Mehr parlamentarische Kontrolle? Geheimdienste auflösen, den polizeilichen Staatsschutz gleich mit?

cilip103Morgen soll der Abschlussberichts eines „Expertengremiums“ veröffentlicht werden, in dem eine Überprüfung der Sicherheitsgesetze vorgenommen wird. Es geht um den sogenannten „Otto-Katalog“ des früheren Innenministers Schily (SPD), der nach dem 11. September 2001 unter dem „Anti-Terror“-Deckmantel zahlreiche neue Gesetze erließ. Die Innenminister der Koaltion hatten die Initiative mit weiteren Maßnahmen erneuert oder fortgeschrieben, darunter das „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“ sowie dessen Ergänzung 2011.

Zur von Justiz- und Innenministerium ernannten Regierungskommission aus acht Mitgliedern gehörten die zuständigen MinisterInnen, der FDP-Politiker Burkhard Hirsch und die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms. Mittlerweile ist der 308 Seiten starke Bericht einigen Medien vorab zugänglich gemacht worden. Auf Spiegel Online war zu lesen, das Verteidigungsministerium habe zuvor versucht, eine Kritik am Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu verhindern und verlangt, ein kritisches Kapitel nicht mit aufzunehmen. Die Gruppe lehnte jedoch ab und stellt nun sogar die Existenzberechtigung des Militärgeheimdienstes in Frage.

Die Tagesschau berichtet weiterhin, dass insbesondere das 2004 geschaffene „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ (GTAZ) in Berlin-Treptow eine eigene gesetzliche Grundlage erhalten soll. Dort arbeiten über 40 Polizeien und Geheimdienste zusammen. Letzte Woche hatte bereits die Süddeutsche Zeitung aus dem Bericht verlautbart, dass eine „derart enge Kooperation“ verfassungsrechtlich „nicht unproblematisch“ sei. Empfohlen wird demnach, die Arbeit auf schwerste Terrorgefahren zu beschränken und die behördenübergreifende Kontrolle zu verbessern. Hierzu gehört auch die weitere Stärkung einer parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste.

Fraglich ist aber, ob diese datenschutzrechtlichen Brotkrümel überhaupt ausreichen – oder ob es bei der zunehmend geheimdienstlichen Tätigkeit etwa des Bundeskriminalamtes (BKA) nicht um die ganze Bäckerei gehen müsste. Pünktlich zur morgigen Vorstellung des Berichts der Regierungskommission ist die neue Ausgabe der Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ erschienen, die sich diesmal ebenfalls mit der Vergeheimdienstlichung deutscher Sicherheitsbehörden befasst.

Unter dem Titel „Allgegenwärtig, aber wenig bekannt – Der polizeiliche Staatsschutz in Deutschland“ analysieren die Autoren Mark Holzberger und Albrecht Maurer die politischen Abteilungen von Bundes- und Länderpolizeien. Sie legen dar, wie der polizeiliche Staatsschutz seit Jahren stetig an Einfluss gewinnt, wobei die Grenzen zum Geheimdienst verschwimmen. Denn die Staatsschutzabteilungen seien „keine üblichen polizeilichen Untergliederungen“. Zu ihren Aufgaben gehört stattdessen die „Verhütung und Verfolgung“ politisch motivierter Kriminalität.

Diese unterliegt aber politischer Konjunktur. Derzeit gilt eine Definition der Innenministerkonferenz (IMK) von 2001, wonach eine „extremistische“ Zielsetzung nicht unbedingt erkennbar sein muss. Folgerichtig wird die IMK als eine „verschwiegene und damit undurchsichtige Plattform rein exekutiver Politikentwicklung“ kritisiert.

Damit ist laut den Autoren den Staatsschutzabteilungen der Polizei ein weites Feld eröffnet, das von „terroristischen“ Straftaten über Auseinandersetzungen bei Demonstrationen bis hin zu Alltagsdelikten reicht:

Wie feingliedrig der polizeiliche Staatsschutz bis auf die kommunale Ebene präsent ist, zeigt das Beispiel Sachsen-Anhalt: Hier ist beim LKA zunächst die Abteilung 5 zuständig. Diese gliedert sich in vier Dezernate und das „Gemeinsame Informations- und Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus“ (GIAZ). Auf der Ebene der drei regionalen Polizeidirektionen nimmt jeweils das Fachkommissariat 5 der Zentralen Abteilung Kriminalitätsbekämpfung (ZKB) die Aufgaben des Staatsschutzes wahr. In den örtlichen Polizeirevieren wird der Staatsschutz im Sachgebiet 5 des jeweiligen Revierkriminaldienstes (RKD) bearbeitet.

Wie im durchgesickerten Abschlussbericht wird auch die sogenannte „Früherkennung“ des BKA bzw. dessen „Vorfeldermittlungen“ kritisiert. Diese werden in der Abteilung ST („Staatsschutz“) vorgenommen, die über eine beachtliche Zahl an MitarbeiterInnen sowie Datensammlungen verfügt. Schon in den 70er Jahren wurde ihr Repertoire um die „Rasterfahndung“, die „beobachtende Fahndung“ und die Telefonüberwachung erweitert. Die polizeilichen Datensammlungen werden mehr und mehr miteinander verknüpft, heute wird dieses Data Mining mit Software erleichtert.

Von den vier der Abteilung ST nachgeordneten Gruppen sind laut Holzberger und Maurer drei in Meckenheim und eine in Berlin-Treptow angesiedelt:

  • ST 1 mit sieben Referaten angesiedelt in Meckenheim: Politisch motivierte Kriminalität links und rechts;
  • ST2 mit vier Referaten, ebenfalls in Meckenheim: Internationale Politisch motivierte Kriminalität/Spionage/Proliferation/ABC-Kri­minalität und Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
  • ST 3 mit acht Referaten, angesiedelt in Berlin-Treptow: Politisch motivierte Ausländerkriminalität/internationaler Terrorismus – reli­giös motivierter/islamistischer Extremismus; bei der 2004 ins Leben gerufenen Gruppe arbeiten heute rund 300 MitarbeiterInnen;
  • ST4: Zentral- und Serviceangelegenheiten, Meckenheim, mit sechs Referaten – u.a. für Finanzermittlungen und für die Überprüfung von auf deutschen und anderen Schengener Auslandsvertretungen gestellten Visa-Anträgen.

Zu den Einsatzformen des polizeilichen Staatsschutzes gehört laut CILIP „das volle Programm der verdeckten Methoden“. Legitimiert werden die Maßnahmen durch die Strafprozessordnung und Landespolizeigesetze, die eine „vorbeugende Bekämpfung“ von Straftaten mit „erheblicher Bedeutung“ erlauben – ein politisch dehnbarer Begriff, dessen Verfolgung auch vom Parteibuch der amtierenden Landesregierung abhängt.

Zur Koordination von Staatsschutzabteilungen des Bundes und der Länder existiert laut den beiden Autoren „eine völlig unübersichtliche und intransparente Vielzahl von Vereinbarungen und Leitlinien mit jeweils unterschiedlichem Grad an Verbindlichkeit“. Hierzu gehört beispielsweise ein „Leitfaden über die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz“ oder eine „Gesamtkonzeption zur Bekämpfung der politisch motivierten Gewaltkriminalität“, die für „rechts“ und „links“ ausformuliert wurde. Doch damit nicht genug:

Über alledem schwebt ein Bericht der BKA-Abteilung ST von 2007 über „Standort und Perspektiven des Polizeilichen Staatsschutzes“. Darin wird die Idee eines „einheitlichen Bekämpfungsansatzes“ dafür verwandt, sämtliche Grenzen polizeilichen Handelns verschwimmen zu lassen – sei es die zwischen Bund und Ländern, zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, zwischen innerer und äußerer Sicherheit und wie selbstverständlich auch zwischen Polizei- und Geheimdienstarbeit.

Holzberger und Maurer kommen – wenig verblüffend – zu nahezu ähnlichen Schlußfolgerungen wie die Mitglieder der Regierungskommission: Die Arbeit des polizeilichen Staatsschutzes ist demnach geprägt von einer „Übernahme geheimdienstlicher Aufgaben und Praktiken“. Es fehlt an einer Kontrolle durch die Parlamente:

Bis zum Auffliegen der gravierenden handwerklichen Mängel, die sich auch und gerade die polizeilichen Staatsschutzabteilungen von Bund und Ländern im Kontext der NSU-Affäre geleistet haben, gab es im Bundestags und in den Landtagen nicht einmal im Ansatz ein Interesse, diesen Apparaten auf die Finger zu sehen. […] Kaum jemand nimmt diese permanente und vollständige Verschmelzung polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit heute noch als Bruch des Trennungsgebotes wahr.

CILIP stellt daher die „Auflösung oder mindestens Kontrolle“ der mittlerweile institutionalisierten Zusammenarbeitsformen in den Raum. Dies betrifft auch die IMK und ihre Arbeitsgruppen, die als „Relaisstationen zur Durchsetzung strategischer Projekte des Bundes“ bezeichnet werden.

Zum gleichen Fazit kommt ein anderer Aufsatz von Norbert Pütter unter dem Titel „Kontrollprobleme neuen Ausmaßes – Polizeilicher Staatsschutz als Geheimpolizei“. Pütter geht davon aus, dass Geheimdienste erfahrungsgemäß „nicht nur ineffektiv, sondern auch unkontrollierbar und undemokratisch“ seien. Dies gelte auch für den Staatsschutz:

Die Kontrolle des polizeilichen Staatsschutzes ist kaum leichter zu bewerkstelligen als die des „Verfassungsschutzes“. Seine rechtliche Regulierung ist mit weiten Maschen gestrickt. Er verfügt über ein breites nachrichtendienstliches Instrumentarium, hat Zuständigkeiten im Vorfeld der „vorbeugenden Bekämpfung“ und seine Kontrolle wird durch den Verweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit verunmöglicht. Die politische Polizei ist deshalb keine demokratische Alternative zum nachrichtendienstlichen Staatsschutz. Die Abschaffung der Geheimdienste zu fordern, muss deshalb mit der Forderung einher gehen, die Polizei demokratisch zu reformieren: Instrumente und Befugnisse klar und bestimmt zu benennen, „Vorfeldarbeit“ zu untersagen, Transparenz, Öffentlichkeit und Verantwortlichkeit herzustellen. Dies gilt für den polizeilichen Staatsschutz wie für die Polizei insgesamt.

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