Teil 1/5 einer kleinen Sammlung wissenschaftlicher Paper zu „Internet Censorship and Control“, zusammengestellt von Steven Murdoch und Hal Roberts.
Drei Wissenschaftler der University of Toronto, Masashi Crete-Nishihata, Ronald Deibert und Adam Senft, beschreiben in “Not By Technical Means Alone: The Multidisciplinary Challenge of Studying Information Controls” das methodische Vorgehen der OpenNet Initiative bei ihrer Erforschung von Filtern und Zensur im Internet. Die OpenNet Initiative (ONI) ist ein Projekt verschiedener Institutionen (u.a. Citizen Lab und Berkman Center for Internet & Society) und besteht seit 2003. Seitdem hat ONI 74 Staaten untersucht und herausgefunden, dass 42 von ihnen in irgendeiner Weise das Internet filtern. In dem Paper, das auch im IEEE Internet Computing Magazine (Vol. 17, No. 3, pp. 34-41, May-June 2013) erschienen ist, stellen Crete-Nishihata, Deibert und Senft die Vorgehensweise der ONI anhand verschiedener Fallstudien vor und diskutieren sowohl methodologische Herausforderungen als auch Empfehlungen.
Die Wissenschaftler gehen folgendermaßen vor: Sie nutzen eine Python Software in einem Client-Server-Modell, die an alle Forscherinnen und Forscher verteilt wird. Der Client versucht dann, eine vordefinierte Liste mit URLs abzuarbeiten – gleichzeitig in dem zu erforschenden Land und in einem Kontroll-Netzwerk. Nach diesem Test werden die Ergebnisse komprimiert an einen Server zur Analyse geschickt. Einige Daten jedes Zugriffsversuchs werden erfasst, wie HTTP Header, IP Adresse und Page Body, in einem kombinierten Verfahren von automatischer und manueller Analyse werden dann Unterschiede zwischen dem zu erforschenden Land und dem Kontroll-Netzwerk sowie Filterinstanzen herausgearbeitet.
Um die Erfahrungen eines durchschnittlichen Internetnutzers abzubilden, nutzen die Wissenschaftler keinerlei Software zur Umgehung von Filtern oder Anonymisierungssoftware. Daher finden vor den Tests immer Treffen statt, bei denen die Forscherinnen und Forscher über Risiken aufgeklärt werden. Dabei werden oftmals solche Länder, die besonders interessant für Tests wären, aufgrund von Sicherheitsrisiken ausgeschlossen – während des Syrienkrieges werden beispielsweise keine Tests durchgeführt, in Kuba oder Nordkorea ebenfalls nicht.
Zwei Listen mit URLs werden verwendet: Eine „global list“ mit international relevanten und populären Webseiten (CNN, BBC, Facebook, Twitter) und eine regionale Liste, die von Experten für das jeweilige Land erstellt werden. Diese kann zum Beispiel unabhängige Medien innerhalb des zu erforschenden Landes beinhalten, regierungskritische Seiten oder solche religiöser Gruppen.
Timing in testing is also important. Authorities might enact or alter information controls in response to events on the ground. Because our testing method employs client-based testing and analysis, resource constraints require that we schedule testing strategically. Local experts can identify periods in which information might be disrupted, such as elections or sensitive anniversaries, and provide context for why events might trigger controls.
In dem Paper gehen die drei Wissenschaftler auf verschiedene Aspekte des Filterns von Inhalten im Internet ein. Unter „Filtering Transparency“ thematisieren sie verschiedene Transparenzmodelle von Netzfiltern. So gibt es viele Staaten, die sehr transparent darlegen, wieso welche Seiten geblockt werden, und andere, in denen ein 404 Not Found angezeigt wird ohne die Nutzerinnen und Nutzer darüber zu informieren, dass die Seite geblockt wird. In einigen Staaten werden beide Methoden kombiniert. Im Jemen beispielsweise sind Seiten mit pornografischen und LGTB Inhalten gesperrt und es gibt eine „block page“ auf der die Gründe für die Sperre genannt werden und eine Art Widerspruchsmöglichkeit geboten wird. Andere Webseiten, vor allem solche mit regierungskritischen Inhalten, werden intransparent geblockt.
Weiterhin gehen Crete-Nishihata, Deibert und Senft auf ökonomische Gründe ein, wieso ein Land was filtert und wie dies getan wird.
In countries with strict censorship regimes, the ability to offer unfettered access can provide significant competitive advantage or encourage investment in a region. Conversely, targeting particular services for filtering while letting others operate unfettered can protect domestic economic interests from competition. Economic considerations might also affect the choice of filtering method.
Die OpenNet Initiative fand zum Beispiel heraus, dass in Usbekistan einige Internet Service Provider (ISP) viele Inhalte sperren, andere jedoch überhaupt keine. Aus den technischen Daten allein waren die Gründe hierfür nicht ersichtlich. Aufgrund weitergehender sozialwissenschaftlicher Beobachtung wurde jedoch erkannt, dass einige ISPs enge Beziehungen zum Präsidenten pflegen und diese nutzen um durch uneingeschränkten Internetzugang einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu haben. In anderen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Äthiopien werden Voice over IP-Dienste oder Skype gesperrt, um die Interessen nationaler Telekommunikationsunternehmen zu wahren.
Unter „Unintended Consequences“ nennen die Wissenschaftler zwei Beispiele für Folgen des Filterns, die von den Verantwortlichen so nicht geplant waren, u.a. dass die Rechtsprechung eines Landes plötzlich in einem anderen angewandt wird.
In some cases, an underdeveloped telecommunications system might limit a country’s wider Internet access to just a few foreign providers, who might pass on their filtering practices. Russia, for example, has long been an important peer to neighboring former Soviet states and has extended filtering practices beyond its borders. The ONI has documented upstream filtering in Kyrgyzstan, Uzbekistan, and Georgia.
Ebenso können Netzsperren dazu führen, dass mehr Inhalte als gewollt geblockt werden („collateral filtering“, wir berichteten zum Beispiel hier).
Auf den letzen beiden Seiten des Papers gehen die Wissenschaftler auf Herausforderungen ein, dazu gehören beispielsweise Fragen danach, welche Inhalte wann getestet werden. Die Aktualität der URL-Listen bei 70 Ländern über zehn Jahre zu gewährleisten gehört ebenfalls zu logistischen Schwierigkeiten. Auch ist es nicht immer leicht, die tatsächlichen Gründe für Netzsperren herauszufinden und Informationen aus Interviews oder geleakten Dokumenten können schwer verifizierbar sein. Dennoch sind Crete-Nishihata, Deibert und Senft sicher, dass die Erforschung von Information Controls, also Aktionen um Inhalte im Netz zu sperren, zu stören oder zu überwachen, immer wichtiger werden wird.
As controls increase in prevalence and include more sophisticated and at times even offensive measures, the need for multidisciplinary research into their practice and impact is vital. […] Researchers from technical and social sciences working in information control research should stand as a community and demonstrate the need for funding opportunities, publication venues, workshops, and conferences that encourage multidisciplinary collaborations and knowledge sharing in the area. Through education and dialogue, the study of information controls can mature and hopefully have greater effects on the Internet’s future direction.
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