein witzbold, hirtz!

    3. wenn sie schon im polizeidienst arbeiten nur mal die frage: sind sie nicht an gesetze gebunden oder fangen sie auch schon an, wissentlich gegen gesetze zu verstossen nur damit sie eine rechtfertigung haben, soziale brennpunkte etc. nicht mehr zu bestreifen sondern im warmen vor einem überwachungsrechner zu sitzen und die bevölkerung auszuspionieren. ist ja viel einfacher als sich mit den „kulturbereichernden“ massenstraftätern auseinander zu setzen.

    4. Und haben sie auch alle abgefragten Personen nach Ende der Überwachungsmaßnahme benachrichtigt?

      Wie es als Pflicht übrigens im Gesetz steht…

      Nein? Hier muss sich die Polizei nicht an Recht und Ordnung halten?

  2. das ist doch nichts neues. und es wird weiterhin nichts passieren, selbst wenn rauskommt, dass die schnüffeldienste und ihre konsorten eine rundum-überwachung schon seit jahren durchführen. natürlich alternativlos und grundrechtsschonend. es werden weiter fleissig die kreuzchen bei den christlichen gemacht. man hat ja nichts zu verbergen und zahlt brav seine steuern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.