Entwurf für EU-White-Paper zur Urheberrechtsreform geleakt

IP-Kat-LogoDas Blog IPKat – IP steht für „intellectual property“ – hat heute einen Entwurf für ein White Paper der EU-Kommission zur anstehenden Reform der EU-Urheberrechtsrichtlinie veröffentlicht (PDF). Das White Paper ist die erste Reaktion der EU-Kommission unter Federführung von Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier auf die öffentliche Konsultation zum Urheberrecht Anfang des Jahres. Die Beteiligung an der Konsultation war mit über 10.000 Antworten auf einen langen und komplizierten Fragebogen ungewöhnlich hoch, wofür auch Ausfüllhilfen wie youcan.fixcopyright.eu oder copywrongs.eu mitverantwortlich waren.

Die Zielsetzung des White Papers ist laut Einleitung zu untersuchen, ob und inwiefern das bestehende Urheberrecht, dessen Ausübung sowie Ausnahmen auf EU-Ebene gerechtfertigt sind. Unter Bezug auf die Ergebnisse der Konsultation wird auf häufig widersprüchliche Eingaben und die daraus folgende Notwendigkeit eines empirisch fundierten („evidence-based“) Ansatzes verwiesen.

Die Gründe für eine Evaluation des bestehenden EU-Urheberrechts sind Legion, im White Paper selbst werden u.a. neue Nutzungsweisen und Märkte (z.B. nutzergenierte Inhalte), veränderte Wertschöpfungsketten (z.B. mit Plattformen als neuen Intermediären) sowie Probleme im Bereich des Binnenmarktes (z.B. unterschiedliche Ausnahmeregelungen in allen EU-Staaten). Dementsprechend werden drei Bereiche für eine eingehendere Evaluation genannt: (a) digitaler Binnenmarkt, (b) Verhältnis von Urheberrecht zu anderen Zielen im öffentlichen Interesse und (c) Urheberrechtsmärkte. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis reicht bereits um zu sehen, dass der Schwerpunkt des White Papers vor allem auf den letzten beiden Bereichen liegt.

(a) Digitaler Binnenmarkt

Um die Probleme zu reduzieren, die aus grenzüberschreitender Nutzung von urheberrechtsbezogenen Dienstleistungen (z.B. Streaming-Dienste) resultieren, wird empfohlen genauer zu definieren, was mit „öffentlicher Zugänglichmachung“ von Inhalten im Internet gemeint ist. Derzeit wird hier beispielsweise danach differenziert, in welchem Land hochgeladen wurde bzw. welche Länder mit Angeboten adressiert werden. Wirklich Abhilfe würde hier, das wird im White Paper deutlich, nur eine stärkere Harmonisierung bis hin zum Ende national unterschiedlicher Urheberrechtsschutzniveaus bieten. Im Ergebnis wird wenig konkret empfohlen, Zugangsbarrieren, die aus privaten Vertragskonstruktionen resultieren, „zu adressieren“. Bis zu einem gewissen Grad verbirgt sich dahinter aber vielleicht eine vorsichtige Abkehr von dem ausschließlich auf Lizenzierung setzenden Ansatz „Licenses for Europe“.

Hinsichtlich des „Erschöpfungsgrundsatzes“, also dem Recht auf Weiterverkauf von digital erworbenen Gütern wie E-Books oder Hörbüchern empfielt das White Paper erstmal abzuwarten und nichts zu tun – angesichts aktueller richterlicher Entscheidungen, die ein Weiterverkaufsrecht verneinen, dürfte diese Position zu einer weiteren Schwächung von diesbezüglichen Konsumentenrechten führen.

(b)  Verhältnis von Urheberrecht zu anderen Zielen im öffentlichen Interesse

In diesem längsten Teil des White Papers geht es um die zentralen Stellschrauben des Urheberrechts, den Katalog an Ausnahme- und Schrankenbestimmungen. Hier liegt besonders viel im Argen. Im Unterschied zu dem offenen Fair-Use-Prinzip im US-Copyright erlaubt die EU-Urheberrechtsrichtlinie nur solche Ausnahmen, die in der Richtlinie explizit angeführt sind. Das macht das EU-Urheberrecht sehr unflexibel, weil zusätzliche Schranken nur durch eine Änderung der Richtlinie möglich sind. Hinzu kommt, dass die Schrankenbestimmungen nicht zwingend sind, was zu einem Flickenteppich an nationalen Schrankenregelungen geführt hat. (Smári McCarthy hat einmal ausgerechnet, dass es bei 21 optionalen Ausnahmen und 28 Mitgliedsstaaten alleine dadurch 2.097.152 verschiedene Wege gibt, die Richtlinie umzusetzen.)

Im White Paper spielt die Kommission diese beiden Probleme gegeneinander aus: Mehr Flexibilität bei den Schranken sei nicht möglich, weil durch die Vielzahl an Jurisdiktionen dann eine einheitliche Rechtsprechung schwer möglich sei. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Schranken müssten endlich so wie auch der Urheberrechtsschutz EU-weit bindend werden, dann spricht auch nichts mehr gegen größere Flexibilität auf EU-Ebene (z.B. durch die Einführung eines Recht auf Remix).

Konkret finden sich im White Paper sechs verschiedene Unterpunkte in diesem Bereich:

  1. Browsen und Verlinken: Im Einklang mit einer jüngsten EuGH-Entscheidung soll klargestellt werden, dass Kopien im Rahmen von Internetsurfen sowie Verlinken jedenfalls erlaubt sind.
  2. Unterstützung für Wissens- und Gedächtnisinstitutionen: Hier finden sich abgesehen von Lippenbekenntnissen keine klaren Verbesserungen für Bibliotheken, Museen oder Archive. Immer geht es vor allem darum, lizenzbasierte Modelle zu schützen – dabei sind es genau diese Modelle, die Gedächtnisinstitutionen die Arbeit schwer bis unmöglich machen. Eine Bestimmung, die Online-Ausleihe ermöglicht, wird überhaupt als voreilig („premature“) abglehent. Anstatt die erst kürzlich wieder in einem offenen Brief thematisierten Schwierigkeiten von Bibliotheken und Archiven anzusprechen, geht es im gesamten Abschnitt nur darum, mögliche Geschäfts- und Lizenzierungsmodelle zu schützen.
  3. Neue Möglichkeiten für Bildung und Forschung nutzen: Auch hier dasselbe Lied, wieder geht es vor allem um Lizenzierungspraktiken und die Wissenschaftsverlagsbranche. Zumindest spricht sich die Kommission aber für eine stärkere Harmonisierung von Bildungsschranken aus, was angesichts eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Zu diesem Zweck könnte die Bildungsschranke auch als eigenständige Schranke etabliert und aus der Wissenschaftsschranke herausgelöst werden. Im Forschungsbereich soll klargestellt werden, dass „text and datamining“ zu Forschungszwecken erlaubt ist.
  4. Besserer Zugang zu Wissen für Menschen mit Behinderung: Neben der Implementation des Marrakesch-Vertrags mit Verbesserungen für Menschen mit Sehbehinderung sollen auch hier die Schrankenbestimmungen stärker harmonisiert werden.
  5. Rechtssicherheit für nutzergenerierte Inhalte: Die Bedeutung von nutzergenerierten Inhalten wird zwar unter explizitem Verweis auf die öffentliche Konsultation zum Urheberrecht festgestellt, allerdings finden sich keine ernstzunehmenden Lösungsvorschläge im White Paper. Einerseits wird darauf verwiesen, dass bestimmte Nutzungsweisen bereits von derzeit möglichen Schrankenbestimmungen erfasst sein könnten – dem steht jedoch die bereits angesprochene, uneinheitliche Umsetzung der Ausnahmen entgegen. Andererseits wird gefordert Lizenzierung einfacher und transparenter zu machen sowie festgestellt, dass es Aufgabe von Hosting-Plattformen sei, diese Rechte zu klären. Nach Meinung der Kommission sollen nutzergenerierte Inhalte im Internet demnach nur auf (kommerziellen) Hosting-Plattformen wie YouTube stattfinden, die dann ja ohnehin auch eine Einbindung in private Blogs ermöglichen würden. Mit anderen Worten: rechtssichere Veröffentlichung von nutzergenerierten Inhalten bitte nur über den Umweg kommerzieller Hosting-Plattformen.
  6. Privatkopie und Binnenmarkt: Hier geht es nur darum, Probleme durch unterschiedliche Formen von Pauschalvergütung (z.B. Festplattenabgabe) zu reduzieren. Von einem Recht auf Umgehung von Kopierschutztechnologien für legale Privatkopien findet sich nichts im White Paper.

(c) Urheberrechtsmärkte

Im Bereich Urheberrechtsmärkte und -wertschöpfungsketten geht es wieder vor allem um bessere Lizenzierungsmöglichkeiten, wobei konkret auf freiwillige Initiativen der Industrie, z.B. in Form von „Copyright Hubs“, verwiesen wird. Im Bezug auf faire Vergütung für Kreative findet sich das Lippenbekenntnis zu ebensolchen und die Forderung nach länderspezifischen empirischen Untersuchungen. Massendigitalisierung von Inhalten soll wenig überraschend auch vor allem über einfachere Rechteklärung und Lizenzierung erfolgen, stellt sich nur die Frage, warum das bislang nicht schon längst passiert ist. Den Abschluss bildet ein Abschnitt zu Rechtsdurchsetzung, wo ein „follow the money“-Ansatz gefordert wird, d.h. der Fokus auf gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzung gelegt werden soll.

Fazit

Das White Paper der EU-Kommission zur Urheberrechtsreform lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: enttäuschend. Obwohl selbst in den Erläuterungen des White Papers deutlich wird, dass der Flickenteppich aus optionalen Schrankenregelungen in allen Regelungsbereichen für Probleme sorgt, wird an dem Prinzip optionaler Ausnahmen nicht gerüttelt. Überhaupt stellt sich nach Lektüre des Entwurfs die Frage, ob die EU-Kommission an ernsthafter Modernisierung des Urheberrechts interessiert ist. Als roter Faden zieht sich durch den gesamten Text lediglich die Mantra-artige Hoffnung auf bessere Lizenzierung und Rechteklärung. Für einen effektiven Interessensausgleich im Urheberrecht wird das zu wenig sein. Bleibt zu hoffen, dass die neue Kommission hier einen neuen Anlauf unternimmt.

5 Ergänzungen

  1. Okay, dann waren also die 30 Minuten, die ich für die Konsultation aufgewendet habe, doch für den A… Reine Zeitverschwendung.

    Nach dem Motto: Ist leider nicht das rausgekommen was wir wollten („differenziert“), deswegen kopieren wir einfach trotzdem schamlos die Lobbypapiere („evidenzbasiert“).

    Kann man irgendwas dagegen tun (ausser die ganze Bande mit Fackeln und Mistgabeln davonjagen)?

    1. Ich würde es nicht ganz so sehen. In der EU gibt es durchaus auch Kräfte, die sich gegen die Barnier-Lesart aussprechen (vgl. z.B. den Entwurf eines Impact Assessment bei statewatch.org, PDF). Der ist schon besser als das Kommissions-White-Paper, obwohl er die Ergebnisse der Konsultation noch nicht einmal berücksichtigt hat. Und Barnier hat hoffentlich wirklich ein Ablaufdatum…

  2. Hoch lebe die Bürokratie. Mich als Endkonsumenten interessiert das wenig, den ich meide diese Inhalte wie eine hochansteckende Krankheit. Am Ende werden die Kosten wieder auf die Produkte umgelegt oder die Qualität dieses Inhalte sinkt auf unerträgliches Niveau.

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