Was läuft falsch beim EU-Urheberrecht? Julia Reda legt Entwurf für Evaluation des EU-Parlaments vor

Julia Reda, deutsche Piratenabgeordnete im EU-Parlament und Mitglied der Grünen Parlamentsfraktion, evaluiert heute in einer Pressekonferenz und morgen als offizielle Berichterstatterin im Rechtsausschuss (ab ca. 11 Uhr, der Link führt auch zum Live-Stream) die EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie) aus 2001. Der Entwurf (PDF) von Reda ist der erste konkrete Schritt auf Seiten des Parlaments in Vorbereitung der anstehenden EU-Urheberrechtsreform und wird im Zuge des parlamentarischen Verfahrens auch noch an einigen Punkten abgeändert werden. Auf Seiten der Kommission hatte Günther Oettinger bereits mit der – kürzlich bekräftigten – Aussage aufhorchen lassen, dass die Urheberrechtsrichtlinie zumindest teilweise durch eine EU-weit einheitliche Verordnung ersetzt werden könnte.

Die Frage Richtlinie oder Verordnung spielt auch in Redas Berichtsentwurf eine Rolle. So heißt es unter Punkt 6:

[The European Parliament] Considers the introduction of a single European Copyright Title […] that would apply directly and uniformly across the Union, in compliance with the Commission’s objective of better regulation, as a legal means to remedy the lack of harmonisation resulting from Directive 2001/29/EC

Wenn diese Formulierung bis zur Beschlussfassung im Plenum überleben sollte, wäre zweierlei erreicht. Erstens wird klar und deutlich festgestellt, dass es ein Harmonisierungsdefizit im Bereich des Urheberrechts gibt – immer noch kämpfen Anbieter und Nutzer mit unterschiedlichen Schutzniveaus und Ausnahmebestimmungen in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. Zweitens wäre damit ein Bekenntnis des Parlaments zu einer Regelung im Verordnungsweg verbunden, wie sie auch Oettinger vorzuschweben scheint.

Stellschrauben des Urheberrechts

In dem Resolutionsentwurf stecken aber noch eine Reihe weiterer wichtiger Punkte, die Probleme des bestehenden Urheberrechts und Lösungsmöglichkeiten gleichermaßen aufzeigen. Gleich zu Beginn wird unter Verweis auf den Bericht der EU-Kommission zur öffentlichen Konsultation zum Urheberrecht auf Probleme mit länderspezifischen Kopierschutztechnologien („Geoblocking“) hingewiesen:

the vast majority of end user respondents to the consultation reports facing problems when trying to access online services across EU Member States, particularly when technological protection measures are used to enforce territorial restrictions

Begrüßenswert auch konkrete Forderungen wie jene nach einer Stärkung der Rechtsposition von Kunstschaffenden gegenüber Verwertern, also einer europäischen Grundlage für ein Urhebervertragsrecht („calls for improvements to the contractual position of authors and performers in relation to rightholders and intermediaries“), sowie nach einer Ausnahme amtlicher Werke von urheberrechtlichem Schutz („public sector information“).

Der Hauptschwerpunkt des Entwurfs liegt aber auf den Ausnahme- und Schrankenbestimmungen – an diesen Stellschrauben des Urheberrechts soll gedreht werden, um es mit Internet und Digitalisierung zu versöhnen. Redas Entwurf nennt unter anderem folgende Punkte:

  • Keine Schlechterstellung von digitaler Nutzung im Vergleich zu analoger Nutzung. Das ist beispielsweise im Bibliotheksbereich ein Problem, wo Rahmenverträge für E-Books Schranken aushebeln, die bei analogen Büchern selbstverständlich sind (z.B. das Kopieren, Scannen und Weitergeben von Buchauszügen).
  • Kritik an unterschiedlicher Implementation von Ausnahmebestimmungen in den einzelnen EU-Staaten, was grenzüberschreitende Dienstleistungen im Internet erschwert. Im Unterschied zum urheberrechtlichen Schutz sind die Schranken und deren Ausgestaltung nämlich optional – auch hier würde ein Übergang von einer Richtlinie zu einer Verordnung eine klare Verbesserung bedeuten. Unabhängig davon sollen die Schrankenbestimmungen hinkünftig aber für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend sein.
  • Einführung einer zusätzlichen Generalschranke („open norm“) nach Vorbild des US-Fair-Use, die eine Nutzung von Werken in solchen Fällen erlaubt, die eine herkömmliche Verwertung nicht beeinträchtigen und auch sonst Interessen der Rechteinhaber nicht zuwiderläuft. Voraussetzung für so eine Generalschranke ist aber, wie in den Erläuterungen auch betont wird, eine Regelung im Wege der Verordnung, weil sonst eine noch größere Fragmentierung des EU-Urheberrechts drohen würde.
  • Die explizite Erlaubnis von Musik- und Bildzitaten im Rahmen der Zitatschranke („expressly include the audio-visual quotations in its scope“). Je nach Ausgestaltung könnte eine solche Ausdehnung der Zitatschranke maßgeblich zu einem Recht auf Remix beitragen.
  • Eine allgemeine und umfassende Wissenschafts- und Bildungsschranke, wie sie seit einiger Zeit für Deutschland in Diskussion ist, wird auch für die europäische Ebene gefordert.
  • Beschränkung des Schutzes von Kopierschutzmaßnahmen vor Umgehung. Derzeit ist es – in Umsetzung internationaler Verträge wie dem TRIPS-Abkommen – so, dass eine Umgehung von „wirksamen“ Kopierschutzmaßnahmen generell verboten ist. Dem Vorschlag von Julia Reda entsprechend soll dieser Schutz auf jene Fälle begrenzt werden, in denen Quellcode oder Schnittstellen offengelegt wurden und die Ausübung von Schranken nicht behindert wird.
  • Klarstellungen werden eingefordert hinsichtlich des Rechts auf Verlinkung, auf Parodie und Satire sowie auf Panoramafreiheit. Letztere wird in der Folge als exemplarisches Beispiel dafür angeführt, dass viele Bestimmungen nicht mehr zeitgemäß – Einschränkungen der Panoramafreiheit sind im Zeitalter von Urlaubern mit Handykameras ein Anachronismus – und noch dazu in vielen EU-Ländern unterschiedlich implementiert sind. Gefordert wird dementsprechend auch eine stärkere EU-weite Harmonisierung bei Pauschalvergütungen für Urheberrechtsschranken wie z.B. die Privatkopie.

In der lesenswerten Begründung verweist der Entwurf noch einmal darauf, dass sämtliche dieser Vorschläge im Einklang mit dem Drei-Stufen-Test für Ausnahmebestimmungen – geregelt in internationalen Urheberrechtsverträgen – realisierbar sind. Des weiteren wird in der Begründung betont, dass das Harmonisierungsziel der bestehenden Urheberrechtsrichtlinie verfehlt wurde, nicht zuletzt auf Grund neuer nationaler Leistungsschutzrechte wie jenem für Presseverleger in Deutschland und Spanien. Diese Fragmentierung des EU-Urheberrechts unterminiere aber die Herstellung eines digitalen EU-Binnenmarktes.

Schließlich verweist der Entwurf auch noch auf die zentrale Bedeutung von Schrankenregelungen für Rede-, Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, u.a. an Hand des Beispiels der im Internet allgegenwärtigen – aber häufig formal illegalen – animierten GIFs.

Fazit

Der Berichtsentwurf von Julia Reda ist zweifellos das fortschrittlichste offizielle EU-Dokument in Urheberrechtsfragen seit das erste Katzenfoto im Internet veröffentlicht wurde. Gleichzeitig ist es in hohem Maße an konkreter Umsetzbarkeit orientiert. Klares Ziel ist die behutsame Modernisierung eines unzeitgemäßen Urheberrechts unter Berücksichtigung legitimer Interessen sämtlicher Stakeholder-Gruppen. Besonders positiv stimmt der Umstand, dass nicht nur Reda sondern auch Digitalkommissar Oettinger die Zukunft in einem einheitlichen EU-Urheberrecht sehen. Bleibt zu hoffen, dass der Reda-Report im Rahmen des jetzt folgenden parlamentarischen Verfahrens nicht zu sehr verwässert wird.

17 Ergänzungen

  1. Redas Vorschläge erinnern an eine Umsetzung von Forderungen des Uber CEO Travis Kalanick, übertragen auf den Wirtschaftsbereich der Content Wertschöpfung. Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, und Regulation ( die im Falle von Content unter Berücksichtigung und Diskurs von Persönlichlkeits-Rechten und Schutz und Teilhabe auch kleiner Teilnehmer über 100 Jahren angepasst worden sind ), werden als Überholt. Rückständig und schädigend für die Digitale Welt und Digitale Wertschöpfung dargestellt Das solche Änderungen wie von Frau Reda vorgeschlagen, vor allem eine Umschichtung von Geld hinzu wenigen globalen Playern, und weg von vielen einzelnen vorantreibt, scheint Frau Rede entweder nicht erkennen zu wollen, oder fördert dies bewusst. Frau Rede bewegt sich offensichtlich immer noch in einer Geisteswelt des Jahres 2010, in der der Pirate Bay und andere direkte Schmarotzer Plattformen keine Kleinkriminellen sondern „Befreier“ waren, und Google die weltliche Instanz für unbegrenztes sharing und caring. Ziemlich peinlich im Jahr 2015 noch nicht geschnallt zu haben, wir billig Sie sich instrumentalisieren lässt . Zuversichtlich stimmt mich, das Frau Reda mit dieser naiven Denke von gestern in der Digitalen Welt zwischenzeitlich ziemlich isoliert ist. Längst äußern sich die Vordenker kritisch über ehemalige „Sharing“ Ansätze, die in fact nichts anderes sind, als eine Umverteilung von Einnahmen weg von Milliarden einzelner, hin zu wenigen globalen Superplayern ist . Und Sie Herr Dobusch tätigen beachtliche Akrobatik, um Ihre PR für Creative Commens nach den Fall Yahoo noch irgendwie am laufen halten zu können.

  2. @S.KLainhaus Nein nein, daß sehe ich komplett anders.
    Es soll die kulturelle Allmende aus Sicht der vielen Nutzer wieder gut benutzbar gemacht werden und die Verhandlungsposition der vielen Kreativen gegenüber den wenigen Vermittlern gestärkt werden. Und genau das steht da auch.
    Wie Sie da von einer Stärkung von „Superplayern“ schreiben können, ist mir schleirhaft.

    1. ich bin auch mal gespannt, welcher „Superplayer“ gemeint ist, der daran verdient, dass in Frankreich/Belgien die Panoramafreiheit nicht gilt (Wer den Vortrag von Julia Reda vom 31C3 nicht kennt, der lohnt sich).
      Oder wer bitte verdient an Fair-Use?

    2. Lieber Rudi, schön wärs, denin der Tat muss sich im Vertragsrecht der Kreativen zu den Verwetern einiges ändern. Das kontinetale Urheberrecht setzt kleinste Kreative zunächst potent auf Augenhöre mit großen Anbietern. KLasse Sache. Dies ansich starke Funktion wurde aber über Jahrzehnte durch die Vetriebsmacht der Verwerter durch nachhranginge Lizenzgestaltung praktisch aushehebelt. NUn haben wir die Digitale Welt, und plötzlich endstehen Möglichkeiten für Urheber, sich diesen Diktat der Vertriebsmacht entziehen zu können. Und was Frau Reada da? Sie fordert die Substitution des Kontinetalrachts durch das amerikanische Fair Use. Ohne im Datel lanweilen zu wollen. Fair Use ist weit stärker den Bedürfnissen großer Verwerter förderlich und benachteiligt einzelne kleine Rechtinhaber massiv in Ihrer Rechtsdurchsetzung. Ebenso das ( sorry) dümmliche REMIX gequatsche. Sie scheint nicht zu verstehen, oder es ist Ihr egal, dass Conten das ÖL in der Digitalen Welt ist, das benötigt wird, um die Digitale Wertschöpfungsmaschine am laufen zu halten. Es fällt mir wirklich schwer. Frau Reda außerhalb einer “ Hanni und Nanni“ Polemik einzuordnen. Und Herr Dobusch macht PR dafür, dass alle Ihre Inhalte per AGB an Google ergo Creative Commens verschenken sollen, damit dann Yahoo ( und andere werden folgen ) mit der Schenkung Bettwäsche und Kalender bedruckt, die dann wiederrum verkauft werden, ebenso wie die Datenbank dazu. Wäre es Frau Reda ernst mit Inhalten, dann würde Sie Ihre Energie in Vorschläge münden lassen, wie die unglaubliche Wertschöpfung die Firmen wie Faxebook, Google, amazon und co, erzielt mit 0 % Sozialkosten besser oder überhaupt mal sozial marktwirtschaftlich der Gesellschaft zugute kommt. So könnte Sie anstatt versteckte Google Forderungen des Jahres 2010 abzuschreiben , auch z.b eine pauschale Wertshöpfungsbesteuerung Nutznießer Digitaler Wertschöpfung in Europa fordern. Stattdessen geht Sie auch dagegen auf die barrikaden, und nennt dies “ Freiheit“, ebenso wie Sie Freiheit für den Pirate Bay Gründer fordert, da es in seinen schwedischen Knast nur Brühkaffe anstatt Latte Machiatto bekommt. Gleichzeitg kein Satz dazu ( als Mitglied des EU Kulutrauschusses ) , zu den zahlreichen Menschen, die weltweit aufgrund Ihres Einsatztes für Freiheit ( in meiner Lesart von Freiheit ) gefoldert und umgebracht werden. Mir fällt wirklich nur Hanni und Nanni dazu ein, denn bewusst fiese Klientel Tätigkeit, unterstelle ich Ihr noch nicht einmal.

  3. Schöner Beitrag.

    Bei der Tomate oder einem zugänglichen Ort ist es aber davon abgesehen so, dass sich Amateure und Profifotografen richtig ins Zeug legen müssen, damit ein ordentliches Bild entsteht – woraufhin Leute ohne Kenntnisse den Aufwand zwar nicht sehen können, doch das Bild erst dann als ästehtisch empfinden. Ich glaube, sie meinten die Schöpfungshöhe. Sowas gibt es schon!

  4. Ohje. Die geforderten Regeln einzuhalten ist für jeden unmöglich. Daten mal eben weiterzugeben kann doch nicht am Urheberrecht scheitern. Sollen wir ernsthaft weiterhin alle kriminell sein?

    Aber die Krönung ist die Forderung, weg von Open Education ein kleines abgeschiedenes Elite-Netz für Bildung zu fordern. Weia. Genau das haben wir doch schon, weil natürlich auch Unis ihre Lehrmaterialien wie jeder andere auch unter der Hand schwarz kopieren.

  5. Mal an alle die meinen, es ginge hier um Diebstahl: Eine Lockerung des Urheberrechts hat nichts mit Diebstahl zu tun. Der Diebstahl eines Gegenstandes ist wegen der Wegnahme strafbar und eine solche erfolgt im Falle einer virtuellen veröffentlichung garnicht. Wenn etwas kopiert wird, verliert der ursprüngliche Urheber nicht die Möglichkeit darüber zu verfügen, bei der geklauten Sache hingegen kann exakt 1 Exemplar weniger verkauft werden und ein reeller Schaden tritt ein.

    Dies zur Erklärung des Unterschieds, da man immer wieder diese unpasseden Vergleiche liest, obwohl das offensichtlich sein sollte.

  6. Was hier durchgesetzt wersen soll, ist homo oeconomicus in Reinstform: Sich alles nehmen dürfen, ohne fragen, geschweige denn zahlen zu müssen. Der Grundgedanke, wer die Arbeit hat, der soll dafür auch gerecht entlohnt werden, wird letztendlich aufgegeben – was wohl auch daran liegt, dass in der Fantasie vieler die Kreativität keine „Arbeit“, sondern reines „Vergüngen“ ist (der Urheber ist halt einer, der mit links sein Werk verfasst, während er mit der Rechten Weintrauben nascht). Während im Manchesterkapitslismus die Arbeiter wenigstens noch soviel erhalten, dass sie sich weiter reproduzieren können, soll im Piratenkapitalismus nicht einmal das mehr gewährleistet sein. Kurz, kapitalistisch, kapitalistischer, am kapitalistischsten.

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